Pilotanlage „Spree 2011”

Wie Berlin um eine saubere Spree streitet

Carl-Friedrich Höck12. Juli 2016
Pilotanlage Spree 2011
Die Pilotanlage „Spree 2011” am Berliner Osthafen
Nach starken Regenfällen läuft immer wieder Kloake in die Spree. Die Pilotanlage „Spree 2011“ soll helfen, den Fluss zu reinigen. Doch in Berlin sorgt das Projekt für Konflikte.

Ralf Steeg steckt den Schlüssel in das Schloss, das Gatter fällt nach hinten und gibt den Weg frei zur kleinen Insel aus Metallgittern auf der Spree am Berliner Osthafen. Der Ingenieur geht voran, zeigt auf den Karpfenschwarm im Wasser und auf das Nest unter dem Gitterboden. „Hier brütet ein Blesshuhn“, sagt er. Die Spree und ihre Natur sind das Lebensthema des hageren Mittfünzigers. Ihretwegen hat er diese Anlage gebaut, mit drei großen Rohren unter der Wasseroberfläche. „Wir stehen quasi auf einem großen Hightech-Eimer“, erklärt Steeg schmunzelnd. Er schließt eine Luke auf und legt den Blick auf das Innere der Rohre frei. Ein penetranter Muffgeruch steigt in die Nase, zu sehen ist eine fast schwarze Flüssigkeit mit öliger Oberfläche. Es ist Abwasser aus der Berliner Kanalisation. Nach starken Regenfällen läuft es über und landet nun in diesen Rohren – Dreck, Chemikalien, Fäkalien.

Ohne diese Anlage würde das Abwasser in den Fluss laufen, ihn weiter verdrecken und Fische töten. Das will Steeg verhindern. Seit vielen Jahren propagiert er seinen Traum von der sauberen Spree als Naherholungsgebiet und Badefluss. Deshalb hat er diese Insel durchgesetzt, ein maßgeblich von ihm entwickeltes Pilotprojekt. Steeg nennt es „das Modernste, was es weltweit gibt“ und „das erste Baukasten-System zur Abwasserspeicherung”.

„Spree 2011” ist in Modulbauweise errichtet

Normalerweise werden Wasserspeicher aus Beton unter die Erde gebaut, um ein Überlaufen der Kanalisation zu verhindern. Steegs Anlage besteht aus Glasfaserrohren und Stahlträgern, die in Modulbauweise zusammengesetzt sind und das Abwasser unter der Flussoberfläche zwischenspeichern. Das lasse sich schnell und einfach konstruieren, sei etwa 30 Prozent kostengünstiger als die herkömmlichen Zwischenspeicher und auch noch länger haltbar, erläutert Steeg. Wenn die Kanalisation wieder frei ist, werden das Wasser zurückgepumpt, die Anlage gereinigt und die Abluft gefiltert, damit es auf der Insel nicht stinkt. Die Oberfläche der Konstruktion könnte als Sonnendeck genutzt werden, als Garten oder Rückzugsort für Reiher.

Die Anlage ist seit Jahren Gegenstand eines bizarren Streits zwischen Ralf Steeg und der Berliner Politik. Zehn Jahre lang musste Steeg Klinken putzen, bevor er im Jahr 2013 seine Pilotanlage verwirklichen konnte – „Spree 2011“ genannt. Über sein Ankämpfen gegen die Bedenken der Stadt, des Bezirks, der Wasserbetriebe und des Grundstücks­eigentümers hat die Journalistin Sandra Prechtel ein ganzes Buch geschrieben. Gleichzeitig förderte das Bundesforschungsministerium das Projekt; auf der Expo 2010 in Shanghai wurde Steegs Idee im deutschen Pavillon ausgestellt. Das Buch schildert auch, wie aus dem traumgetriebenen Studenten Ralf Steeg der Gründer einer GmbH wurde. Schließlich konnte er die Pilotanlage bauen. Die Technische Universität Berlin attestierte ihr volle Funktionsfähigkeit. Trotzdem haben die Berliner Wasserbetriebe lange gezögert, die 50 Meter lange Anlage nach Ablauf der zweijährigen Testphase anzukaufen.

„Ein Bewusstsein für das Thema Regenwasser schaffen”

Ein Anruf bei den Berliner Wasserbetrieben: Unternimmt die Stadt zu wenig, um die Überläufe aus der Kanalisation zu stoppen? Sprecher Stephan Natz ­widerspricht und erläutert ausführlich ein aufwendiges Programm, mit dem Stadt und Wasserbetriebe bis 2020 mehr als 300.000 Kubikmeter Stauraum schaffen, komplett unter der Erde. Damit soll die Zahl der Überläufe in die Spree um 50 Prozent reduziert werden. Die „Spree 2011“ fasse gerade einmal 470 Kubikmeter – und allzu viele dieser Inseln könne man auf der Spree nicht verankern, dafür sei sie nicht breit genug. „Ein kleines Instrument in einem Orchester von Maßnahmen“ nennt Natz die Anlage. Sie habe aber eine hohe kommunikative Wirkung: Anders als die unterirdischen Betonspeicher sieht man sie, das helfe, ein Bewusstsein für das Thema zu schaffen. Natz sagt aber auch: „Wir werden Überläufe nie ganz verhindern können“. Dafür falle der Regen an manchen Tagen zu stark.

Ralf Steeg kennt die Einwände und verweist auf die Anpassungsfähigkeit seines Baukastensystems. Die Zahl der Überläufe pro Jahr auf null bis drei zu reduzieren sei möglich, derzeit würden sie nur von 30 auf 15 halbiert. Nichts­destotrotz sieht er den Markt für sein Produkt nicht mehr nur in Berlin, sondern in anderen deutschen Städten – und vor allem im Ausland. Dort sei sein Speichersystem auch deshalb begehrt, weil man es zu einem dezentralen ­Klärwerk ausbauen könne, sagt er. In Vietnam soll Steegs Firma jetzt helfen, einen See zu reinigen.

 

Mehr Informationen:
www.luritec.com

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