Interview mit Uwe Bodemann

„Bühne des Lebens in der Stadt“

Karin Billanitsch05. Mai 2020
Uwe Bodemann: „Öffentliche Räume geben dem Wohnen und Leben in den Städten ihren Sinn.“
Städtebauliche Prozesse laufen dank moderner Kommunikation auch während der Corona-Pandemie weiter. Ein Gespräch mit Uwe Bodemann, Stadtbaurat in Hannover

Welche Bedeutung hat der öffentliche Raum für Menschen gerade in Großstädten?

Der öffentliche Raum, Straßen, Plätze und Parks, haben in der europäischen Stadt immer eine besondere Rolle gespielt. Sie sind die Bühne des Lebens in der Stadt. Der öffentliche Raum ist Erholungsort, Treffpunkt, ja auch Ort der Selbstdarstellung. Er ist nicht zuletzt der Raum für Feste oder auch der Raum für politische Manifestationen. Öffentliche Räume geben dem Wohnen und Leben in den Städten ihren Sinn. Gerade in den Tagen der Kontaktsperren während der Corona-Krise nehmen wir alle wahr, wie ruhig und leer eine Stadt wird, wenn das öffentliche Leben in den Straßen und auf den Plätzen zum Erliegen kommt.

Laufen die Prozesse in Ihrem Bereich unbehindert weiter? Oder sind Sie im Krisenmodus?

Dank moderner Technik und guter Organisation laufen alle Prozesse in unseren Bereichen weiter. Allerdings ist es für uns wie auch für Menschen, die unsere Dienstleistung erwarten, eine vollkommen neue Situation. Wir kommunizieren nur noch über Mail, Telefon oder Video. Ich persönlich vermisse den direkten Kontakt im Haus zu Kolleg*innen, Bauherren und Architekt*innen. Ich glaube fest daran, dass der unmittelbare Kontakt nicht zu 100% durch die digitale Kommunikation ersetzt werden kann. Nur durch den persönlichen, mitunter auch dem spontanen, ungerichteten Kontakt entstehen Anregung und Kreativität.

Welche Erkenntnisse ziehen Sie aus der Corona-Pandemie?

Gerade in diesen Tagen stellen wir fest, dass wir hier in Deutschland in vielen Bereichen unseres Lebens gut aufgestellt sind. Ich beziehe dies auf die grundsätzlich infrastrukturell ausgerichteten Bereiche. Hier und heute sind es im Besonderen die Sektoren der gesundheitlichen Versorgung. Dies gilt insbesondere, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass es auch in angespannter Lage immer noch möglich ist, Patienten aus europäischen Nachbarländern hier im Lande zu behandeln.  Gleichzeitig stellen wir fest, dass unsere digitale Infrastruktur deutlich verbessert werden muss und wir insgesamt lernen müssen, uns rechtzeitiger auf vergleichbare Situationen einzustellen.

Am Stadtrand von Hannover soll ein neues Wohnquartier entstehen, Kronsrode, das größte Bauprojekt Niedersachsens, heißt es. Vor welcher räumlichen Ausgangsituation standen Sie?

Angesichts der angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt mussten wir Mitte des vergangenen Jahrzehnts feststellen, dass wir den Bedarf für neuen Wohnungsbau nicht mehr allein auf Flächen der Innenentwicklung oder Konversion abbilden können. Der Rat hatte uns daher beauftragt, den zweiten, bisher noch nicht realisierten Bauabschnitt der in den 1990er Jahren zu Zeiten der EXPO realisierten Kronsberg-Siedlung planerisch in Angriff zu nehmen. Dieser zweite, unmittelbar südlich angrenzende Bereich war im Flächennutzungsplan der Stadt bereits als Wohnbauland dargestellt und durch die Entwicklung des benachbarten EXPO-Geländes bereits vorzüglich an das Stadtbahnnetz der Stadt angeschlossen. Zudem ist die Fläche dieses zweiten Bauabschnitts nördlich, östlich und südlich durch verschiedene parkartig gestaltete Freiräume gerahmt, sodass wir unser städtebauliches/freiräumliches Konzept unkompliziert in dieses gut vorbereitete Passepartouts einfügen konnten.

Welche Rolle spielen Gedanken zur Nachhaltigkeit bei dem geplanten Quartier? Rat und Verwaltung der Landeshauptstadt setzen im Zuge ihrer Projekte sehr konsequent Kriterien des nachhaltigen Bauens um.

Es versteht sich von selbst, dass nun die Fortsetzung der Kronsberg-Bebauung, die ja zu ihren Ursprungszeiten bereits national und international aufgrund ihrer besonderen ökologischen Bauweise auf sich aufmerksam machte, diesem in keiner Weise nachsteht. Das in die Zukunft weisende nachhaltige Gesamtkonzept des neuen Stadtteils wird mit allen erprobten Mitteln und Instrumenten des nachhaltigen Bauens fortgeschrieben. Dies bezieht sich unter anderem auf die Einhaltung definierter und zukunftsweisender Energiestandards für Gebäude, der Energieversorgung, der Förderung zukunftsweisender Mobilitätskonzepte sowie die Umsetzung planungs- und baubegleitender Qualitätssicherung wie auch die Verwendung umweltverträglicher Baumaterialien.

