Umstrittene Kampagne

Berliner Bezirk verbietet Scheuers Fahrradhelm-Werbung

Carl-Friedrich Höck02. April 2019
Looks like shit but saves my life
Die umstrittene Kampagne – hier auf einer Werbesäule in Berlin-Kreuzberg
Sexistische Werbung auf kommunalen Flächen? Mehrere Städte untersagen das. Eine bezirkliche Jury aus Berlin-Mitte hat nun entschieden: Auch die umstrittene Kampagne #Helmerettenleben aus dem Bundesverkehrsministerium ist als sexistisch einzustufen.

Wie kann man junge Menschen davon überzeugen, Fahrradhelme zu benutzen? Das Bundesverkehrsministerium (BMVI) versucht es zurzeit mit einer Plakatkampagne. Zu sehen sind junge, leicht bekleidete Models, die sich im Bett räkeln – mit Helm auf dem Kopf. Dazu der halb-ironische Spruch: „Looks like shit. But saves my life“ (zu deutsch etwa: Sieht bescheuert aus. Rettet aber mein Leben).

Viel Aufmerksamkeit – aber zu welchem Preis?

Immerhin ein Ziel hat die Kampagne jetzt schon erreicht: Sie erfährt große Aufmerksamkeit. Nicht zuletzt, weil das BMVI für die Werbeaufnahmen mit der Pro-7-Sendung „Germanys next Topmodel“ kooperiert hat. Aber auch, weil das Ergebnis viele Menschen empört.

„Peinlich, altbacken und sexistisch“ findet etwa die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Katja Mast die Werbung. Sogar der Bundesgeschäftsführer des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) reagierte verstimmt: „Viele Menschen ärgern sich über so eine Kampagne, viele Menschen fühlen sich überhaupt nicht ernst genommen.”

Gleichstellungsbeauftragte wettern gegen Fahrradhelm-Kampagne

Kritik an Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) übt auch die Bundesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros und Gleichstellungsstellen. Deren Sprecherinnen Simone Thomas und Heike Gerstenberger sahen sich zu einem Offenen Brief veranlasst. Darin sprechen sie von „Männerphantasien“. Und sie kritisieren, „dass der Verkehrsminister lieber mit halbnackten Helmmodells für Sicherheit wirbt, als mit Tempolimit, Dieselfahrverbot und hohen Steuern für SUVs und andere Luftverpester“.

Ausdrücklich betonen Thomas und Gerstenberger, dass auch die hohe Aufmerksamkeit für das Thema so eine Kampagne nicht rechtfertige. „Es geht immer auch um Inhalte und Bilder, die vermittelt werden und: der Zweck heiligt nicht die Mittel.“

Kommunen gehen gegen sexistische Werbung vor

Das sehen auch zunehmend Kommunen so. Mehrere Städte haben Regeln für dem Umgang mit „sexistischer Werbung“ aufgestellt. Die Berliner Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg und Mitte verbieten sexistische oder anderweitig diskriminierende Werbung auf bezirkseigenen Flächen. Auch in Leipzig und München soll sexistische Reklame nach dem Willen der Stadtparlamente nicht mehr auf kommunalen Flächen gezeigt werden.

Aber wer entscheidet, was als diskriminierend gilt? In Berlin-Mitte gibt es hierfür eine Jury, die sich an einem umfangreichen Kriterienkatalog orientiert. Diese Jury hat sich Scheuers Fahrradhelmkampagne nun angeschaut und entschieden: Tatsächlich verstößt sie gegen die Regeln des Bezirkes. Insbesondere zwei Kriterien für sexistische Werbung sieht die Jury erfüllt: Sie zeige „Personen, die in rein sexualisierter Funktion als Blickfang dargestellt werden.“ Und sie verstoße gegen das Gebot, „keine bildlichen Darstellungen von nackten Körpern ohne direkten inhaltlichen Zusammenhang zum beworbenen Produkt (zu) verwenden.“

Sexismus ist keine Geschmacksfrage

In einer Pressemitteilung des Bezirkes Berlin-Mitte heißt es erklärend: „Die jungen Models und Malemodels werden in Unterwäsche gezeigt. Die gezeigte Nacktheit hat keinen Bezug zum Schutzhelm, der eigentlich beworben werden soll. Durch diesen fehlenden Zusammenhang sind die Motive eindeutig als sexistisch zu bewerten.“ Wichtig sei hier anzumerken, dass es sich bei der Beurteilung der Kampagne nicht um eine Frage des Geschmacks handele. „Ob eine Werbung sexistisch ist oder nicht wird anhand von festgelegten Kriterien im Prüfkatalog entschieden und nicht anhand von persönlichen Vorlieben.“

Das Bezirksamt hat sich an die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz gewendet. In einem Brief wurde Senatorin Regine Günther (parteilos) gebeten, die Motive zu begutachten „und zu prüfen, ob in Berlin Sexismus auf öffentlich verwalteten Werbeflächen stattfinden sollte“, so Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (B90/Grüne).

Beschlüsse in Leipzig und München

In Leipzig wird derzeit die Sondernutzungssatzung überarbeitet. Sie bestimmt Auflagen, an die sich alle halten müssen, die eine Sondernutzungserlaubnis für Werbeanlagen erhalten. Nach dem Willen des Stadtrates soll künftig sichergestellt werden, dass die gezeigte Werbung „keinen diskriminierenden Inhalt im Hinblick auf Herkunft, Abstammung, Religion, Geschlecht, Alter, Behinderung oder sexuelle Orientierung hat noch Personen auf ein sexuelles Objekt reduziert”. Die neue Satzung soll in diesem Jahr vom Stadtrat beschlossen werden.

Der Münchener Stadtrat hat im Oktober 2018 eine neue Klausel beschlossen, die in Verträge zur Nutzung städtischer Werbeanlagen eingefügt werden sollen. Demnach sind Werbeaufträge zurückzuweisen, die gegen die guten Sitten, Gesetze oder die Menschenwürde verstoßen. Weiter heißt es: „Dies gilt auch für sexistische Werbung. Zur Beurteilung, ob es sich um sexistische Werbung handelt, ist die Gleichstellungsstelle der Landeshauptstadt München zu beteiligen. Diese entscheidet im Einzelfall auf Grundlage der Definition des ‘Sexismus-Beirats’ von 1987.”

Noch sind die neuen Münchener Bestimmungen nicht verbindlich. Das Referat für Arbeit und Wirtschaft steht mit den Vertragspartnern der Stadt wegen der Aufnahme der Verbotsklausel in Verhandlungen. Eine DEMO-Anfrage, inwiefern die Fahrradhelm-Kampagne des BMVI als sexistisch bewertet werden würde, wurde bisher noch nicht beantwortet.

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