Flüchtlinge in den Kommunen

Wie Flüchtlinge ländlichen Räumen wieder eine Zukunft geben

Robert Kiesel25. April 2016
Leerstehende Wohnungen in einer Siedlung.
Sind Flüchtlinge die letzte Chance für ländliche Räume, ihre schleichende „Entvölkerung“ zu stoppen? Der Sozialforscher Andreas Siegert ist davon überzeugt. Im Interview erklärt er, warum.

Herr Siegert, Sie werben für die Ansiedlung von Flüchtlingen in Regionen, die massiv von Abwanderung betroffen sind. Wie soll das funktionieren?

Wir wissen aus Studien, dass wenn wir die Grundbedürfnisse von Menschen erfüllen, diese die ländlichen Räume annehmen werden. Das gilt insbesondere für Menschen, die auch in ihrer Heimat in ländlichen Gebieten zu Hause waren.

Welche Grundbedürfnisse sind das?

Geflüchtete hatten Gründe zur Flucht und wollen ihr Leben wieder gestalten. Diese Menschen brauchen eine berufliche Perspektive, sie müssen sozial integriert werden und sie benötigen die Möglichkeit, sich Wohneigentum zu erarbeiten. Zumindest bei der sozialen Einbettung sind die Chancen in ländlichen Gebieten durchaus gegeben. Sie sind aber anders als in Großstädten und erfordern Möglichkeiten sozialer Kontakte zu Ortsansässigen.

Neigen nicht gerade geschlossene Gemeinschaften dazu, Veränderungen von außen eher distanziert gegenüber zu stehen?

Man muss beide Seiten dazu befähigen, die Situation des jeweils anderen verstehen zu können. Die einheimische Bevölkerung muss beteiligt werden. Neue Formen des Bürgerdialogs können dabei helfen. Was passiert, wenn wir nichts machen? Wo steht unsere Kommune in zehn Jahren, wie viele Unternehmen und Arbeitsplätze wird es dann hier noch geben? Diese Fragen müssen gestellt und beantwortet werden.

Wie lauten die Antworten?

Für viele ländliche Regionen ist die Ansiedlungen von Zuwanderern die letzte Chance, die sie haben, um die weitere Entvölkerung zu lindern. Milliarden-Investitionen in strukturschwache Räume wären ansonsten weitgehend verloren, die ländlichen Räume könnten ihre Funktion, z.B. hinsichtlich der Traditionspflege,der Schaffung einer nationalen Identität, oder als städtischen Rückzugsraum nicht mehr erfüllen. Weitere Standortverlagerungen wären die Folge, und mit der Wirtschaft verschwände auch die Zukunft aus diesen Regionen.

24 Prozent Stimmenanteil für die AfD zeigen: Gerade in Sachsen-Anhalt scheinen rationale Argumente von emotionaler Verunsicherung überlagert zu werden. Wie kann die Ansiedlung dennoch gelingen?

Indem Flüchtlinge gezielt angesprochen, Verwaltungsstrukturen angepasst werden. Die Zuweisung Geflüchteter nach dem „Königssteiner Schlüssel“ ist ziemlicher Unfug. Wenn ein metallverarbeitendes Unternehmen Arbeitskräfte sucht und es Flüchtlinge mit entsprechender Qualifikation gibt, dann müssen diese gezielt vermittelt werden. Wenn die Ehefrau des Flüchtlings dann noch eine Lehre im angrenzenden Krankenhaus absolviert, weil dieses händeringend Pflegekräfte sucht, perfekt. Im Sport klappt das doch auch.

Sie meinen?

Beispielsweise konnte beim FC Hettstedt nur eine Männermannschaft angemeldet werden, weil drei syrische Flüchtlinge das Team verstärken. Da stehen dann die Menschen am Spielfeldrand, die Migranten skeptisch gegenüberstehen, und fordern die Einwechslung von Mahmut. In solchen Situationen beginnt Integration.

So gut läuft es nicht überall. Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit Integration gelingt?

Eine Musterlösung gibt es nicht. Hilfreich ist eine klare Ist-Ziel-Analyse. Wo will man hin, wie soll das gelingen? Welcher Ressourcen bedarf es? Die Fragen müssen diskutiert werden. Dazu braucht es neue Formen des Bürgerbeteiligung mit klaren Spielregeln und Mitteln. Beteiligt werden müssen alle Bürger einer Kommune. Alle, die sich für ihre Heimat verantwortlich fühlen. Wanderdemonstranten brauchen wir da nicht.

Welche Rolle spielen Verantwortungsträger?

Es macht nach unserer Beobachtung einen großen Unterschied, wenn sich legitime Vertreter klar zur Einwanderung positionieren. Das kann der Leiter der Feuerwehr oder des Sportvereins ebenso sein wie der Bürgermeister oder andere Autoritäten mit lokaler Akzeptanz. Wenn sie ein Klima der Akzeptanz schaffen und zum Mitmachen ermuntern, ist eine der wichtigsten Voraussetzungen bereits erfüllt.

Dieses Interview ist auf vorwaerts.de erschienen.