Entlastungsgesetz

Angehörige sollen weniger für Pflege zahlen – und die Kommunen mehr

Carl-Friedrich Höck14. August 2019
Aufnahme aus einem Pflegeheim in Saarbrücken
Das Bundeskabinett hat am Mittwoch beschlossen: Angehörige von Pflegebedürftigen sollen finanziell entlastet werden. Für Länder und Kommunen bedeutet das Mehrausgaben. Auf die Kritik von Kommunalverbänden reagierte Arbeitsminister Heil mit deutlichen Worten.

Eine Betreuung im Pflegeheim kostet mehrere tausend Euro im Monat. Die gesetzliche Pflegeversicherung deckt davon nur einen Teil ab. Für Pflegebedürftige bedeutet das: Sie müssen mit ihrem angesparten Vermögen für die verbleibenden Kosten aufkommen. Ist dieses aufgebraucht, springt der Staat ein und leistet „Hilfe zur Pflege“. Einen Teil des Geldes können Länder und Kommunen sich von den Angehörigen zurückholen. Das sind schnell mehrere hundert Euro monatlich.

Heil: Pflegefall ist für Angehörige belastend

Geht es nach der Bundesregierung, wird sich das aber bald ändern. Zumindest für Angehörige, die weniger als 100.000 Euro brutto im Jahr verdienen. Das Angehörigen-Entlastungsgesetz, das am Mittwoch vom Kabinett beschlossen wurde, sieht nämlich vor, sie von ihren Zahlungspflichten zu entbinden. Aktuell gilt das nur für Alleinstehende mit einem Nettojahreseinkommen bis 21.600 Euro beziehungsweise für Familien mit einem Einkommen bis 38.800 Euro netto.

Eingebracht wurde das Gesetz von Bundesarbeits- und Sozialminister Hubertus Heil (SPD). Er verwies nach der Kabinettssitzung darauf, dass ein Pflegefall in der Familie für Angehörige nicht nur persönlich und organisatorisch belastend sei. Die derzeitige Regelung führe auch „zu unkalkulierbaren finanziellen Risiken“, und zwar bis in die Mitte der Gesellschaft hinein.

Regierung schätzt Kosten auf 300 Millionen Euro

Arbeitsminister Hubertus Heil (Archivbild, Thomas Koehler/photothek.net)

„Diesen Menschen wollen wir helfen“, betont Heil. Er schätzt die Zahl der betroffenen Leistungsempfänger auf etwa 55.000 Die neue Regelung soll wirkungsgleich auch auf Eltern von Kindern mit Behinderung übertragen werden. Das seien weitere 220.000 Menschen, die von der Neuregelung profitieren, so Heil.

Aber wer zahlt für die Leistung, wenn die Angehörigen aus der Pflicht genommen werden? Nach aktuellem Stand die Länder und Kommunen. Deren Mehrausgaben schätzt Heil auf maximal 300 Millionen Euro im Jahr.

Die Städte und Gemeinden zweifeln diese Zahl an. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages Helmut Dedy sagte dem Handelsblatt, die Städte würden derzeit mit Mehrbelastungen zwischen einer halben und einer Milliarde Euro pro Jahr rechnen. Die halbe Milliarde entspricht der Summe, die die Städte aktuell im Rahmen der „Hilfe zur Pflege“ von den Angehörigen zurückerhalten. Doch die Zahl der Pflegebedürftigen steigt. Zudem befürchten die Städte, dass mehr Menschen ihre Angehörigen in einem Pflegeheim unterbringen, wenn sie selbst nicht mehr dafür zahlen müssen.

Bund verweist auf milliardenschwere Entlastung der Kommunen

„Diese Mehrbelastungen der Kommunen müssen vollständig ausgeglichen werden“, fordert Dedy. Ähnlich äußert sich der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB). Brisant ist das geplante Gesetz auch, weil im Koalitionsvertrag der Bundesregierung das sogenannte Bestellerprinzip festgeschrieben wurde: „Es gilt der Grundsatz: Wer eine Leistung veranlasst, muss für ihre Finanzierung aufkommen.“ Mit anderen Worten: Wenn der Bund ein Gesetz beschließt, das in den Ländern oder Kommunen zu Mehrausgaben führt, muss er diese Kosten ausgleichen.

Für Heil ist die neue Belastung für die kommunalen Haushalte jedoch „darstellbar“, wie er nun betont. Der Bund habe bereits erhebliche Sozialleistungen übernommen und die Kommunen um mehrere Milliarden Euro entlastet.

Heil nennt Landsbergs Zitat „unverschämt”

Mit scharfen Worten reagierte der Arbeitsminister auf ein Zitat von DStGB-Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg. Der hatte kritisiert, das geplante Gesetz höhle das Solidarprinzip aus. Städte und Gemeinden würden zu „Ausfallbürgen“ für Angehörige. In einem schriftlichen Statement des Verbandes heißt es außerdem: „Es ist grundsätzlich zumutbar, dass Kinder und Eltern gegenseitig füreinander einstehen. Daran sollte nicht gerüttelt werden.“

Hubertus Heil nannte diese Äußerung mit Blick auf die Betroffenen „unverschämt“ und jenseits der Lebensrealität. „Es ist keine Aufkündigung der Solidarität, weil die Gesamtgesellschaft Solidarität ausübt – und damit Menschen unterstützt.“ Wer von einer Entpflichtung der familiären Beziehungen spreche, unterschätze, „dass meistens die Kinder in so einer Situation – die Pflege zu organisieren – emotional betroffen sind, dass sie sich kümmern.“ Diese Solidarität zwischen Eltern und Kindern per Gesetz aufzukündigen, sei gar nicht möglich.

Der Gesetzentwurf wird nun an den Bundestag weitergeleitet. Wie die endgültige Fassung aussehen wird bleibt abzuwarten, denn auch der Bundesrat muss der Neuregelung zustimmen.

 

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