Weniger Verwaltungseinheiten und mehr Effizienz

Vor 50 Jahren startet niedersächsische Kreis- und Gebietsreform

07. Juli 2022
Alter Amtshof Syke
Im alten Amtshof Syke residierte bis zu dessen Auflösung die Verwaltung des Landkreises Grafschaft Hoya. Bis 2004 gab es dort noch eine Außenstelle
Mehr Bürgernähe, eine professionelle Verwaltung, Beseitigung des kommunalen Flickenteppichs – diese und weitere Ziele verband die damalige Landesregierung mit ihrer Kreis- und Gebietsreform. Diese begann vor 50 Jahren, 1972, und war bis August 1977 abgeschlossen.

Die Feststellung des Nachrichtensprechers am 1. August 1977 klang nüchtern. „Den Landkreis Gradschaft Hoya gibt es ab nicht mehr“, sagte er in der „Rundschau am Mittag“ von Radio Bremen. Dann gab es einen Stimmungsbericht aus der bisherigen Kreisstadt Syke. Diese gehört seit eben jenem 1. August zum Landkreis Diepholz – der vorerst letzte Schritt im Zuge der großen niedersächsischen Kreis- und Gebietsreform. Losgegangen war der Prozess schon fünf Jahre zuvor mit der Auflösung und Zusammenlegung von Gemeinden, aber auch Landkreisen. Aus diesem Anlass gibt es zahlreiche Veranstaltungen – eine Fotoausstellung der Bürgerstiftung Achim im Landkreis Verden etwa.

Die Vorgeschichte der niedersächsischen Kreis- und Gebietsreform reicht einige Jahre zurück. Bereits 1965 machte sich eine eigens in Leben gerufene Sachverständigenkommission für die Verwaltungs- und Gebietsreform unter der Leitung des Staatsrechtlers Werner Weber daran, Antworten auf drängende Fragen zu finden. An erster Stelle: Wie lässt sich die Anzahl der Gemeinden im damals zweitgrößten Flächenland der alten Bundesrepublik reduzieren?

Weniger Gemeinden und Kreise

Aber eben nicht nur das. Der Auftrag der sogenannten Weber-Kommission war weiter gefasst. Zu den Zielen gehörte unter anderem, eine sinnvolle Verteilung staatlicher Aufgaben auf kommunale Behörden zu skizzieren sowie die Verwaltung bürgernäher und professioneller zu machen. Zum Hintergrund: Insbesondere kleine Gemeinden hatten bis dato wenig Mitarbeitende und vielfach lediglich einen ehrenamtlichen Bürgermeister.

Vier Jahre nachdem die Kommission ihre Arbeit aufgenommen hatte, präsentierten deren Mitglieder ihre Ergebnisse. Um die gesteckten Ziele zu erreichen, schlugen die Experten vor, Gemeinden auf 5.000 bis 8.000 Einwohner*innen zu vergrößern, Aufgaben konsequent zu delegieren, Städte durch Eingemeindungen zu stärken und hauptamtliches Personal zu beschäftigen. Zum Vergleich: Die Kommission listete die Größen der Gemeinden auf. Demnach gab es vor der Reform 4.218 Gemeinden zwischen 50 und 535.000 Einwohner*innen. Davon lebten in 254 Gemeinden weniger als 100 Menschen. Die Zahl der Gemeinden mit unter 5.000 Einwohner*innen betrug laut Statistik über 2.000.

Alleine vor diesem Hintergrund erscheint das Ziel heute noch sportlich. Wäre es nach der Weber-Kommission gegangen, wären von 1972 bis 1974 genau 415 neue Einheits- und Samtgemeinden entstanden – eine erhebliche Reduzierung der Gebietskörperschaften. Denn immerhin gab es auch 1970 noch 4.062 Gemeinden. Ihre Zahl sollte laut Weber-Kommission bis 1972 auf 2.044 verringert werden.

Den nächsten großen Schritt sahen die Fachleute für das Jahr 1977 vor: Zum 1. August sollten 37 Landkreise zusammengelegt werden – Beispiel Grafschaft Hoya: Dieser wurde mit dem Landkreis Grafschaft Diepholz zum Landkreis Diepholz vereinigt. Zum 1. Februar 1978 sah der Fahrplan weiterhin die Bildung von vier Regierungsbezirken vor – die allerdings seit 1. Januar 2005 Geschichte sind.

Streit und Klagen

Trotz allen schrittweisen Vorgehens hatten die Planer dieses großen Werks jedoch nicht damit gerechnet, dass ihnen landauf und landab so viel Widerstand ins Gesicht blasen würde. Kreistage, Landräte, Bürgermeister, Oberkreis- und Stadtdirektoren sträubten sich jahrelang dagegen, dass ihre Gemeinde oder gar ihr Landkreis mit anderen zusammengelegt werden sollte. Kein Wunder also, dass der Niedersächsische Staatsgerichtshof beispielsweise bis kurz vor dem Inkrafttreten der Gebietsreform am 1. August 1977 über die Rechtmäßigkeit des Ganzen entscheiden musste. Verhandlungsgegenstand war das am 28. Juni 1977 vom Niedersächsischen Landtag beschlossene „8. Gesetz zur Verwaltungs- und Gebietsreform“.

Dagegen schossen nicht nur die Vertreter des Landkreises Grafschaft Hoya. Besonders heftig stritten sich die Kollegen der Kreise Uelzen und Lüchow sowie die Ostfriesen aus Friesland und Wittmund. Sogar das Bundesverfassungsgericht musste sich mit dem Thema Kreis- und Gebietsreform befassen – vergeblich, der Staatsgerichtshof wies sämtliche Klagen ab, sodass das Vorhaben planmäßig in die Tat umgesetzt wurde.

Das, was damals beschlossen wurde, ist für die Menschen heute Normalität. Wenngleich in den Jahrzehnten danach diejenigen, die die Diskussionen miterlebt hatten, alle Themen rund um die Kreis- und Gebietsreform wieder aus der Mottenkiste holten. „Eigentlich hätten wir Kreisstadt werden müssen“, sagte beispielsweise ein ehemaliges Mitglied des Achimer Stadtrates. Seine Begründung: Achim sei die größte Kommune im Landkreis Verden.

Einen völlig anderen Weg nahm Hoya: Die Stadt, die dem einstigen Landkreis ihren Namen gab, kam als Samtgemeinde Grafschaft Hoya zum Landkreis Nienburg. Eher ulkig mutet da aus heutiger Sicht an, dass die Stadt Braunschweig bis zum August 1977 mit Thedinghausen eine Exklave hatte. Diese kam nach Jahrhunderten zum Landkreis Verden.

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