Pandemie

100 Tage Corona-Warn-App: Eine Zwischenbilanz

Carl-Friedrich Höck24. September 2020
Die Corona-Warn-App des Robert-Koch-Instituts
Seit 100 Tagen können Handynutzer*innen die Corona-Warn-App herunterladen. Was hat sie bisher gebracht? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Was soll die App leisten?

Die Warn-App soll helfen, Infektionsketten schneller zu erkennen und zu durchbrechen. Wer selbst positiv auf das neue Coronavirus (Sars-CoV-2) getestet wurde, kann über das Programm schnell und anonym Kontaktpersonen warnen. Als die App am 16. Juni 2020 veröffentlicht wurde, betonte die Bundesregierung: Sie sei ein wichtiger Beitrag, um die Pandemie zu begrenzen, aber kein Allheilmittel. Die wichtigsten Säulen der Pandemienbekämpfung seien die sogenannten AHA-Regeln (Abstand halten, Hygieneregeln beachten, Alltagsmasken tragen).

Wie funktioniert die App?

Mit einer akkusparenden Bluetooth-Technologie misst die App den Abstand und die Begegnungsdauer zu anderen Personen. Kommt es zu längeren oder besonders engen Kontakten, tauschen die Handys untereinander Zufallscodes aus. Wird eine beteiligte Person später positiv auf das Coronavirus getestet, kann sie anhand der Zufallscodes eine Warnung herausgeben. Aus Datenschutzgründen wird dabei die Anonymität der Beteiligten gewahrt. Das bedeutet auch: Wer eine Warnmeldung erhält, erfährt nicht, wann und wo die Risikobegegnung stattgefunden hat.

Wie oft wurde die App bisher heruntergeladen?

Rund 18,4 Millionen Mal, wie Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) am Mittwoch erklärte. Damit sei sie häufiger heruntergeladen worden als jede andere Corona-App in Europa. Zum Vergleich: Im Juni hatte eine Studie der Oxford-Universität errechnet, dass man die Pandemie stoppen könne, wenn 60 Prozent der Bevölkerung die App nutzen. Eine positive Wirkung sei aber bereits ab 15 Prozent zu erwarten – in Deutschland wären das zwölf Millionen Nutzer. (rp-online.de) Diese Schwelle wurde mit 18 Millionen Downloads überschritten.

Wie viele Warnmeldungen wurden bisher versendet?

Nach Auskunft von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) haben fast 5.000 Nutzer*innen eine Warnmeldung ausgelöst. Bei je zehn bis zwanzig Kontakten hätten so einige zigtausend Menschen informiert werden können.

Was hat die Entwicklung und Wartung bisher gekostet?

Insgesamt knapp 14 Millionen Euro. Das Bundesgesundheitsministerium teilt auf Anfrage mit: „Für die Entwicklung der Corona-Warn-App wurden dem Bundesministerium für Gesundheit von der SAP Deutschland SE & Co. KG bisher 7.149.114,45 EUR (netto) und von der T-Systems International GmbH bisher 6.765.204,66 EUR (netto) in Rechnung gestellt.“

Welche Probleme sind bisher bekannt?

Als die App veröffentlicht wurde, war der Frust bei vielen Handynutzer*innen groß. Denn Besitzer*innen von älteren Smartphones konnten das Programm gar nicht herunterladen. Als Betriebssysteme werden Android ab Version 6.0 oder iOS ab Version 13.5 vorausgesetzt.

Später wurde bekannt, dass die automatische Hintergrundaktualisierung auf manchen Handys nicht verlässlich funktioniert. Diese ist wichtig, damit Warnungen ausgespielt werden können, auch wenn der Nutzer/die Nutzerin die App nicht aktiv öffnet. Dank eines Updates sollen die Fehler mittlerweile behoben sein.

Was soll ich tun, wenn ich eine Risikomeldung erhalten?

