Innenstädte

Bedrohte Zentren retten

Karin Billanitsch15. Januar 2021
Fußgängerzone in Bonn im Sommer 2020. Zu dieser Zeit waren die Einschränkungen durch Corona weniger zu spüren als heute.
Die Zukunft der Innenstädte hat den Ausschuss für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen im Bundestag beschäftigt.

Im erneuten Corona-Lockdown haben wir uns fast schon daran gewöhnt: Wenig ist in den Innenstädten los, weder Läden noch Restaurants oder Kultur ziehen Flaneur*innen und Kund*innen an. Nur die notwendigen Erledigungen sind erlaubt – in der Folge ist der stationäre Handel durch Corona schwer geschädigt. Doch auch schon vor der Corona-Krise waren steigender Leerstand und aussterbende Zentren eine große Herausforderung für viele Kommunen. Am Mittwoch hat sich der Ausschuss für Bauen, Wohnen und Stadtentwicklung im Bundestag mit dem Thema Innenstädte auseinandergesetzt.

Monotone Fußgängerzonen bei boomendem Internethandel

Dass die Fußgängerzonen in den Innenstädten ihre Anziehungskraft verlieren, weil dort Filialisten dominieren, stellt etwa der Deutsche Städtetag in seiner Stellungnahme fest. „Denn mit dem Besuch von Innenstadt und Stadtteilzentren wird heute nicht mehr der reine Einkauf, sondern das Bedürfnis nach Freizeitgestaltung, Unterhaltung, sozialem Austausch und Kultur als Gesamterlebnis verbunden“ heißt es. „Es kommt darauf an, welches Modell der Stadt haben wir im Kopf?“ stellt der SPD-Abgeordnete und Obmann des Ausschusses Bernhard Daldrup fest und fragt nach der Priorisierung von Maßnahmen: „Was ist jetzt wichtig, und was ist in der längeren Perspektive sinnvoll?“

Professor Thomas Krüger von der Hafencity Uni Hamburg nennt zunächst mögliche Gründe, die zu dieser Entwicklung führten: „Dass die Filialisten sich als Stärkste durchsetzen konnten, ist eine Folge der Wertentwicklung der letzten Jahre insbesondere in den großen Städten, der steigenden Gewerbemieten und des Verhaltens der Eigentümer, so Krüger. „Und nun setzt das große Wehklagen ein, dass das so ist. Der Markt hat sich durchgesetzt.“ Die kleinen Spezialanbieter seien verschwunden oder selbst ins Internet gewandert, konstatiert Krüger.

Flexible und lebendige Nutzungsmischung

Aber Krüger hält diese Entwicklung nicht für unumkehrbar und führt aus, wie künftig wieder mehr Laufkundschaft angezogen werden könnte, etwa durch mehr Vielfalt. Dafür brauche es Instrumente, um den „Nutzungsmix unterschiedlich starker Anbieter“ umzusetzen. „Die Verantwortung kann man nicht allein zur Kommune schieben.“ Das müsse auch bei den Händler*innen und Eigentümer*innen verankert werden, etwa in Fragen der Mietenpolitik. (Hier ist Krügers Stellungnahme nachzulesen.)

Iris Schöberl vom zentralen Immobilienausschuss (ZIA) bekräftigt, den Kommunen müsse „Hilfe zur Selbsthilfe“ gegeben werden. Dafür müssten rechtliche Rahmenbedingungen auf den Prüfstand. Es sei sehr aufwändig, flexibel Nutzungsänderungen durchzusetzen, etwa von Handel zu Gastronomie oder Dienstleistungen, so Schöberl. So könne die Filialdichte aufgebrochen werden. „Kommunale Stadtplaner sollten unterschiedliche Nutzungsklassen vereinen und damit belebte Handels-, Wohn-, Arbeits-und Freizeitangebote schaffen können.” Eine rein auf den Handel ausgerichtete Innenstadt sei angesichts der aktuellen Entwicklungen nicht zukunftsfähig, merkt Schöberl an. Sie schlägt vor, das Baugesetzbuch entsprechend zu ändern. (Stellungnahme als PDF)

