Blog Im Brennglas

Warum Bürgerbeteiligung im Lokalen anfängt

Marian Schreier15. September 2016
Marian Schreier: Der SPD-Politiker ist mit 26 Jahren Deutschlands jüngster Bürgermeister in der Stadt Tengen in Baden-Württemberg.
Marian Schreier: Der SPD-Politiker ist mit 26 Jahren Deutschlands jüngster Bürgermeister in der Stadt Tengen in Baden-Württemberg.
Warum finden die Rechtspopulisten gegenwärtig so großen Zuspruch? Viele Menschen sehen ihr Bedürfnis nach Orientierung durch die Politik nicht mehr erfüllt. Abhilfe schaffen könnte eine direkte Einbindung der BürgerInnen in politische Entscheidungsprozesse.

In den letzten Jahren hat sich weitgehend unbemerkt –  erst unter der Oberfläche, mittlerweile aber offen zu Tage tretend – eine neue Konfliktlinie im politischen System herausgebildet. Entscheidend ist dabei die Haltung gegenüber den etablierten politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Institutionen: Auf der einen Seite stehen die Vertreter des Establishments, auf der anderen Seite massiver Widerstand gegen eben jene „Klasse “. Donald Trump in den USA, das Erstarken der AfD und auch das Brexit-Votum sind Ausdruck dieses Misstrauens gegenüber der Politik und ihren Prozessen.

Die neuen Gegner des „Establishments“

Dahinter steckt eine Krise der Repräsentation. Ein wachsender Teil der Gesellschaft fühlt sich nicht mehr vertreten durch die Politik. Sie haben das Gefühl, von den Entscheidungsprozessen abgekoppelt zu sein – und damit von der Teilhabe am gesellschaftlichen wie wirtschaftlichen Fortschritt. Dies mag zwar objektiv falsch sein. Schließlich ist Deutschland eine funktionierende Demokratie mit einer immer noch vergleichsweise hohen Wahlbeteiligung . Aber auch Wahrnehmung ist eine relevante politische Kategorie. Woher rührt das Gefühl, nicht mehr vertreten zu werden?

Meines Erachtens kommt neben anderen Faktoren einer Ursache besondere Bedeutung zu. Wir erleben gerade, wie der Soziologe Wolfgang Streeck es treffend formuliert hat, eine „Verflüssigung von Konstanten“. Viele Fixpunkte , die das politische wie private Leben definiert haben, sind obsolet geworden. Dies erzeugt Unsicherheit und ein Bedürfnis nach Orientierung.

Bürgerbeteiligung als Orientierungsangebot

Genau damit – und das ist der entscheidende Punkt – tun sich die etablierten Institutionen schwer:  Man hat den Eindruck, sie sind mehr Getriebene denn Gestalter des Geschehens. Vor allen Dingen schaffen sie es kaum mehr Orientierung zu stiften und den Entwicklungen einen gemeinsamen Rahmen zu geben. In der Wahrnehmung vieler zerfällt dadurch die Gegenwart in einzelne Episoden und Krisen, denen die Politik nur mühsam Herr wird. Politik erscheint dann als die Anpassung an wechselnde Sachzwänge.

Nun ist klar, dass sich das grundsätzliche Problem nicht auf kommunaler Ebene lösen lässt. Dennoch können auch die Städte und Gemeinden ihren Teil beitragen - und zwar durch eine Beteiligung der BürgerInnen an der Kommunalpolitik. Denn dort, wo Repräsentation infrage gestellt wird, wird direkte Beteiligung wichtiger. Allerdings dürfen Beteiligungsprozesse nicht als Ersatz für die repräsentative Demokratie verstanden werden. Im Gegenteil: Sie können dazu beitragen, das Vertrauen in die repräsentative Demokratie zu erneuern.

Einbindung vor Ort

Denn Beteiligung an der Kommunalpolitik baut Distanz ab zwischen den BürgerInnen und der Politik. Einerseits weil Politik und Verwaltung besser - das heißt vor allem: weniger technisch - erklären müssen, warum sie ein bestimmtes Vorhaben verfolgen. Andererseits weil die BürgerInnen Einblick in die Abläufe des politischen Prozesses bekommen und das Verständnis für die Spielräume der Politik und deren Begrenzungen wächst.

Zweitens wird der Abwägungsprozess, der politischen Entscheidungen vorangeht, durch Bürgerbeteiligung transparenter – und mehr noch - erfahrbar. Dies wirkt dem Anschein der Alternativlosigkeit entgegen. Natürlich kann man auch den Diskussionen im Gemeinderat und in den Ausschüssen folgen, aber dies entfaltet nicht die gleiche Wirkung wie die aktive Mitarbeit.

Klare Kommunikation

Schließlich kann durch Bürgerbeteiligung das Vertrauen in die Problemlösungskompetenz der Politik wachsen. Vor allem durch im Rahmen der Beteiligung entwickelte Ideen, die dann zur Umsetzung kommen. Wichtig ist, dass von Anfang an klar kommuniziert wird, wer die endgültige Entscheidung über die Umsetzung trifft und diese auch verantwortet. Sonst droht Enttäuschung, wenn Ideen aus der Bürgerbeteiligung später von Gremien verändert werden.

Das Vertrauen in die Gestaltungsfähigkeit wächst aber nicht nur durch neue Projekte, sondern auch durch den Blick zurück: Beteiligungsprozesse – insbesondere die Erarbeitung von Stadtentwicklungsstrategien - können auch Standortbestimmungen sein, in denen das bislang Erreichte reflektiert wird. Oft wird dadurch klar, dass in den letzten Jahren schon einiges bewegt wurde.

Der Artikel ist zuerst auf www.vorwaerts.de erschienen.