Früher sind an Stadträndern eher schlecht angebundene Neubaugebiete, oft mit monotonen Einfamilienhäusern entstanden. Haben die Kommunen aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt?

Kronsrode wie auch unsere anderen neuen Wohngebiete sind in der Regel gut an den öffentlichen Verkehr angebunden. Aufgrund der vom Rat der Stadt beschlossenen Sozialquote von 30% gefördertem Wohnungsbau in jedem Wohnprojekt garantieren wir eine ausgewogene soziale Mischung in den Quartieren. Wir bringen in unseren Wohngebieten auf nahezu jedem Grundstück Reihenhäuser und Geschossbauten zusammen. Hierdurch verhindern wir, dass sich in den Gebieten innerörtlich sozial segregierte Bereiche entwickeln. Des Weiteren fordern wir für unsere neuen Gebiete Architektenwettbewerbe. Auch hierdurch wird sichergestellt, dass der gegenwärtig in großer Zahl entstehende Wohnungsbau nicht in Eintönigkeit verfällt.

Wenn von Hannover die Rede ist, fällt oft der Begriff von der „autogerechten Stadt“. Nun ist die Vision: Bis spätestens 2030 soll ein Teil der City autofrei sein, vor allem um die Marktkirche kann der Raum neu genutzt werden. Arbeiten Sie schon an dieser Vision?

Mit dem Ziel, die Hannoversche Innenstadt bis zum Jahr 2030 autofrei zu gestalten,  ist Oberbürgermeister Onay im Herbst vergangenen Jahres zur Wahl angetreten. Die Bauverwaltung entwickelt daraufhin gegenwärtig eine Vorstellung, wie sich die Idee, die Innenstadt autofrei, autoarm oder autoreduziert zu gestalten, umsetzen ließe, welche zeitlichen Schritte denkbar sein könnten und welche Potentiale hierdurch gehoben werden könnten. Ein erstes Referenz-Projekt könnte der anstehende Umbau der Schmiedestraße im Herzen der Innenstadt sein. Insbesondere ein umgestalteter Hanns-Lilje-Platz an der Marktkirche könnte in diesem Zusammenhang eine Schlüsselstellung im Hinblick auf eine stärkere Verknüpfung der Hannoverschen Altstadt und des Stadtraumes an der Leine mit der Einkaufstadt in der City einnehmen.

Grün- und Freiflächen werden immer stärker genutzt. Doch Sportplätze und Spielflächen kommen wegen der Nachverdichtung in Innenstädten oft zu kurz. Wie geht Hannover mit dem Konflikt zwischen Bebauung und für die Gesundheit wichtigen Freiflächen um?

Hannover erkennt den Zielkonflikt zwischen den Flächenansprüchen für z.B. Wohnungsbau und dem gleichzeitigen Bedarf an Flächen für Sport, Freizeit, Erholung und Natur in der Stadt. Den politischen Gremien liegt daher gegenwärtig ein umfassendes Freiraumentwicklungskonzept zur Beratung vor. Flankiert wird dieses Planwerk durch einen Sportentwicklungsplan. Bereits bei den ersten Überlegungen für neue Wohngebiete finden diese Planwerke Berücksichtigung. In die konkrete Entwurfsphase werden von Anbeginn Landschaftsarchitekturbüros einbezogen, damit bereits zu einem sehr frühen Planungsstadium die Aspekte Freiraum, Natur und Landschaft in der Stadt aufgenommen werden können.

In diesem Zusammenhang spielt auch die Stadtnatur eine wichtige Rolle. Unterstützt die Landeshauptstadt Urban-Gardening-Initiativen, die oft monotone Stadtbilder auflockern?
Allein das reiche Erbe des Garten-Ensembles Herrenhausen prägt die Struktur unserer Stadt in einer einzigartigen Art und Weise. Hannover, die Stadt der Gärten, als überaus grüne Stadt mit dem größten Stadtwald Deutschlands in seiner Mitte fühlt sich seiner Freiraumkultur in besonderer Art und Weise verpflichtet. Aus diesem Grunde werden private Initiativen, wie das Urban Gardening, in hohem Masse begrüßt.

Worauf freuen Sie sich am meisten, wenn die Ausgangssperren wieder gelockert werden?
Ich freue mich schon heute darauf, auf einem der wunderbaren Plätze in der Stadt – vielleicht an dem soeben umgestalteten Hohen Ufer an der altstädtischen Leine - bei gutem Wetter unter vielen Menschen, die sich dann wieder in der Stadt bewegen, eine Tasse Kaffee zu trinken.

 

 

Zur Person

Nach seinem Abitur 1974 studierte Uwe Bodemann von 1975 bis 1978 an der Fachhochschule Oldenburg im Fach­bereich Bauwesen, von 1979 bis 1985 dann Architektur an der Universität Hannover.  
Nach beruflichen Stationen in Hamburg und Bremen ist ­Bodemann, Jahrgang 1955, seit dem Jahr 2008 Stadtbaurat in Hannover. Außerdem ist er Mitglied im Aufsichtsrat der Gesellschaft für Bauen und Wohnen Hannover mbH (GBH) und des Bau- und Verkehrsausschusses des Deutschen Städtetags. Er plant, Ende
Oktober 2020 in den Ruhestand zu gehen.