Diskussion um hohe Mieten

Die Vermietung scheitert nicht zuletzt auch an überzogenen Erwartungen der Eigentümer*innen. „Auf Eigentümerseite hat sich die Erkenntnis noch nicht hinreichend durchgesetzt, dass für eine nachhaltige Vermietung und die Stabilisierung des Umfeldes der Mietimmobilie auch ein höheres Maß an Preiselastizität akzeptiert werden muss“, kritisiert auch Hilmar von Lojewski vom Deutschen Städtetag. (Stellungnahme als PDF)

Die Aachener Stadtbaurätin Frauke Burgdorff will ebenfalls bei den Immobilieneigentümer*innen ansetzen: Sie fordert mehr Mieter*innenschutz auch bei Gewerbeimmobilien, und mehr Möglichkeiten für Kommunen, in den Markt einzugreifen. Sie führt dafür „Bodenfonds” ins Feld, die als Sondervermögen unabhängig vom Haushalt der Gemeinde geführt werden könnten. Wie sie in ihrer Stellungnahme ausführt, könne der Bund hier mit gutem Beispiel vorangehen: Der Bund könne mit eigenen Grundstücken einen solchen Fonds gründen – oder sogar die betreffenden Liegenschaften an die Kommune übertragen unter der Bedingung, einen lokalen Fonds zu gründen.

Management durch die Kommunen

Professor Krüger nennt in der Anhörung auch Handlungsansätze, die von den Kommunen in Kooperation mit anderen Akteur*innen der Zentrenentwicklung verfolgt werden können. Beispielsweise können kurzfristig Zwischen- und Nachnutzungen organisiert und Flächen für solche angemietet werden. Denkbar sei auch eine Anschubfinanzierung für innovative Formate oder der Zwischenerwerb strategisch wichtiger Immobilien.

Mittelfristig müssten Gewerbetreibende (Einzelhandel, Gastronomie, Dienstleistende usw.) und die Immobilieneigentümer*innen mit der Kommune zusammenarbeiten. Diese sollte auch Kultur- und Bildungseinrichtungen sowie soziale Träger einbinden und die Bevölkerung beteiligen. Das solche branchenübergreifenden Kooperationen wichtig sind, um lebendige Innenstädte zu erhalten, darin sind sich die Expert*innen einig.

Forderungen nach finanzieller Hilfe

Die Grünen wollen einen „Städtebau-Notfallfonds“ in Höhe von 500 Millionen Euro, um den Städten die Möglichkeit zu geben innovative Konzepte zu entwickeln oder leer stehende Immobilien aufzukaufen. Stefan Genth vom Handelsverband Deutschland (HDE) begrüßte eine solche Fondslösung und verweist auf eine frühere Forderung des HDE, ein Sonderprogramm „Innenstadtstabilisierung“ in gleicher Höhe aufzulegen. „Diese Gelder müssten den Kommunen zugute kommen“, so Genth. Es gehe dabei darum, systematisch Leerstände zu erfassen oder Umnutzungen und innovative Handlungskonzepte schnell zu entwickeln.

Auch der deutsche Städte- und Gemeindebund fordert eine höhere Unterstützung durch Länder und Bund. „Die Mittel der Bundesstädtebauförderung müssen langfristig auf mindestens 1,5 Milliarden Euro pro Jahr festgesetzt und die Co-Finanzierung durch die Länder muss sichergestellt werden”, fordert der DStGB in seinem Positionspapier. Im Moment umfassen die Städtebauförderprogramme des Bundes 790 Millionen Euro, davon sind 300 Millionen für lebendige Zentren, 290 Millionen für Wachstum und nachhaltige Erneuerung und weitere 200 für sozialen Zusammenhalt ausgegeben worden. Für eine Erhöhung der Städtebaumittel hatte sich die SPD besonders eingesetzt.

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