„Wem gehört mein Dorf“

Christoph Eder: „Lokalpolitik ist die direkteste Form der Demokratie.“

Kai Doering11. August 2021
Regisseur Christoph Eder erzählt eine Geschichte über die Demokratie im Allgemeinen.
In „Wem gehört mein Dorf?“ zeigt Regisseur Christoph Eder wie sich die Menschen in Göhren auf Rügen gegen einen Großinvestor auflehnen. „Der Film drückt aus, dass man sich engagieren muss, wenn einem etwas wichtig ist“, sagt er im Interview.

In Ihrer Dokumentation „Wem gehört mein Dorf?“ erzählen Sie, wie sich ihr Geburtsort Göhren auf Rügen gegen die Bauvorhaben eines millionenschweren Investors auflehnt. Was war der Grund, diesen Film zu drehen?

Die Entwicklungen in Göhren beobachte ich ja schon lange. Ich bin dort aufgewachsen, meine Familie lebt nach wie vor dort. Ich habe mich gefragt, warum bestimmte Entscheidungen so getroffen werden wie sie getroffen werden und warum Bauvorhaben realisiert werden, die dem Ort nachweislich nicht zugute kommen. Die ersten Ideen für den Film habe ich schon 2013 aufgeschrieben, dachte aber, das würde niemanden interessieren. Als einige Zeit später verschiedene Medien über die Ereignisse berichtet haben, habe ich mich entschieden, meine Film-Idee in die Tat umzusetzen. Es ist aber kein Göhren-Film. Ich sehe darin die Chance, anhand meines Heimatdorfes eine universelle Geschichte über demokratische Beteiligung und den Konflikt zwischen Kapitalinteressen und dem Wohl des Einzelnen zu erzählen.

Göhren steht also eher als Symbol für das große Ganze?

Ja, auf jeden Fall. Wir erzählen in gewisser Weise die Welt in einer Nussschale. Die ersten Reaktionen auf den Film zeigen mir auch, dass viele Menschen, egal, wo sie wohnen, Anknüpfungspunkte finden und es ganz ähnliche Situationen bei ihnen vor Ort gibt. Wenn man etwa über die Gentrifizierung in Berlin oder anderen Großstädten spricht, spiegelt sich das auch in einer Form in Göhren wider, auch wenn man das an der idyllischen Ostsee wohl eher nicht erwarten würde.

Sie zeigen in Ihrem Film, wie sich Göhren seit der Wiedervereinigung verändert hat. Wie aus grauen Fassaden weiße wurden und aus kaputten Straßen glatte Pisten. Was ist daran schlimm?

Gar nichts. Die Frage ist aber, welche Entwicklung damit einhergeht. Nachdem die Häuser renoviert sind, können sich die Menschen vielleicht die Miete nicht mehr leisten. Die Wohnungen werden in Ferienwohnungen umgewandelt oder an Menschen verkauft, die sie als Zweitwohnung haben, aber nur einige Wochen im Jahr vor Ort sind. Das hat Auswirkungen auf die Gemeinschaft und die sozialen Strukturen. Meine große Angst ist, dass ich eines Tages nach Göhren zurückkehre und dort kein soziales Leben mehr stattfindet, weil es nur noch Ferienwohnungen gibt. Ich kann zwar jeden verstehen, der in Göhren Urlaub macht, aber die Politik sollte schon dafür sorgen, dass das Verhältnis zwischen Einheimischen und Touristen stimmt.

Sie beschreiben in Ihrem Film, wie sich die Menschen in Göhren politisieren und engagieren gegen die Interessen des Investors. Warum haben sie ihn überhaupt so lange gewähren lassen?

Ich denke, das hat auch viel mit der Geschichte des Ortes nach der Wiedervereinigung zu tun. Erstmal war die Entwicklung ja gut. Der Ort hat sich rausgeputzt, die Zahl der Touristen stieg von Jahr zu Jahr und damit auch die Einnahmen. Hinzu kommt, dass die Menschen nach 1990 auch erstmal viele andere Herausforderungen zu meistern hatten. Vieles, was da lokalpolitisch lief, haben einige Menschen da gar nicht mitbekommen oder sich nicht dafür interessiert. Irgendwann ist die Situation dann aber gekippt und sie haben sich gefragt, wer eigentlich von den Investitionen profitiert und wer nicht.

Inwieweit steht das, was in Göhren passiert ist, stellvertretend für die Entwicklung im Ostdeutschland?