Wenn ein „erhöhtes Risiko“ angezeigt wird, werden die Nutzer*innen von der App aufgefordert, sich nach Möglichkeit nach Hause zu begeben und Begegnungen mit anderen zu reduzieren. Weitere Schritte sollen dann mit dem Hausarzt, dem kassenärztlichen Bereitschaftsdienst oder dem örtlichen Gesundheitsamt abgestimmt werden. Wenn Symptome einer Covid19-Erkrankung auftreten, sollte ein Corona-Test durchgeführt werden.

Wenn keine Symptome auftreten, rät das Robert-Koch-Institut (RKI) zu einem Gespräch mit einem Arzt oder Gesundheitsamt, um die „Kontaktsituation“ und das Weiterverbreitungsrisiko einzuschätzen. Die App ist hierbei allerdings nur bedingt hilfreich: Wie erwähnt wird die betroffene Person nicht informiert, wo und wann die von der App gemeldete Risikobegegnung stattgefunden hat. Auch die Gesundheitsämter haben keinen Zugriff auf solche Daten. Deshalb bleibt auch hier oft nur die Empfehlung: Kontakte vermeiden und einen Corona-Test durchführen. Detailliertere Handlungsempfehlungen finden Sie in einem Informationsblatt des RKI für Vertragsärzt*innen (Download: rki.de).

Welches Zwischenfazit ziehen die Kommunen?

Die Kontaktnachverfolgung ist Aufgabe der örtlichen Gesundheitsämter und damit der Kommunen. Für ein Fazit sei es nach 100 Tagen noch zu früh, meint der Sprecher des Deutschen Landkreistages Markus Mempel. Eine signifikante Arbeitserleichterung für die Gesundheitsämter habe die App bisher jedoch nicht bewirkt. Denn – siehe oben: Auch die Ämter können nicht nachvollziehen, wann und wo Risikobegegnungen stattgefunden haben, die von der App gemeldet wurden. Wenn zudem besorgte App-Nutzer*innen das Gesundheitsamt anrufen, denen ein „niedriges Risiko“ gemeldet wurde, bindet das dort Arbeitszeit. Mempel kritisiert, dass die Gesundheitsämter in die Entwicklung der App nicht einbezogen worden sind.

Positiver fällt die Einschätzung des Deutschen Städte- und Gemeindebundes aus. Die App sei ein Erfolg, heißt es in einem Statement, das zeigten die 18,4 Millionen Downloads. Die App erleichtere es auch „durch die Mitarbeit jedes Nutzers und jeder Nutzerin“, die Kontaktnachverfolgung durchzuführen. Einschränkend wird angemerkt, die App sei „auch aufgrund des bewusst gewählten dezentralen Ansatzes für die Gesundheitsämter sicher nicht so nützlich, wie ein direkter Datenaustausch mit zentraler Speicherung wäre. Allerdings ist das der App aufgrund dieses dezentralen Ansatzes entgegengebrachte Vertrauen erheblich höher als bei vergleichbaren Apps in anderen Ländern.“

Wie bewertet die Bundespolitik die 100-Tage-Bilanz?

Die App wurde vom RKI im Auftrag der Bundesregierung entwickelt. Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) sprach am Mittwoch von einer „großen Erfolgsgeschichte“. Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach vermutet, „dass die goldene Zeit der App in den nächsten Monaten erst kommt“, wie er dem Radiosender RPR1 sagte. Im Herbst, wenn die Fallzahlen steigen, werde die App ein Segen sein.

Der digitalpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Jens Zimmermann betonte, die App setze Maßstäbe beim Datenschutz. Es ist wichtig, die App stets weiterzuentwickeln und dafür zu sorgen, dass noch mehr Menschen positive Testergebnisse über die App teilen. „Nutzerinnen und Nutzer, die zwar vor möglichen Risikobegegnungen gewarnt werden wollen, aber selbst nicht über eine eigene Infektion informieren, sind ‚digitale Maskenverweigerer‘: Trittbrettfahrer, die von der Vernunft ihrer Mitmenschen einseitig profitieren“, kritisierte Zimmermann.

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