Interview mit Michael Müller

Berlins Regierender Bürgermeister Müller will Anstieg der Mieten bremsen

Karin Nink10. März 2016
Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller will den Mietkostenanstieg in den Griff bekommen.
Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller will den Mietkostenanstieg in den Griff bekommen.
In der Metropole Berlin wird es eng, steigende Mieten und Wohnungspreise sind die Folge. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller setzt unter anderem auf erhebliche Neubauprogramme, um die Entwicklung zu bremsen. Berlin hat auch einen Sonderfonds für die „Infrastruktur der Wachsenden Stadt“ aufgelegt.

Herr Müller, Berlin steuert bis 2020/2025 auf die Vier-Millionen-Einwohner-Marke zu. Die wachsende Stadt ist in den Fokus der Berliner SPD gerückt. „Gut leben in der wachsenden Stadt“ ist auch Thema des Wahlkampfes für die Wahl im September. Ein wichtiges Anliegen ist bezahlbarer Wohnraum. Wie kann die Landesregierung das Thema Mietkosten in den Griff bekommen, wenn die Nachfrage nach Wohnraum unaufhaltsam steigt?

Wir greifen regulierend und dämpfend ein, aber wir werden den Trend nicht komplett umkehren können. Es ist so: Berlin wird voller, enger, und damit steigen die Nachfrage und die Preise. Aber wir können durch Regulierungsinstrumente wie Mietpreisbremse, Zweckentfremdungsverbot, Milieuschutzsatzungen und vor allen Dingen durch erhebliche Neubauprogramme, die wir zusätzlich finanzieren, gegensteuern und die Entwicklung verlangsamen.

Michael Müller will weiterhin bezahlbaren Wohnraum in Berlin.
Michael Müller will weiterhin bezahlbaren Wohnraum in Berlin.

Das greift schon die nächste Frage auf: Mit welchen Anreizen wollen Sie erreichen, dass mehr günstige und ­gute Mietwohnungen gebaut werden?

Im ersten Schritt nutzen wir unsere sechs Wohnungsbaugesellschaften in Berlin wieder als aktives Element unserer Wohnungsbaupolitik – nicht nur in der Bestandspflege, sondern wieder durch massiven Wohnungsneubau. Die Gesellschaften haben schon erhebliche Bauprojekte umgesetzt und haben noch Zehntausende neue Wohnungen in der Planung. Der Bestand an Wohnungen wird auch durch Zukäufe erhöht. Wir sind gestartet mit 270.000 Wohnungen in dieser Legislatur und werden am Ende der Legislatur 300.000 haben, in den nächsten Jahren werden wir auf 400.000 Wohnungen erhöhen. So erreichen wir auch ein Gegengewicht zum privaten Wohnungsbau. Zweitens gehört dazu, dass wir den geförderten Wohnungsbau finanzieren, um Miethöhen durch staatliche Zuschüsse zu begrenzen. Drittens verpflichten wir auch private Immobilieninvestoren, dass sie, wenn sie Baurecht für teure Wohnungen erhalten, auch ihren Teil zu bezahlbarem Wohnraum leisten müssen.

Städtische Wohnungsbaugesellschaften haben positive Seiten. Doch nicht selten nutzen auch besser gestellte Mieter das Angebot, so dass die Schere nach unten ein Stück weit offen bleibt. Gibt es eine Möglichkeit, das zu verhindern?

Wir haben Kontingente reserviert, sodass wir Wohnungen mit besonderen Zielgruppen belegen können, die unsere Unterstützung brauchen. Das können alleinerziehende, minderjährige Mütter sein, Obdachlose oder Frauen, die Zufluchtswohnungen suchen und nicht in Frauenhäusern Unterkunft finden. Dafür haben wir uns Rechte gesichert, die wir natürlich auch nutzen für Gruppen, die finanziell nicht so stark dastehen.

Kann man festmachen, wie viel für die 400.000 Wohnungen investiert werden muss?

