Bürgerschaftswahl

Alles offen in Bremen

Kai Doering27. Mai 2019
Kämpft für Rot-Rot-Grün: Bremens Bürgermeister Carsten Sieling am Wahlabend
Nach der Bürgerschaftswahl in Bremen zeichnet sich keine klare Mehrheit für ein Regierungsbündnis ab. Bürgermeister Carsten Sieling unterstrich, auch künftig gestalten zu wollen. Sowohl Rot-Grün als auch Schwarz-Grün kommen nach bisherigen Hochrechnungen nicht auf die erforderlichen Sitze.

20 Mal ist die SPD in Bremen nach dem Zweiten Weltkrieg bei einer Bürgerschaftswahl angetreten. 19 Mal hat sie gewonnen. Bei der Wahl an diesem Sonntag könnte sie das erste Mal auf dem zweiten Platz landen. Das zumindest legen die ersten Prognosen nahe. Demnach erzielen die Sozialdemokraten mit nur 24,5 Prozent der Stimmen ihr schlechtestes Ergebnis seit 1946. Die CDU könnte mit 25,5 Prozent erstmals seit 73 Jahren stärkste Partei an der Weser werden.

Carsten Sieling will weiter gestalten

Was das für die künftige Regierung im kleinsten deutschen Bundesland bedeutet, ist allerdings offen. Nach dem bisherigen Stand der Stimmauszählungen hat weder das bisher regierende rot-grüne Bündnis mit 38 Sitzen (22 für die SPD, 16 für die Grünen) eine Mehrheit noch eine schwarz grüne Koalition mit 40 Sitzen (24 für die CDU, 16 für die Grünen). Bei 84 Sitzen in der Bremer Bürgerschaft liegt die absolute Mehrheit bei 43.

Bremens Bürgermeister Carsten Sieling zeigte sich daher vor den Bremer SPD-Anhängern im Lokal „Ständige Vertretung“ daher zwar enttäuscht vom Abschneiden seiner Partei, gab sich aber noch nicht geschlagen. Die SPD in Bremen habe immer Mut und einen aufrechten Gang bewiesen. Das werde auch künftig so sein. „Wir blicken in die Zukunft und wollen gestalten“, so Sieling.

Gleichzeitig gelte es, das schlechte Abschneiden der SPD zu analysieren. „Wir müssen offen und ehrlich darüber reden, welche Gründe für dieses Ergebnis vorgelegen haben und wie wir damit umgehen“, sagte Sieling, lobte aber auch die hohe Wahlbeteiligung. Machten vor vier Jahren nur rund 52 Prozent der Wahlberechtigten von ihrem Recht Gebrauch, stieg sie diesmal auf 62 Prozent an. Für Sieling „eine Stärkung der Demokratie“.

Nahles: Grüne stehen vor Richtungsentscheidung

„Die Bremer SPD ist realistisch, bodenständig und verwurzelt genug, um aus diesem Ergebnis die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen und zu alter Stärke zurückzufinden“, zeigte sich SPD-Chefin Andrea Nahles im Willy-Brandt-Haus überzeugt. Rot-Rot-Grün sei möglich. Die Grünen stünden nun vor einer Richtungsentscheidung: „Wollen sie eine progressive Mehrheit, ja oder nein?“

Rechnerisch wäre an der Weser sowohl ein rot-rot-grünes Bündnis (47 Sitze) als auch eine sogenannte Jamaika-Koalition aus CDU, Grünen und FDP (46 Sitze) möglich. Eine Regierung mit der CDU hatte die SPD bereits vor der Wahl ausgeschlossen und sich klar für Rot-Rot-Grün ausgesprochen. Für ein solches Bündnis gibt es auch bei der traditionell linken Basis der Bremer Grünen sowie der Linkspartei eine deutliche Vorliebe. Käme es dazu, wäre es die erste rot-rot-grüne Regierung in einem westdeutschen Bundesland.

Bremer SPD-Basis für Rot-Rot-Grün

Die Bremer SPD-Basis setzt jedenfalls auf Rot-Rot-Grün. Für Ute Reimers-Bruns, Vorsitzende des kleinsten SPD-Unterbezirks Bremen-Nord, ist die Vorstellung, dass mit CDU-Spitzenkandidat Carsten Meyer-Heder ein IT-Unternehmer Bürgermeister werden könnte, „erschreckend“. Sie spricht ihm die notwendigen Fähigkeiten schlichtweg ab. „Man kann ein Land nicht wie ein Unternehmen führen“, sagt Reimers-Bruns.

Eine der Abgeordneten, die nach der bisherigen Hochrechnung nicht wieder in der neuen Bürgerschaft vertreten sein wird, ist die bisherige gesundheitspolitische Sprecherin Stefanie Dehne. Sie setzt ihre Hoffnungen auf die Personenstimmen. Sie indes werden erst im Laufe der kommenden Tage komplett ausgezählt werden. „Ich bin zwar optimistisch, aber nicht unrealistisch“, sagt sie gegenüber dem „vorwärts“.

Endergebnis steht erst am Mittwoch fest

Gar nicht so unzufrieden ist Juso Jannik Michaelsen. Er freut sich über die Mobilisierung der Wähler in beiden Lagern. Mit Blick auf die SPD sagt Michaelsen: „Es ist der Beweis dafür, dass wir eine gute sozialdemokratische Basis haben.“ Und: „Es war eine Richtungswahl.“ Der Juso weist darauf, dass das „progressive Lager“ mit SPD, Linken und Grünen die Nase vorne habe. Ob die SPD oder die CDU den nächsten Bürgermeister stellen, komme jetzt auf die Grünen an. „Ich glaube nicht an Jamaika“, sagt der Juso.

Wie es an der Weser ausgeht, wird sich möglicherweise ohnehin erst in den kommenden Tagen entscheiden. Aufgrund des besonderen Wahlsystems – jeder Wahlberechtigte konnte frei fünf Stimmen vergeben – und der Tatsache, dass die Stimmzettel der Europawahl zuerst ausgezählt werden, ist mit einer ersten Prognose erst am späteren Abend zu rechnen. Das Endergebnis soll erst am Mittwoch feststehen.

Der Artikel erschien in einer längeren Fassung zuerst auf vorwaerts.de

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