Digitalisierung

Breitband: Warum sich der Gigabit-Ausbau hinzieht

06. August 2020
Wird sich der Gigabit-Ausbau in Deutschland, vor allem im ländlichen Raum, um Jahre verzögern?
Der flächendeckende Ausbau des Breitbandnetzes im Gigabit-Bereich dauert länger und wird für den Bund vermutlich teurer. Dies befürchten Experten und der Deutsche Landkreistag.

Mit dem schnellen Internet ist es so eine Sache. Viele Regionen in Deutschland verfügen über Bandbreiten und Geschwindigkeiten, die in den 1990er-Jahren Stand der Technik waren. Das geht im 21. Jahrhundert gar nicht mehr – längst haben sich die technischen Anforderungen verändert und die Datenmengen erhöht, die da im Millisekundentakt auf die Reise geschickt werden. Dass das Netz schneller werden muss, wissen auch die beiden Berliner Koalitionsparteien SPD  und CDU/CSU

Koalitionsvertrag: Ausbau bis 2025

Der Ausweg, dass Netz schneller zu machen, ist für die Sozialdemokraten bei den Koalitionsverhandlungen längst klar gewesen. Sie haben es geschafft, dass der „Weg in die Gigabit-Gesellschaft“ laut Koalitionsvertrag ganz oben auf der Liste der Projekte der künftigen Bundesregierung steht. Der flächendeckende Gigabit-Ausbau solle demnach bis zum Jahr 2025 erfolgen.

Dafür stehen rund 6,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Mit ihnen sollen etwa 1.500 Projekte in Sachen Gigabit-Ausbaus gefördert werden. Dies teilte laut Handelsblatt jüngst das zuständige  Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) auf Anfrage der FDP-Fraktion mit.

Streit um die „Aufgreifschwelle“

Allerdings steht zu befürchten, dass alle guten Absichten, auch den letzten Winkel des Landes von der sprichwörtlichen Datenlandstraße auf die -autobahn zu holen nicht nur länger dauern, sondern auch teurer werden. Das zumindest befürchten Experten und der Deutsche Landkreistag. Hintergrund: Ende Juli berichtete ebenfalls das Handelsblatt, dass jetzt auch die EU-Kommission grünes Licht für die deutsche Gigabit-Förderung gegeben habe. Formell müsse Brüssel den seit Sommer 2018 verhandelten Kompromiss im September noch genehmigen. Eine Anfrage an die  Vertretung der EU-Kommission in Deutschland  ist bis Redaktionsschluss unbeantwortet geblieben.

Laut Handelsblatt muss Deutschland dafür eine Kröte schlucken. Ihr Name: Aufgreifschwelle. Das bedeutet, dass nur Projekte gefördert werden dürfen, die eine festgelegte Geschwindigkeit bislang nicht erreicht haben. Im Jahr 2015 waren es noch 30 Megabit pro Sekunde (Mbit/s). Dieser Wert wurde vor einigen angesichts der technischen Entwicklung in der Förderkulisse auf 100 Mbit nach oben gesetzt. Doch Netzexperten, Bundes- Landes- und Kommunalpolitiker insbesondere der SPD beknieten BMVI-Chef Andreas Scheuer (CSU), sich für die Gigabit-Aufgreifschwelle stark zu machen – vergebens.

Es soll bis Ende 2022 die 100-Mbit-Aufgreifschwelle gelten. Sie entfällt nur bei sogenannten sozio-ökonomischen Treibern. Dazu gehören laut Handelsblatt „Schulen, Rathäuser, Hauptanbieter öffentlicher Dienste wie Ärzte und Krankenhäuser sowie Unternehmen und Verkehrsknotenpunkte“, wo es bereits Anschlüsse mit bislang 100 Mbit gibt.

Sager: „Das wirft uns zurück“

Zu den Verbänden, die diesen zwischen Brüssel und Berlin ausgehandelten Kompromiss gar nicht so lustig finden, gehört der Deutsche Landkreistag. „Das bedeutet, dass in den nächsten zweieinhalb Jahren staatliche Investitionen in Gigabit-Verbindungen grundsätzlich nicht stattfinden dürfen. Das ist keine gute Nachricht, sondern wirft uns zurück“, sagt Reinhard Sager, Präsident des Deutschen Landkreistags.

Auch die Kommunen dürften darüber nicht allzu glücklich sein. Davon ist Peer Beyersdorff, Geschäftsführer des Breitbandzentrums Niedersachsen-Bremen (BZNB), überzeugt. In der Praxis heiße dies, dass um einen Kabelverzweiger herum und entlang der Straße nicht gefördert werden dürfe, weil die 100 Mbit-Geschwindigkeit bereits erreicht werde. Die Nutzer am Ende der Strecke hingegen kämen in den Genuss der Förderung, weil das Netz dort langsamer wird. „Dann wird natürlich Gigabit beantragt“, sagt der BZNB-Chef. Diese kleinteilige Förderung werde am Ende für den Bund und die Länder viel teurer.

Verzögerung befürchtet

Hinzu kommt nach Überzeugung von Beyersdorff, des Deutschen Landkreistags und sozialdemokratischer Netzpolitiker, dass sich der Ausbau des Gigabitnetzes um Jahre verzögern wird. Dies liege unter anderem daran, dass das Förderprogramm erneut angeschoben werden müsse. Ohne längere Anlaufzeiten funktioniere das nicht.

Auch die Ausnahmen machten den Kompromiss nicht besser, erklärt Landkreistag Präsident Sager: „Der Breitbandausbau ist am Ende ein Flächenausbau, es darf hier keine Unterschiede geben. Nicht zuletzt geht es um die Menschen, die in den ländlichen Räumen leben und denen es nicht zu vermitteln sein wird, warum nicht endlich überall der schon im Koalitionsvertrag angekündigte geförderte Ausbau von Glasfasernetzen möglich ist.“

Wie groß der Nachholbedarf in Deutschland ist, habe die Coronakrise in den vergangenen Wochen mehr als deutlich gezeigt. Dort, wo es nicht die entsprechende Versorgung mit Breitband gibt, seien die Menschen abgehängt.

Förderungen werden nicht abgerufen

Unterdessen ist bekannt geworden, dass es nicht nur beim Gigabitausbau hängt. Eine Anfrage der Bundestagstagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen  hat offengelegt, dass die bewilligten Förderungen vielfach gar nicht von Landkreisen abgerufen werden. Demnach sind im ersten Halbjahr 2020 insgesamt 188 Millionen Euro aus Berlin in Anspruch genommen worden.

Der Großteil in Höhe von rund 116 Millionen Euro fließt dorthin, wo sich ein privatwirtschaftlich getragener Ausbau nicht lohnt. Diese sogenannte Wirtschaftlichkeitslücke wird durch Steuergeld geschlossen. Ein weitaus geringerer Teil, nämlich 67 Millionen Euro, fließt in kommunale Betreibermodelle. Das bedeutet, dass eine Kommune oder ein Landkreis ihre eigene passive Infrastruktur errichten lassen können und diese anschließend an einen Netzbetreiber vermieten.

Aus der Antwort der Bundesregierung an die Grünen geht ebenfalls hervor, dass für 91 Projekte die bewilligte Förderung im Gesamtwert von rund 813 Millionen Euro gar nicht erst abgerufen worden ist. Die Gründe dafür seien unterschiedlich, berichten mehrere Medien. So setzten Kommunen entweder auf Landesförderungen und auf private Anbieter. Aber auch aufwändige Planungen, komplizierte Bewilligungsverfahren seitens des Bundes sowie fehlende Kapazitäten bei Baufirmen werden als Gründe genannt.

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