Eine verlässliche Gesamtsumme ist heute schwer zu benennen. Die stark steigenden Grundstückspreise oder die schwer vorhersehbare Baukostenentwicklung erlauben derzeit keine seriöse Kalkulation, höchstens Schätzungen. Wir rechnen damit, dass unsere städtischen Wohnungsbaugesellschaften für ihre jährlich zu bauenden 6000 Wohnungen bis zu einer Milliarde Euro aufwenden müssen. Dazu kommt das, was wir für den Zukauf von Wohnungen in den städtischen Bestand aufbringen müssen.

Reicht diese Marke aus, um den Wohnungsmarkt steuern zu können?

Bei dieser Bevölkerungsentwicklung ist der Bau von mindestens 15.000 Einheiten im Jahr nötig. Ich will offen sagen: Wir werden nicht verhindern können, dass die Mieten auch in Berlin steigen – aber wir werden in allen Stadtteilen auch bezahlbare Mieten erhalten oder schaffen können – eben weil in allen Stadtteilen Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften existieren. Es ist ja ein Problem vieler anderer Millionenstädte, die in der Innenstadt nur noch privaten, teuren Wohnungsbau haben. Wir werden durch unsere Aktivitäten diese Entwicklung in den nächsten Jahren verlangsamen. Und trotzdem gilt: Je mehr Angebot, desto besser – deshalb ist mir auch der private Wohnungsbau wichtig.

Wird die bunte Mischung in den Kiezen, wie man in Berlin sagt, erhalten bleiben? Wir sehen ja jetzt in manchen Vierteln, alles Neue ist schick und schön – aber wie sieht es in fünf Jahren aus?

Wir haben ja die wichtige Voraussetzung, dass immer noch über 80 Prozent der Berliner Wohnungen Mietwohnungen sind. Das sorgt schon mal dafür, dass auch Leute mit normalem Einkommen die Chance auf eine Wohnung im Zentrum haben, ohne 400.00 oder 500.000 Euro auf den Tisch legen zu müssen. Es ist wichtig, den Mietwohnungsmarkt zu erhalten und zu stützen. Dabei hilft die eben schon angesprochene Mischung unterschiedlicher Akteure: private, landeseigene Gesellschaften und Genossenschaften, sowie geförderter Wohnungsbau. Wir haben in Berlin auch das schnelle Umwandeln von Miet- in Eigentumswohnungen verhindert. Und es kommt uns auch der vom Bund geförderte Wohnungsbau zugute.

An dieser Stelle möchte ich aber auch meine Kritik an der geplanten Bundesförderung nicht verschweigen: Mit dem Programm, das das Bundeskabinett vorgelegt hat, wird eher der hochpreisige Wohnungsbau unterstützt. Wohnungen mit einem Zuschuss zu fördern, die bis 3000 Euro pro Quadratmeter kosten, führt in die falsche Richtung. Da landet man bei Mieten von bis zu 20 Euro auf den Quadratmeter, das ist keine bezahlbare Miete. Stattdessen hätte man jene bezuschussen müssen, die für 1800 Euro pro Quadratmeter bauen. Denn niedrige Baukosten bedeuten niedrige Miete. In dieser Frage bin ich auch mit anderen Ministerpräsidenten und der Bundesregierung im Gespräch.

Mit Blick auf das akute Thema Flüchtlinge will der Senat 30.000 Wohnungen in modularer Bauweise errichten, dazu kommen 15.000 Container. Ist unter dem Druck, unter dem das Land Berlin derzeit steht, langfristige Stadtentwicklungsplanung überhaupt möglich?

Das ist möglich. Wohnungsbau ist ja nur ein Segment in der Stadtentwicklungspolitik. Außerdem ist das nicht eine Maßnahme nur für Flüchtlinge. Für die müssen wir jetzt besonders schnell reagieren, damit wir sie gut unterbringen können und sie rauskommen aus den Notunterkünften oder Turnhallen. Die modulare Bauweise mag für uns Deutsche gewöhnungsbedürftig sein, aber in Schweden wird das schon länger gemacht - mit guten Erfahrungen. Das sind keine Häuser für 200 Jahre, aber eben für 50 Jahre. Diese Wohnungen können – jenseits der Flüchtlinge – auch anderen zugutekommen, Studierenden oder Menschen, die sich temporär in der Stadt aufhalten. Ich finde es richtig und wichtig, dass wir auch für diese Personengruppen etwas anbieten. Das ist im Rahmen der Stadtentwicklungspolitik ein bereicherndes Element.

