Alarmstimmung beim Wohnungsbau-Tag

Baubranche fordert Milliarden und Abbau von Standards

Uwe Roth20. April 2023
Die Wohnungsbau Ludwigsburg schfft auf einem ehemaligen Kasernengelände Luxusapartments und günstige Mietwohnungen.
Nichts weniger als „den Absturz beim Wohnungsbau“ prophezeit die Branche, sollte die Regierung nicht weitere Milliarden bereitstellen. Beim Wohnungsbau-Tag am Donnerstag musste sich Bauministerin Geywitz bittere Vorwürfe anhören.

Professor Dietmar Walberg war beim Jahrestreff des „Verbändebündnisses Wohnungsbau“ in Berlin erneut der wissenschaftliche Beistand. Zu diesem Kreis aus sieben Interessensvertreter gehören die Bau- und Immobilienbranche ebenso wie der Deutsche Mieterbund und die IG Bau. Walberg ist Studienleiter beim Wohnungsbau- und Bauforschungsinstitut ARGE in Kiel. Er präsentierte am Vormittag, bevor Wohnungsbauministerin Klara Geywitz (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zur Veranstaltung hinzustießen, den Medien eine Vielzahl an Grafiken, die in der Summe eine scheinbar ausweglose Situation am Wohnungsbaumarkt zeichnete.

Das Untergangsszenario lasse sich nur noch mit einem raschen Handeln der Bundesregierung – und dabei insbesondere mit weiteren Milliarden aus dem Bundeshaushalt - stoppen, zeigte sich der Wissenschaftler überzeugt. Seine düstere Prophezeiung lautete: „Wenn jetzt nichts passiert, dann gibt es beim Wohnungsbau keine Talfahrt, dann erleben wir beim Neubau von Wohnungen einen regelrechten Absturz.“ Seit dem Zweiten Weltkrieg seien „die Bedingungen für den Wohnungsbau nicht so schlecht gewesen“.

„50 Milliarden Euro weitere Fördermittel notwendig“

Flankierend zu dieser Drohkulisse präsentierten die Bündnispartner, die zugleich Teil des "Bündnisses für bezahlbaren Wohnraum" sind, ihre Forderungen. Der Staat müsse seine Fördergelder für den Wohnungsbau „massiv aufstocken“, hieß es. Bis 2025 seien für den sozialen Wohnungsbau „mindestens 50 Milliarden Euro an Fördermitteln“ notwendig. Diese sollten von Bund und Ländern als Sondervermögen zur Verfügung gestellt werden. Nur mit den zusätzlichen Mitteln könne es gelingen, 100.000 Sozialwohnungen pro Jahr neu zu bauen. Der Staat müsse zudem dem bezahlbaren Wohnungsbau intensiv unter die Arme greifen: Für 60.000 Wohnungen mit einer Kaltmiete zwischen 8,50 Euro und 12,50 Euro seien in dieser Legislaturperiode des Bundes noch einmal mindestens 22 Milliarden Euro notwendig.

Zudem müsse die Regierung den Bauüberhang in den Griff bekommen. Gemeint sind die rund 900.000 zwar genehmigten, aber noch nicht fertig gebauten Wohnungen. „Seit Monaten kommen deutlich weniger Aufträge rein“, teilte Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe, dazu mit. Schon im vergangenen Jahr seien die Auftragseingänge um 16,5 Prozent zurückgegangen. Im Januar 2023 sei es ein Minus von fast 30 Prozent gewesen.

IG Bau bangt um den sozialen Frieden

Bei 40 Prozent der genehmigten Bauten stehe der Baubeginn in den Sternen, beklagten die Verbände: Bauvorhaben lägen wegen fehlender Investitionen auf Eis. Es komme darauf an, diese für den bezahlbaren und für den sozialen Wohnungsbau zu gewinnen. Der Staat solle Bauprojekte, die auf der Kippe stehen, mit einem Sonderprogramm retten, ist ein weiteres Verlangen, das auch an Finanzminister Christian Lindner (FDP) ging. „Jeder in den Wohnungsneubau investierte Euro ist gut investiert“, sagte Robert Feiger, IG BAU-Bundesvorsitzender. Es sei eine gute Investition in den sozialen Frieden. „Und der sollte dem Bundesfinanzminister etwas wert sein“.

Immer lauter werden die Forderungen des „Verbändebündnisses Wohnen“ nach einem Abbau der Standards. Genannt wurden insbesondere der Schall- und Brandschutz und energetische Normen, die aus Sicht des Bündnisses zum Teil wenig effizient seien. Abstriche könnten die Baukosten merklich senken, so das Argument. Eine Überprüfung von Gesetzen, Verordnungen und Normen sei unausweichlich. Gemeint sind auch die Kommunen. Diese machten laut der ARGE-Studie von Professor Walberg den Quadratmeter Wohnfläche im Neubau „im Schnitt um gut 170 Euro teurer“. Auf das Konto des Bundes gingen mehr als 400 Euro. Baukosten einer Mietwohnung in Großstädten liegen nach seinen Berechnungen im Schnitt bei 4.070 Euro pro Quadratmeter. Hinzu komme der Grundstückspreis, der mit durchschnittlich 900 Euro zu Buche schlage. Die von der ARGE ermittelten Kosten für den Neubau von Mietwohnungen in großen Städten liegen damit bei knapp 5.000 Euro.

Mieterbund: Es ist fünf nach zwölf“

Axel Gedaschko, der Präsident des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen sagte: „Um insbesondere für die Normalverdiener wieder Angebote zu schaffen, muss die Regierung nicht nur ökologische Ziele fördern, sondern dringend auch soziale Ziele unterstützen.“ Lukas Siebenkotten, Präsident des Deutschen Mieterbunds, sah sich ebenfalls von der ARGE-Studie bestätigt: „Es ist fünf nach zwölf, es muss endlich etwas geschehen, wenn wir auf Dauer soziale Verwerfungen vermeiden wollen“, warnte er. „In der Sprache des Bundeskanzlers brauchen wir einen Wumms, um endlich alle Menschen in unserem Land mit bezahlbarem Wohnraum zu versorgen.“

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