Ein Jahr im Amt

Bürgermeisterin Franziska Giffey: „Neukölln ist mehr als die Summe seiner Probleme“

Kai Doering08. Juni 2016
Neuköllns Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey
Franziska Giffey ist seit April 2015 Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Neukölln.
Seit etwas mehr als einem Jahr ist Franziska Giffey Bürgermeisterin von Berlin-Neukölln. Aus den Fußstapfen ihres bekannten Vorgängers Heinz Buschkowsky ist sie längst herausgetreten. Im Interview spricht Giffey über Neuköllns Ruf und sagt, warum Bildung die meisten Probleme löst.

Ihr Vorgänger Heinz Buschkowsky hat immer gesagt: „Neukölln ist überall“. Sehen Sie das auch so?

Die Fragen, mit denen wir uns in Neukölln beschäftigen, sind auch in sehr vielen anderen Städten in Deutschland und Europa aktuell. Damit meine ich vor allem Fragen der Integration und des guten Zusammenlebens in einer interkulturellen Großstadt. Die Zahlen – 15 Prozent Arbeitslosigkeit, 41 Prozent der Unter-25-Jährigen als Hartz-IV-Empfänger – sind zwar in anderen Städten nicht unbedingt so hoch, aber die Fragestellungen sind überall dieselben.

Trotzdem gilt Neukölln über die deutschen Grenzen hinaus als Symbol des Problembezirks. Ärgert Sie das?

Das ist nicht schön, aber es ist, wie es ist. Ich halte nichts davon, Probleme zu verschweigen oder schönzureden. Neukölln hat nach wie vor Brennpunkte. Die müssen wir auch klar benennen und dafür Lösungen finden. Es ist aber auch wichtig, zu differenzieren. Nicht alles ist schlecht, nur weil es in Neukölln ist. Und Neukölln ist mehr als die Summe seiner Probleme. Vor allem gibt es aber eine Menge Menschen, die jeden Tag dafür arbeiten, dass es in Neukölln besser wird. Das eine ist, Probleme zu benennen, das andere, daraus politisches Handeln abzuleiten.

Welche Probleme sehen Sie?

In Neukölln gibt es drei parallele Entwicklungen. Zum einen geht es um die Migranten, die seit Jahrzehnten im Bezirk leben, sich aber teilweise immer noch in einer Parallelgesellschaft befinden. Die zweite Gruppe sind neue Zuwanderer aus Südosteuropa und Flüchtlinge aus den arabischen Ländern. Die dritte Gruppe wiederum sind Menschen, die aus anderen Teilen Deutschlands aus der Kreativ-, Kultur- und Start-up-Szene zuziehen. All diese Menschen haben unterschiedliche Interessen und Bedürfnisse, sollen sich aber gleichzeitig in Neukölln wohlfühlen, genauso wie die, die schon immer hier sind. Im Bezirksamt versuchen wir, dafür die Rahmenbedingungen zu schaffen, dass jede und jeder am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann und dass der soziale Frieden gewahrt wird. Für viele Fragen braucht es dafür pragmatische Lösungsansätze.

Sie sind jetzt seit einem guten Jahr im Amt. Am 18. September steht Ihre erste Wahl als Bezirksbürgermeisterin an. Auf welche Themen werden Sie setzen?

Eines meiner Schwerpunktthemen ist die Bildung. Bildung ist der Schlüssel, um viele andere Probleme zu lösen. Deshalb setze ich auch auf ein verbindliches Förderangebot für alle Kinder ab dem ersten Lebensjahr. In der wachsenden Stadt Berlin spielt das Thema bezahlbarer Wohnraum eine ebenso wesentliche Rolle. Darüber hinaus: Das Thema Gerechtigkeit. Noch immer entscheidet vor allem die soziale Herkunft darüber, ob ein Mensch sein Leben erfolgreich gestalten kann. Das darf uns Sozialdemokraten nicht kalt lassen. Was viele Menschen bewegt, ist die Frage der Sicherheit. Dabei geht es um soziale Absicherung im Alter wie auch um die tägliche Sicherheit auf der Straße. Darum müssen wir uns kümmern: Um Ordnung und Sicherheit für einen lebenswerten Bezirk.

 

Das Interview ist zuerst auf vorwärts.de erschienen.

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