Wenn man die Gesamtprognose betrachtet – vier Millionen ­Menschen – mit wie viel Köpfen pro Jahr rechnet das Land?

Wir haben in den vergangenen fünf Jahren 40.000 Einwohner pro Jahr zusätzlich bekommen. In den nächsten fünf Jahren werden wir eine besondere Dynamik in der Zuwanderung bekommen: Viele von den 250.000, 300.000, die wir in Berlin erwarten, kommen in den nächsten fünf, sechs Jahren und dann wird es sich voraussichtlich wieder etwas verlangsamen. Natürlich gibt es unkalkulierbare Faktoren, es ist eben nur eine Prognose. Aber wir gehen davon aus, dass wir ganz besonders viel tun müssen in den kommenden Jahren.

Pro Jahr eine Kleinstadt zusätzlich ...

Ja, aber ich freue mich über diese Entwicklung, es ist ein positives Zeugnis für eine Stadt, wenn so viele kommen und nicht 40.000 Menschen gehen. Das eigentlich wichtige Thema ist übrigens nicht allein das Wohnungsthema. Sondern zum guten Wohnen gehören begleitende Infrastruktur, das entsprechende Bildungsangebot, die Krankenhäuser, die Grünflächen. Dass man auch mal etwas nicht bebaut, weil man den Park braucht. Radwegeausbau. Zusätzliche Recycling- und Abfallsysteme. Es hört sich banal an, aber wir müssen jedes Jahr eine komplette Stadtstruktur zusätzlich planen und erweitern.

Berlin ist eine Stadt mit vielen Zentren. In welchen Vierteln sehen Sie gutes Entwicklungspotenzial?

Es verteilt sich über die ganze Stadt – besonders nachgefragt sind natürlich Innenstadtlagen innerhalb des S-Bahn-Rings. Es ist für Jüngere und Ältere attraktiv, möglichst viele Wege zu Fuß oder mit dem ÖPNV zurücklegen zu können, zur Arbeit, zum Theater, zum Arzt zu laufen oder mit dem Fahrrad zu fahren. Da wird es darum gehen, dichter und höher zu bauen, also Grundstücke anders zu nutzen als bisher und auch mal über 100 Meter hohe Häuser nachzudenken. In den Bereichen außerhalb des S-Bahn-Rings haben wir noch größere Flächenpotenziale.

Berlin hat das Sondervermögen „Infrastruktur der Wachsenden Stadt“ gebildet, in das fast 500 Millionen Euro geflossen sind. Das Vermögen ist vom übrigen Vermögen und dem normalen Haushaltsplan des Landes Berlin getrennt. Wofür ist das Geld gedacht?

Das Konstrukt ist, dass 50 Prozent unseres Haushaltsüberschusses in Schuldentilgung gehen und 50 Prozent in den Investitionstopf fließen. Im Jahr 2016 werden wir weitere 193 Millionen Euro zusätzlich in die Infrastruktur investieren. Der Senat macht einen Vorschlag für die Verwendung, das Parlament prüft, ergänzt gegebenenfalls unseren Vorschlag und gibt dann die Gelder frei. Der Zweck ist, dass wir zu unseren 1,5 Milliarden Investitionsausgaben pro Jahr, die ohnehin im Haushalt sind, weitere und spürbare finanzielle Spielräume zuführen. Denn: Durch die harten Sparjahre in Berlin, wo wir erstmal runterkommen mussten von unseren hohen Schulden, ist viel liegengeblieben. Man sieht es an den Straßen, an der öffentlichen Verwaltung, an den Schulen. Man sieht es daran, dass Personal über die Maßen eingespart wurde. Diesen Rückstand holen wir mit den zusätzlichen Investitionsmitteln auf. Das Geld ist wirklich für zusätzliche Investitionen in Baumaßnahmen oder Personal bestimmt, nicht für den laufenden Betrieb. 

