Kinder- und Jugendpartizipation

Beteiligung als Grundrecht

Carl-Friedrich Höck27. März 2018
Schaufenster des Vereins Kinderfreundliche Kommune in Berlin. Mit 16 Kommunen arbeitet der Verein bereits zusammen.
Ein Verein in Berlin verleiht das Siegel „Kinderfreundliche Kommune“. Erster Schritt ist stets ein Ratsbeschluss. Die Stadt Potsdam steebt die Auszeichnung an und hat einen Aktionsplan mit 58 Maßnahmen aufgestellt.

Das UN-Recht wird in einem unscheinbaren Büro in Berlin-Mitte umgesetzt. Etwas versteckt liegt der Eingang im Erdgeschoss eines Plattenbaus in der vielbefahrenen Leipziger Straße. Hier arbeitet der Verein Kinderfreundliche Kommunen, genauer: ein fünfköpfiges Team um Geschäftsführerin Heide-Rose Brückner. Ihr Auftrag: Die Kommunen bei der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention zu begleiten, der Deutschland zwar schon 1992 zugestimmt hat, die aber erst seit 2010 ohne Vorbehalte gilt. Sie beinhaltet unter anderem das Recht auf Gesundheit, auf Bildung und Ausbildung sowie auf Spiel und Erholung. Aber auch ein Recht auf Meinungsfreiheit und Partizipation ist in der Konvention festgeschrieben. Die Vertragsstaaten „berücksichtigen die Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife“, heißt es in Artikel 12.

Aus dem Recht werden Konzepte

Die Vorgaben sind verbindlich, aber allgemein gehalten. Heide-Rose Brückner spricht von „Bausteinen“. Wie diese in der Praxis genau ausgestaltet werden, können die Länder entscheiden – allerdings entwickelt ein UNICEF-Forschungszentrum internationale Standards und Instrumente. In Deutschland erstellte die Bundesregierung ab 2005 zunächst einen „Nationalen Aktionsplan für ein kindergerechtes Deutschland“. Und seit 2012 arbeitet der Verein Kinderfreundliche Kommunen daran, gemeinsam mit den Städten und Gemeinden konkrete Konzepte zu erstellen. Träger des Vereins sind UNICEF und das Deutsche Kinderhilfswerk.

Der Verein vergibt an vorbildliche Städte das Siegel „Kinderfreundliche Kommune“. „Wir siegeln einen Prozess“, erklärt Brückner. Denn die Urkunde erhalten die Kommunen nicht für ihre bereits bestehenden Kitas oder Spielplätze, sondern für ihr Versprechen, in den kommenden Jahren einen Aktions­plan umzusetzen. Diesen erstellen sie zuvor gemeinsam mit dem Verein. Regelmäßige Schwerpunkte sind dabei: Das Kindeswohl (das in allen kommunalen Verfahren verankert sein soll), eine kinderfreundliche Rahmengebung (mit entsprechenden Institutionen und Ansprechpartnern), Beteiligungsverfahren sowie Informationen über Kinderrechte.

Erster Schritt zur kinderfreundlichen Kommune: ein Ratsbeschluss

Der erste Schritt auf dem Weg zur kinderfreundlichen Kommune ist stets ein Ratsbeschluss. Im zweiten Schritt muss die Verwaltung einen Fragebogen zur Kinderfreundlichkeit ausfüllen und Informationen zusammentragen, etwa zu bestehenden Netzwerken und Einrichtungen oder zur Gesundheitsstruktur. Schon das sei oft eine große Hürde, erklärt Heide-Rose Brückner. Nicht nur, weil die Informationen von verschiedenen Ämtern und Verwaltungsebenen zusammengetragen werden müssen. „Viele Kommunen verfügen nicht über die Daten, die sie eigentlich bräuchten.“ Auch die Kinder und Jugendlichen selbst werden befragt, wie sie ihre Kommune erleben. Der Verein wertet die Fragebögen mit Kommunalvertretern sowie mit Sachverständigen aus.

