Gesetzentwurf

Warum die Bundesregierung eine Wohnungslosen-Statistik plant

Carl-Friedrich Höck14. Januar 2020
Eine Frau in einer Berliner Notübernachtung: Wieviele Menschen in Einrichtungen von Kommunen und sozialen Trägern unterkommen, soll künftig zentral erfasst werden.
Die schwarz-rote Koalition will eine bundeseinheitliche Wohnungslosen-Berichterstattung einführen. Expert*innen haben den Gesetzentwurf der Regierung in einer Anhörung begrüßt: Das helfe auch den Kommunen, sind sie überzeugt.

Es ist ein seltsames Missverhältnis: In Deutschland wird die Zahl der exportierten Schweinehälften genau erfasst, aber über Menschen in Not weiß man nur wenig. Darauf machte Rolf Rosenbrock, Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbandes, während einer Anhörung im Bundestag aufmerksam. Der Sozialausschuss befasste sich am Montag mit einem Gesetzentwurf der Regierung „zur Einführung einer Wohnungslosenberichterstattung sowie einer Statistik untergebrachter wohnungsloser Personen“.

Wohl mehr als eine halbe Million Betroffene

Wie viele Menschen in Deutschland von Wohnungslosigkeit betroffen sind, dazu gibt es bisher nur Schätzungen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG-W) bezifferte die Zahl zum Stichtag 1. Juni 2018 auf 542.000 Menschen. (Davon circa 140.000 Wohnungslose im kommunalen und frei-gemeinnützigen Hilfesystem und etwa 402.000 wohnungslose anerkannte Geflüchtete in zentralen Gemeinschaftsunterkünften oder in dezentraler Unterbringung.) Über das gesamte Jahr 2018 betrachtet seien sogar 678.000 Menschen von Wohnungslosigkeit betroffen gewesen.

Doch das sind eben nur Schätzungen. Nur wenige Bundesländer erheben genaue Zahlen zur Wohnungslosigkeit. „Für die Berichterstattung und für sozialpolitisch fundierte Entscheidungen sind belastbare Informationen über das Ausmaß von Wohnungslosigkeit sowie über die betroffenen Personen für das gesamte Bundesgebiet erforderlich“, heißt es im Gesetzentwurf der Bundesregierung.

Zentrale Erhebung zu Wohnungslosen geplant

Ab dem Jahr 2022 soll das Statistische Bundesamt eine zentrale Erhebung zu wohnungslosen Personen durchführen. Darin soll etwa die Zahl der Menschen erfasst werden, denen Räume oder andere Übernachtungsmöglichkeiten von Kommunen und anderen Trägern von Sozialleistungen zur Verfügung gestellt worden sind. Auch sollen Angaben zu Geschlecht, Alter, Staatsangehörigkeit und Haushaltstyp beziehungsweise -größe gesammelt werden.

Der Deutsche Landkreistag begrüßt das Vorhaben grundsätzlich. Damit werde auch der Fokus der öffentlichen Wahrnehmung geschärft, erklärt der Kommunalverband in einer Stellungnahme. „Wohnungslosigkeit ist auch in den Landkreisen und in den ländlichen Räumen ein drängendes und vor allem zunehmendes Problem“, heißt es da.

Landkreise zu Statistik: „Noch niemandem geholfen”

Mit einer Statistik allein sei aber noch kein Problem gelöst und niemandem geholfen, merkte die Landkreistag-Beigeordnete Irene Vorholz im Sozialausschuss an. Auch liege die Verantwortung vorrangig auf der kommunalen Ebene und nicht beim Bund – schließlich seien die Landkreise auch für Sozialhilfe und Jobcenter zuständig

Der Hauptkritikpunkt ist jedoch ein anderer: Die geplante Statistik wird nur einen kleinen Teil der Wohnungslosen erfassen, da sie lediglich die Personen aufführt, die bei Kommunen oder anderen Trägern untergebracht sind. In den Zahlen unsichtbar bleiben Menschen, die auf der Straße leben, und Wohnungslose, die vorübergehend bei Familie oder Freunden auf der Couch übernachten.

Verbände: Wohnungslosen-Statistik hilft vor Ort

Dies kritisieren nicht nur die Landkreise, sondern auch Vertreter*innen der Sozialverbände. Dennoch sei der Regierungsentwurf ein „wichtiger Schritt“, lobte Birgit Fix vom Deutschen Caritasverband. Eine solche Statistik gebe auch für die kleinteilige Arbeit vor Ort praktische Daten an die Hand. Als Beispiel nannte Fix den Sozialen Wohnungsbau: Wo muss besonders dringend Geld in die Hand genommen werden? Um solche Fragen zu beantworten helfe es, bis in die kommunale Ebene Daten zur Verfügung zu halten.

Auch andere Expert*innen sprechen von einem „notwendigen Einstieg“. Diesem müssten dann weitere Schritte folgen. Etwa eine genaue Aufstellung der Zwangsräumungen, um besser präventiv gegen den Verlust von Wohnungen vorgehen zu können.

Obdachlosen-Zählung in Berlin

Wie auch die Straßenobdachlosigkeit statistisch erfasst werden kann, zeigt gerade das Land Berlin. Am 29. Januar werden nach Angaben der Senatsverwaltung mehr als 1.600 freiwillige Helfer*innen auf Berlins Straßen unterwegs sein, um obdachlose Menschen zu zählen und zu befragen. „Je genauer wir wissen, wie viele Menschen auf der Straße leben, welche Sprache sie sprechen und welches Geschlecht sie haben, desto besser können wir die Hilfen für sie organisieren, sei es mit Dolmetschern in der Straßensozialarbeit, mit Schlafplätzen für Frauen oder mit speziellen Beratungsangeboten“, begründet Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Die Linke) die Aktion. Vorbild ist Paris: Dort wurden bereits zweimal mit einer „Nacht der Solidarität“ Obdachlose gezählt.

Solche Maßnahmen bergen jedoch auch eine Gefahr in sich. „Eine Zählung wird als würdelos empfunden, wenn sie nicht verbunden ist mit Hilfestellung“, mahnte Michael Stiefel vom „Armutsnetzwerk e.V.“ im Sozialausschuss. Die Erwartungen an Bund, Länder und Kommunen, etwas gegen Wohnungslosigkeit zu unternehmen, dürften demnach steigen.

 

Mehr Informationen zum Gesetzentwurf
bundestag.de

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