Können Sie Beispiele nennen?

Mehr Personal für Polizei und Feuerwehr oder für die Bauämter, damit Baugenehmigungen schneller erteilt werden können. Es gibt auch einen klaren Schwerpunkt im Bildungsbereich: zwischen 2012 und 2015 haben wir 35.000 schulpflichtige Kinder zusätzlich in unsere Stadt bekommen. Das bedeutet den Bau von Schulen und Kitas. Auch die BaFöG-Millionen, die der Bund jetzt übernimmt, werden eins zu eins in Bildung investiert. Wir haben unser Wohnungsbauprogramm verdreifachen können. Das sind wichtige Schritte nach vorn.

Berlin braucht dringend mehr Lehrer, insbesondere Grundschullehrer. Was wird hier getan?

Über 2600 Lehrer haben wir allein in 2014 neu eingestellt. Auch bei Erziehern und Erzieherinnen steuern wir ständig nach. Inzwischen geht es in den wachsenden Städten gar nicht mehr um Geld und Stelle. Sondern darum, wie wir das qualifizierte Fachpersonal für Schul- oder Kitadienste oder die öffentliche Verwaltung kriegen. Es ist wichtig, dass wir uns länderübergreifend verständigen, wie diese Berufe aufgewertet werden können, durch Studiengänge, neue Ausbildungsmöglichkeiten. Das schlechteste ist der Wettbewerb zu Lasten des Nachbarbundeslandes.

Lehrer in Berlin sind Angestellte, was sich als Standortnachteil auswirkt. Will Berlin seine Lehrer wieder verbeamten?

Das ist eine schwierige Diskussion, da es uns als Standortnachteil ausgelegt wird, obwohl wir die Einstiegsgehälter zum Beispiel für angestellte Oberschul-Lehrerinnen und -Lehrer deutlich auf immerhin über 4.800 Euro angehoben haben. Da ist gar kein großer Unterschied mehr. Wir haben uns damals bewusst so entschieden, wegen unserer katastrophalen Finanzsituation. Denn Verbeamtung bedeutet immer, Lasten in die Zukunft zu schieben. Es ist ein schwieriger, ein harter Weg, doch wir werden wohl dabei bleiben.

Bis zum Jahr 2050 will Berlin klimaneutral sein. Luft- und Lärmbelastung sind schon heute hoch – wie kann Berlin leiser und sauberer werden?

Klimaneutralität bedeutet, dass wir unseren CO2-Ausstoß um 80 Prozent reduzieren, gemessen am Jahr 1990. Da spielt der Verkehr natürlich eine Rolle. Aber wir müssen auch sehr viel tun im Bereich des Gebäudebestandes, insbesondere was Wärmedämmung anbelangt. Auch Energieverbrauch der Berliner Wirtschaft bis hin zum privaten Verbrauch ist ein Thema. Beim Verkehr setzen wir auf einen Verkehrsmix zwischen ÖPNV, Fahrrad, und motorisiertem Individualverkehr. Wir brauchen ein Verkehrsangebot für die jeweils erforderliche Verkehrssituation. Mal mit dem Kombi für die Familie einkaufen, aber mit dem Fahrrad zur Arbeit. Deshalb gibt es Straßenausbaupläne und einen schrittweisen Ausbau der Fahrradwege. Es gibt zusätzliche Milliardeninvestitionen in den ÖPNV. Wir machen den Fußverkehr sicherer, die Stadt wird barrierefreier. All das soll dazu beitragen, dass wir wegkommen von der Fixierung auf den motorisierten Individualverkehr. Es gibt aber keine Maßnahmen, die eine Art des Verkehrs ausgrenzen sollen. Der Mix ist entscheidend. Was den Ausbau der E-Mobilität angeht, bringt das nicht nur bei Carsharing oder privaten Fahrzeugen etwas, sondern wäre insbesondere im Nutzfahrzeugbereich zielführend. Und es hätte den Vorteil, dass Lieferzeiten ausgeweitet werden könnten, weil Elektromobilität nicht nur sauber, sondern auch leise ist.