Auf die Standortbestimmung folgt ein umfassendes Beteiligungsverfahren mit Kindern und Jugendlichen. Dieses ist wiederum Grundlage für den kommunalen Aktionsplan. Insgesamt sei der Prozess „sehr anspruchsvoll und nicht auf ­einer Backe zu machen“, betont Brückner.

Potsdam: Ein Plan mit 58 Maßnahmen

Die Stadt Potsdam zum Beispiel hat rund zwei Jahre benötigt, um ihren Aktionsplan aufzustellen – er wurde in sämtlichen kommunalen Ausschüssen ausführlich diskutiert. Seit Oktober 2017 trägt die Landeshauptstadt nun das Siegel „Kinderfreundliche Kommune“.
Potsdams Jugend-Beigeordneter Mike Schubert hat zum Gespräch eine Zusammenfassung des Aktionsplans in Tabellenform mitgebracht. Allein diese umfasst schon zwölf eng bedruckte DIN-A3-Seiten. Insgesamt 58 Maßnahmen sind geplant. Zum Beispiel: Die Beteiligungsgrundsätze der Stadt werden um Kinder- und Jugendbeteiligung erweitert. Schulsportplätze sollen – wenn möglich – nach dem Unterricht und am Wochenende für andere Aktivitäten geöffnet werden. Im Bürgerservice wird Infomaterial zu Kinderrechten ausgelegt. Und Investoren sollen im Rahmen von Bebauungsplanverfahren „eine attraktive Freiraumgestaltung bei Wohnquartieren“ sichern.

Potsdams Beigeordneter für Jugend Mike Schubert

Danach gefragt, was Kinderfreundlichkeit für ihn bedeutet, nennt Mike Schubert zwei Schlagworte: Mitwirkung und Teilhabe. Kinder sollen „bei der Gestaltung ihres Lebensumfeldes mitentscheiden“. Und sie sollen alle an der Stadtgesellschaft teilhaben können, ob es nun um Frühstücksaktionen geht, den Sportverein oder kulturelle Angebote.

Beteiligung funktioniert „nicht nach Blaupause“

Wie funktioniert die Beteiligung? „Nicht nach Blaupause“, antwortet Schubert. Je nach Thema werde nach einem Modell gesucht, das genau auf den Stadtteil passt. Mal laufe die Mitsprache über die Schulen, mal über die Jugendklubs oder ein Workshop-Verfahren.
Für all das wird die Stadt auch Geld in die Hand nehmen. Was die Umsetzung des Aktionsplanes kosten wird, lasse sich aber noch nicht beziffern, sagt Schubert.

Umgekehrt sollte man den Nutzen auch nicht nur in Geld bemessen, meint der Sozialdemokrat. „Ich sehe das als ­eine Aufgabe an, die wir als Stadt haben.“ Man könne es auch mit den Worten der ehemaligen NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft sagen: „Wir dürfen kein Kind zurücklassen!“

Kinder sind Experten in eigener Sache

Aber muss man die Kinder dafür gleich umfassend beteiligen? Können die gewählten Stadtverordneten sie nicht einfach mitdenken und für sie mitentscheiden? Die Frage bringt den Jugend-Beigeordneten zum Schmunzeln. „Warum sollten sie?“, entgegnet er. Wenn man etwas plane, müsse man die entscheiden lassen, die es später nutzen wollen. „Und es sind ja nicht die Eltern, die einen Spielplatz nutzen“, merkt Schubert an.

Genauso sieht es auch Heide-Rose Brückner: „Machen Sie mal eine Schulwegplanung mit Kindern!“ Diese hätten ganz andere Sichtachsen als Erwachsene, wenn sie zum Beispiel nicht über ­eine Hecke hinüberschauen können. Kinder seien Experten in eigener Sache.
Diesem Motto folgen immer mehr Kommunen. Insgesamt 16 beteiligen sich bereits an Verfahren mit dem Verein Kinderfreundliche Kommunen. Begonnen hat es 2012 mit den ausgewählten Pilot­kommunen Köln, Wolfsburg, Regensburg, Hanau, Senftenberg und Weil am Rhein. Seit 2014 können sich alle Kommunen ab 5.000 Einwohnern um das Siegel des Vereins bewerben.