Interview mit Thomas Kutschaty

„Die Abschaffung der Stichwahl ist ein höchst undemokratischer Akt“

Kai Doering29. April 2019
Thomas Kutschaty, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Landtag von Nordrhein-Westfalen.
Vor einem Jahr wurde Thomas Kutschaty zum Vorsitzenden der SPD-Fraktion im Landtag von Nordrhein-Westfalen gewählt. Im Interview übt er scharfe Kritik an der schwarz-gelben Landesregierung und sagt, wie die SPD weiter Glaubwürdigkeit zurückgewinnen will. 2020 findet dort die Kommunalwahl statt.

Herr Kutschaty, vor einem Jahr wurden Sie zum Vorsitzenden der NRW-Fraktion und damit zum Oppositionsführer im Landtag von Nordrhein-Westfalen gewählt. Wie fällt ihre Zwischenbilanz aus?

Die SPD im Landtag NRW hat Fahrt aufgenommen. Wir kontrollieren die Landesregierung mit viel Tatendrang. CDU und FDP sind bereits unter Druck: Die Legislaturperiode ist noch nicht einmal in der Halbzeit,  trotzdem wurden bereits zwei Parlamentarische Untersuchungsausschüsse eingesetzt und anderthalb Minister mussten zurücktreten. Gleichzeitig machen wir konstruktive Vorschläge, wie Nordrhein-Westfalen besser regiert werden kann.

Welche sind das konkret?

Gemeinsam mit der Landespartei hat sich die Fraktion vier Schwerpunkte gesetzt: gute und faire Arbeitsbedingungen, soziale Sicherheit, beste Bildung und eine solidarische Gesellschaft in Nordrhein-Westfalen. Wir setzen im Parlament die Themen. Im letzten Plenum war es zum Beispiel das Thema Wohnen, bei dem die zuständige Ministerin merken musste, dass ihre geplanten Einschnitte beim Mieterschutz im Land nicht wirklich gut ankommen. Mit eigenen Kampagnen oder Themenwochen machen wir unsere Anträge auch außerhalb vom Parlamentsgebäude zum Thema. Damit schon vor der kommenden Landtagswahl klar ist: Die SPD hat die besseren Ideen für NRW.

Wo setzen sie persönlich Schwerpunkte als Fraktionsvorsitzender?

Wir bleiben mit unseren Debatten nicht unter uns. Zurzeit gibt es vier Bürgerbewegungen gegen die Landesregierung – gegen Kita-Gebühren, für die Abschaffung der Straßenausbaubeiträge, für die Beibehaltung von Stichwahlen bei der Bürgermeisterwahl und für bezahlbaren Wohnraum. Mit allen Gruppen sind wir in engem Austausch und transportieren ihre Anliegen auch ins Parlament. Mir ist der Kontakt und der Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern wichtig. Dem haben wir nach meiner Wahl auch in unserer Kommunikation Rechnung getragen.

Jüngster Aufreger ist der Beschluss der Landesregierung, bei Oberbürgermeisterwahlen die Stichwahl abzuschaffen. Wie steht die SPD dazu?

Die Abschaffung der Stichwahl ist ein höchst undemokratischer Akt. „Weniger Demokratie für mehr CDU-Bürgermeister“ lautet das Motto. Bei der letzten Kommunalwahl 2015 haben viele CDU-Bürgermeister-Kandidaten, die im ersten Wahlgang mit relativer Mehrheit noch vorne lagen, in der Stichwahl den Kürzeren gezogen. Aus machttaktischen Gründen hat die CDU-FDP-Landesregierung die Stichwahl deshalb nun abgeschafft. Aus demokratischer Sicht ist das höchstbedenklich. Denn nun können Bewerber ins Amt kommen, die 70 Prozent der Wähler oder sogar mehr gar nicht gewählt haben. Oder es bilden sich schon im Vorfeld der Wahl zwei taktische Parteienblöcke, was nicht im Sinne der Meinungsvielfalt sein kann. Die SPD-Fraktion hat deshalb beschlossen, gemeinsam mit den Grünen Verfassungsklage gegen die Wahlrechtsreform der Landesregierung einzureichen.

Welche Bedeutung hat die Kommunalwahl im kommenden Jahr generell für die SPD?

Eine sehr große natürlich. Die meisten Themen, mit denen wir uns im Landtag beschäftigen, haben ja direkte Auswirkungen auf Städte und Gemeinden, sei es beim Kita-Ausbau, der Ganztagsbetreuung an Schulen oder dem Straßenbau. Wir Sozialdemokraten haben viele herausragende Bürgermeisterinnen, Bürgermeister und Landräte in Nordrhein-Westfalen. Das gemeinsame Ziel der SPD ist, weitere Rathäuser hinzu zu erobern.

Die schwarz-gelbe Landesregierung steht an vielen Punkten in der Kritik. Warum kann die SPD in den Umfragen nicht davon profitieren?

Als Landespartei ist es immer schwierig, sich vom Bundestrend abzukoppeln. Immerhin liegen wir in Nordrhein-Westfalen noch fünf Punkte über den Umfragewerten der Bundes-SPD. Deshalb hoffe ich, dass die Partei insgesamt wieder Aufwind bekommt. Erste Anzeichen hat es in den vergangenen Wochen ja gegeben. Natürlich sind wir mit unseren Werten im Land alles andere als zufrieden. In vielen Bereichen müssen wir neue Glaubwürdigkeit aufbauen und hinterfragen deshalb auch unsere früheren Positionen kritisch. Wir sind schließlich 2017 nicht umsonst abgewählt worden. Langsam kommen wir aber in die Phase, dass wir mit unseren Positionen und Vorschlägen in der Öffentlichkeit durchdringen. Das wird sich dann auch in besseren Umfragewerten und am Ende in Wahlergebnissen bemerkbar machen.

Sie selbst sind im vergangenen Jahr auch bundespolitisch in Erscheinung getreten, indem Sie die Arbeit der großen Koalition in Berlin kritisiert und eine grundlegende Reform des Hartz-IV-Systems gefordert haben. Wie zufrieden sind Sie mit dem aktuellen Auftreten der Bundes-SPD?

Ich freue mich, dass die Bundes-SPD unsere Vorschläge aus Nordrhein-Westfalen für eine Reform von Hartz IV in ihrem Sozialstaatskonzept hat. Nun erwarte ich von unseren Bundestagsabgeordneten und unserer Parteispitze, dass sie dafür kämpfen, dass das Konzept auch umgesetzt wird. Wir werden nicht für Parteitagsbeschlüsse gewählt, sondern dafür, dass wir unsere guten Ideen auch in praktische Politik umsetzen.

Die NRW-SPD hat nach der verlorenen Landtagswahl auf allen Ebenen einen personellen Wechsel vollzogen. Was muss sich in Sachen Erneuerung in der SPD bis zum Bundesparteitag im Dezember noch tun?

Die SPD muss sich auf bestimmte Kernthemen konzentrieren. Für mich sind das Bildungsfragen, eine vernünftige Gestaltung der Arbeitswelt und natürlich Fragen der sozialen Absicherung. In diesen Bereichen täte es uns gut, ab und an auch mal ein bisschen mutiger zu sein. Insgesamt sind wir aber auf einem richtigen Weg.

Der Artikel ist zuerst auf www.vorwaerts.de erschienen.

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