Mein Film erzählt eine Geschichte über die Demokratie im Allgemeinen. Ich habe aber gemerkt, dass das Thema Transformation in Ostdeutschland eine besondere Rolle spielt. Ostdeutschland hat sich in den letzten 30 Jahren ja rasant verändert, in vielem zum Guten, an manchen Stellen auch zum Schlechten. Mein Appell ist, immer genau hinzusehen, wer von den Entwicklungen profitiert. Häufig, wie auch im Fall von Göhren, sind es ja westdeutsche Investoren. Und das ist durchaus eine Erfahrung, die viele Menschen in Ostdeutschland gemacht haben. Vieles von dem, was wir heute in der gesellschaftlichen Entwicklung in Ostdeutschland beobachten, hängt mit diesen Erfahrungen der Nachwendezeit zusammen.

Ist „Wem gehört mein Dorf?“ also ein Demokratie-Film?

Es ist ein Demokratie bejahender Film. Es gibt eine Szene, in der ein Protagonist sehr frei Churchill zitiert und sagt: „Demokratie ist die größte Scheiße, die es gibt. Aber es gibt nichts Besseres.“ Da muss man im ersten Moment erst mal schmunzeln, aber er hat ja schon auch recht.

Im Film dokumentieren Sie, wie die Menschen gegen die Entwicklungen, die sie stören, aufstehen, sich engagieren und letztlich bei der Gemeinderatswahl kandidieren. Ist das die Botschaft Ihres Films „Engagiert euch!“?

Ja. Der Film drückt aus, dass man sich engagieren muss, wenn einem etwas wichtig ist. Wenn ich ihn auf eine Botschaft bringen soll, lautet sie: Beteiligt euch an den demokratischen Prozessen – am besten, indem ihr selbst kandidiert. Das bringt dann aber natürlich auch mit sich, dass man verantwortlich ist für die Entscheidungen, die man trifft.

Warum lohnt es sich, sich gerade kommunalpolitisch zu engagieren?

Lokalpolitik ist die direkteste Form der Demokratie. Entscheidungen, die vor Ort getroffen werden, betreffen uns meistens ganz konkret. Wenn etwa vor dem Fenster eine Brachfläche ist, die bebaut werden soll, dann ist es schon ein Unterschied, ob dort ein Wohnhaus entsteht oder ein Hotel oder ein Parkhaus oder ein Spielplatz. Zudem beginnen Veränderungen immer im Kleinen. Wenn einem wichtig ist, was in der unmittelbaren Nachbarschaft passiert, sollte man sich zumindest informieren, besser noch engagieren.

In Göhren wurde der Film bereits vor dem offiziellen Kinostart gezeigt. Wie waren dort die Reaktionen?

Sehr unterschiedlich. Diejenigen, die eine größere Rolle im Film haben, konnten den Film schon vor der offiziellen Premiere beim Max-Ophüls-Festival sehen. Das haben die meisten auch wahrgenommen. Einige waren hinterher richtig gerührt. Andere brachten auch kritische Töne an. Persönlich erhalte ich vor allem positive Rückmeldungen. Negatives höre ich dann eher über Dritte, was ich schade finde. Ich denke, viele haben nicht gedacht, dass der Film so viel Resonanz erhalten wird wie er sie gerade bekommt, dass er also auf verschiedenen Festivals läuft und jetzt deutschlandweit in die Kinos kommt.

Offizieller Kinostart ist am Donnerstag. Parallel wird es eine Tour durch Deutschland geben. Wen wünschen Sie sich als Publikum?

Natürlich wünsche ich mir, dass so viele Menschen wie möglich diesen Film sehen. Wichtig wäre, dass wir auch viele Menschen in der Fläche erreichen also dort, wo es keine Kinos mehr gibt. Auch deshalb organisieren wir ja die Tour. Wir wollen den Film in Dörfern zeigen, auf dem Fußballplatz per Beamer oder am Strand. Die Botschaft, sich zu beteiligen, sollte gerade dorthin getragen werden, wo manche Strukturen fehlen.

Wem gehört mein Dorf?

Im Ostseebad Göhren auf Rügen, dem Heimatdorf des Filmemachers, streiten die Einwohner*innen über die Zukunft des beliebten Urlaubsortes. Der Gemeinderat wird seit Jahren von vier Männern dominiert, die die Hotelprojekte eines Multimillionärs unterstützen. Als dieser ein Bauvorhaben in einem Naturschutzgebiet plant, gehen die Aktivistin Nadine und ihr Vater Bernd dagegen vor. Schnell merken sie, dass sie nur eine Chance haben, die malerische Landschaft ihrer Heimat zu schützen: Indem sie bei der anstehenden Kommunalwahl die Mehrheit im Gemeinderat erringen.

Ab 12. August deutschlandweit in den Kinos

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