Landtagswahl Baden-Württemberg

Schock in Mannheim: SPD verliert Direktmandat an AfD

Harald Sawatzki17. März 2016
In Mannheim hat die AfD der SPD ihr einziges Direktmandat in Baden-Württemberg abgenommen.
In Mannheim hat die AfD der SPD ihr einziges Direktmandat in Baden-Württemberg abgenommen.
Der Schock in Mannheim war groß: In der einstigen SPD-Hochburg hat die AfD bei der Landtagswahl den Sozialdemokraten das einzige Direktmandat in Baden-Württemberg abgenommen. Ein Ortsbesuch zeigt, wie die Genossen darauf reagieren.

Vier Tage nach dem Wahlabend sind im Mannheimer Stadtteil Schönau die Wahlplakate der Alternative für Deutschland (AfD) abgehängt. Einsam prahlt die NPD mit dem Slogan „Wir schieben ab“. Und dazwischen erinnert Stefan Fulst-Blei, der Kandidat der SPD und aktuelle Landtagsabgeordnete, daran, dass er sich für die „erste Gemeinschaftsschule in Mannheim“ und für das Gymnasium G 9 eingesetzt habe.

Es hat nichts genützt: Das Direktmandat im Wahlkreis 35, zu dem die Schönau gehört, ging mit 23 Prozent völlig überraschend an den unbekannten AfD-Mann Rüdiger Klos aus dem 20 Kilometer entfernten Eppelheim. Der Kandidat der Rechtspopulisten soll, wie die Schönauer versichern, im Wahlkampf vor Ort nicht aufgetaucht sein, aber er erzielte im Stadtteil sogar 30 Prozent.

AfD-Mann Rüdiger Klos schlägt SPD in Mannheim Nord

Dass Klos dem einheimischen Amtsinhaber und Kandidaten – der im gesamten Wahlkreis 22,2 Prozent und auf der Schönau 27,1 Prozent errang – das Direktmandat in der einstigen SPD-Hochburg Mannheim Nord abluchste, traf Andrea Safferling, die Ortsvereinsvorsitzende der Schönauer SPD, „wie ein Faustschlag ins Gesicht“. Viele ihrer knapp 150 Mitglieder haben „wochenlang geackert, vor allem die Jusos und die Senioren“. Und jetzt das: Nach vielleicht 1000 Hausbesuchen, Gesprächen und Aktionen geht der Wahlkreis verloren.

Die erste Reaktion am Wahlabend war denn auch: „Alles hinschmeißen.“ Aber Safferling und ihre Mitstreiter richteten sich rasch wieder auf: „Nur jeder Vierte wählte die AfD“, rechnet sie vor. Also wird weiterhin um die drei AfD-Resistenten und um die verlorenen Stimmen gekämpft. Die Gelegenheit bietet sich bereits 2017 bei der Bundestagswahl.

Ängste machen Mannheimer Wähler anfällig für AfD-Parolen

Bei der Suche nach den Ursachen, warum 23 Prozent der Wähler der AfD ihre Stimme gaben, deckt sich die Einschätzung Andrea Safferlings mit der ihres Mannheimer Kreisvorsitzenden Wolfgang Katzmarek, der angesichts des Ergebnisses „Fassungslosigkeit“  eingestehen muss: „Schwer zu erklären“ sei das Wahlverhalten der Stimmberechtigten. Da sich die Schönau strukturell über die Jahre geändert habe, dort längst nicht mehr „nur Hartz IV-Empfänger“ lebten, müssten wohl „Ängste eine große Rolle bei denen gespielt haben, die anfällig für Parolen der AfD waren“.

Ganz überraschend war es zwar weder für Safferling noch für Katzmarek, dass die AfD auf der Schönau etliche Stimmen bekommen würde: Schon in der Vergangenheit hatten „die NPD oder die Republikaner, und bei der Kommunalwahl die AfD überdurchschnittlich viele Stimmen erhalten“. Doch dass es so kommen würde, damit hatte niemand gerechnet.

Die SPD hat ein PR-Problem

Auch nicht Karl-Christian Schroff, der seine Tierarztpraxis auf der Schönau beinahe in Personalunion mit einem der letzten Ortsvereinsbüros der Stadt führt: Beide liegen Tür an Tür. Schroff, seit über 20 Jahren in der SPD aktiv, sieht vor allem Mängel bei der Selbstdarstellung der SPD: „Wir haben auf aktuelle Fragen die richtigen Antworten, die SPD-Ministerien in Stuttgart haben gute Arbeit geleistet.“ Aber es sei im Wahlkampf „keine klare Linie“ erkennbar gewesen: „Wir haben ein mediales, ein PR-Problem“, glaubt Schroff.

Damit liegt er auf einer Linie mit seinem Kreisvorsitzenden Katzmarek, der es allerdings bei eingängigen Slogans nicht bewenden lassen möchte: „Wir brauchen eine Kommunikation der Grundwerte“, sagt er und hofft, dass dann „die Couch-Demokraten wach werden“, dass sie sich einmischen und wählen gehen. Und gegen die AfD helfe nur eines: Die Partei müsse „Thema für Thema“ gestellt werden.

Trotzdem das beste SPD-Ergebnis in Baden-Württemberg

Dazu wird Stefan Fulst-Blei in den nächsten fünf Jahren ausreichend Gelegenheit erhalten: Er zieht trotz der Niederlage in heimischen Gefilden über die Zweitauszählung wieder in den Landtag ein: Der Mannheimer schaffte trotz allem das landesweit beste Ergebnis eines SPD-Kandidaten. Nach Stuttgart wird ihn sein Parteigenosse Boris Weirauch aus dem Mannheimer Süden begleiten, der erstmals kandidierte und ebenfalls über die Landesliste ein Mandat holte.

Stefan Fulst-Blei selbst analysierte die Ereignisse wenige Tage nach der Wahl kämpferisch: Er fühle sich „herausgefordert“ und sieht im Wesentlichen drei Ursachen für die Schwierigkeiten der SPD im Land – und in Mannheim. Die SPD habe erstens zweifellos unter der „Polarisierung“ gelitten, die sich aus der Fokussierung auf den Ministerpräsidenten Kretschmann ergeben habe. Zweitens sei es nicht verwunderlich, dass sich bei manchen Mannheimern angesichts von 13.000 Flüchtlingen in der Stadt Ängste breit machten. Und drittens sei der „schwierige Kurs“, den die Berliner Politik gefahren habe, einem guten SPD-Ergebnis abträglich gewesen. Trotz allem: Fulst-Blei wird kämpfen. Er hält sich zugute, die Grünen – entgegen dem Landestrend – im Wahlkreis auf Distanz gehalten zu haben.

weiterführender Artikel