Kommunale Entwicklungszusammenarbeit

So können Kommunen Geflüchteten in Nahost helfen

Karin Billanitsch01. November 2016
Syrische Flüchtlinge in der Türkei.
Das Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) will das Wissen und die Erfahrung deutscher Kommunen für Nahost nutzen. Die Nachbarländer Syriens haben Millionen Flüchtlinge aufgenommen und stehen vor großen Herausforderungen. Wie Vorreiter München mit dem türkischen Mardin zusammenarbeiten will.

Rund 4,2 Millionen Flüchtlinge leben in den Anrainerstaaten Syriens, im Libanon, in Jordanien und in der Türkei. Viele Städte in diesen Ländern müssen Wohnungen, sauberes Trinkwasser und medizinische Versorgung bieten, auch Schul- und Arbeitsplätze schaffen. Wie groß diese Aufgaben sind, wissen die deutschen Kommunen genau, spätestens seit auch hier zahlreiche Geflüchtete leben. Mit ihren Erfahrungen und ihrem Wissen können deutsche Kommunen auch Aufnahmeländer im Ausland unterstützen.

BMZ startet neue Initiative für Nahost

Deshalb hat das Entwicklungsministerium (BMZ) die Initiative „Kommunales Know-how für Nahost“ gestartet. „Sie zielt darauf ab, aufnehmende Kommunen zu stärken“, sagt eine Sprecherin des Ministeriums. Dabei gebe es für Städte verschiedene Möglichkeiten, sich zu engagieren, unter anderem durch eine kommunale Partnerschaft.

Gegenüber einer klassischen kommunalen Partnerschaft, die auf lange Sicht angelegt ist, ist eine so genannte „Know-how-Partnerschaft“ auf ein bestimmtes Themenfeld fokussiert und zunächst zeitlich begrenzt, erläutert die Sprecherin.  Sie eignet sich besonders, um bei Fragen der kommunalen Daseinsvorsorge mit Expertenwissen zu unterstützen.  Als Beispiele nennt das Ministerium Infrastrukturentwicklung, Abwasserver- und -entsorgung oder Energie- und Abfallwirtschaft. Hier kann es etwa um Strategien zur Wertstoffsammlung und Müllvermeidung gehen. „Aufgrund ihrer schlanken Struktur lässt sich eine Know-how Partnerschaft schnell und flexibel vereinbaren. Wenn sich aus diesen Ansätzen später langfristige Partnerschaften entwickeln, würde uns dies freuen“, betont die Sprecherin.

Wissenstransfer von München nach Mardin

Da die Kommunen in den Ländern Jordanien, Libanon und Türkei fast 90 Prozent der syrischen Flüchtlinge aufgenommen haben, liegt hier der Fokus der Initiative, informiert das Ministerium. „Diese Kommunen leisten täglich Großartiges, um die kommunale Daseinsvorsorge aufrechtzuerhalten, stehen aber durch den Zuzug unter Druck“, erläutert die Sprecherin. „Mit der neuen Initiative vermitteln wir diesen Kommunen deutsche Partner.“ München hat nun die erste Zusammenarbeit dieser Art vorgestellt: Die Stadtverwaltung kooperiert mit Mardin, einer Provinzhauptstadt im Südosten der Türkei, nicht weit von der syrischen Grenze entfernt.

Hier leben cirka 100.000 Syrer und noch einmal so viele Binnenflüchtlinge. Der Fokus der Zusammenarbeit liegt auf Jugendlichen, die beruflich qualifiziert werden, damit sie sich eine eigene Existenz aufbauen können. Bei der Vorstellung der Initiative lobte Gerd Müller, Bundesminister für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, die Leistungen von Städten, Gemeinden und Kreisen: „In der Bewältigung der Flüchtlingskrise sind Kommunen zentral.“ Er freue sich, dass München und die türkische Stadt Mardin hier als Pioniere vorangingen. „Denn kommunale Entwicklungspolitik muss zur Normalität im entwicklungspolitischen Alltag werden“, so Müller.

Neue Koordinierungsstelle für das Thema Flucht und Entwicklung

Angesichts der großen Zahl von Flüchtlingen will München sich auch vor Ort für die Bewältigung der Flüchtlingskrise engagieren und Fluchtursachen bekämpfen. Bürgermeister Josef Schmidt, der für internationale Zusammenarbeit zuständige Leiter des Referats Arbeit und Wirtschaft, betonte: „Mit ihrem Wissen kann die Stadt München mithelfen, nachhaltige Strukturen zu schaffen, und die Lebensbedingungen der Menschen in den Fluchtregionen zu verbessern.“ Die Stadtverwaltung hat eine Koordinierungsstelle für das Thema Flucht und Entwicklung eingerichtet, die zu 90 Prozent durch „Engagement Global“ mit Mitteln des BMZ gefördert wird. Sie soll ab Dezember 2016 ihre Arbeit aufnehmen.

Ein weiteres Projekt ist in der Pipeline mit der tunesischen Stadt Kasserine. Hier soll es – unterstützt von der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) – darum gehen, Demokratisierungsbestrebungen in Algerien, Tunesien und Marokko zu stärken. In Kasserine wird etwa mit Unterstützung der Münchner eine „Grünzone als Begegnungsstätte“ eingerichtet, heißt es.

Bis zu 200.000 Euro Förderung pro Partnerschaftsprojekt.

Das BMZ ist bestrebt, in den nächsten drei Jahren mehrere Dutzend deutsche Kommunen bzw. kommunale Unternehmen für eine Teilnahme an der Initiative „Kommunales Know-how für Nahost“ zu gewinnen. Zwölf interessierte Kommunen haben dem Vernehmen nach bereits Interesse an der Teilnahme am Projekt bekundet. Interessierten Kommunen wird finanziell unter die Arme gegriffen: Mit bis zu 50.000 Euro wird die Anbahnung gefördert, ein Partnerschaftspaket zur Umsetzung von Projekten wird mit bis zu 200.000 Euro gefördert. Die Finanzierung ist zunächst befristet, denn derzeit kann niemand sagen, wie die Lage in der Region und der Bedarf der Kommunen in zwei bis drei Jahren aussehen werden, wie aus dem Ministerium verlautet.

Neben den bereits genannten Themen rund um die Sicherung der Daseinsvorsorge geht es auch um den Bau von bezahlbarem Wohnraum sowie Bildung und Beschäftigung, insbesondere für junge Leute. Hier setzt auch das Münchner Projekt an. Außerdem besteht laut BMZ – insbesondere bei jordanischen und libanesischen Kommunen – „großes Interesse an einer Zusammenarbeit zur Stärkung ihrer Planungs- und Handlungskompetenzen, insbesondere bei der Organisations- und Personalentwicklung sowie der Bereitstellung von kommunalen Informationssystemen“.

In Mardin setzt das Projekt ein Zeichen der Hoffnung: „Wir möchten den Menschen, die alles verloren haben, Selbstvertrauen, Hoffnung und positiven Lebensgeist zurückgeben“, sagte Akyol Akay, die Oberbürgermeisterin der Stadt.

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