Schienenverkehr

Comeback der Schiene durch Reaktivierung

Karin Billanitsch17. August 2021
Die Reaktivierung von Bahnstrecken könnte zu einer klimafreundlicheren Verkehrspolitik einen Beitrag leisten.
Laut eines neuen Berichts des ifo-Instituts in Dresden bestehen nicht unerhebliche Potenziale für die Reaktivierung von stillgelegten Bahnstrecken. Das könnte dazu beitragen, mehr Verkehr auf die Schiene zu verlagern und die Fahrgastzahlen zu erhöhen.

In den vergangenen 70 Jahren sind 15.000 Kilometer Bahnstrecken stillgelegt worden – und damit jeder vierte Kilometer des deutschen Eisenbahnnetzes. Das hat das ifo Institut in Dresden berichtet. „Ost- und Westdeutschland sind gleichermaßen betroffen“, schreiben die Autoren des Berichts. Nach vielen Jahren des Schrumpfens könnte die Reaktivierung von Bahnstrecken wieder in den Fokus rücken: So strebt die Bundesregierung laut Allianz pro Schiene eine Verdoppelung der Fahrgastzahlen bis zum Jahr 2030 (gegenüber 2018) an. Das kann laut Allianz pro Schiene aber nur gelingen, wenn auch in die Infrastruktur investiert wird. Auch die Autoren des Ifo-Berichts schreiben mit Blick auf das politische Ziel, mehr Verkehr auf die Schiene zu verlagern: „Reaktivierungen stillgelegter Strecken … könnten dazu beitragen „den Bahnverkehr zurück in die Fläche zu bringen.“

Stillegungen nach dem Wirtschaftswunder-Boom und der Wiedervereinigung

Dass das Streckennetz so drastisch zurückgebaut wurde, hat unterschiedliche Gründe: Im Westen erfolgen die Stillegungen vor allem während des Wirtschaftswunder-Booms, im Osten in der Phase nach der Wiedervereinigung. Während bis zum Jahr 1955 stetig mehr zum Streckennetz zugebaut wurde, sei es danach „vornehmlich zurückgebaut“ worden. Seit Anfang der 2000er Jahre stagniert es bei knapp unter 40.000 Kilometern.

Die Autoren sehen aber „nicht unerhebliche“ Potenziale für Reaktivierungen, insbesondere bei so genannten noch nicht entwidmeten Strecken, was im rechtlichen Sinn bedeutet, dass sie noch nicht von Bahnbetriebszwecken freigestellt sind. Allerdings müssten Kosten und Nutzen von Bahnstreckenreaktivierungen in jedem Einzelfall sorgfältig geprüft werden, mahnen sie.

Vorteile von Reaktivierungen

Ein Vorteil dürfte allerdings sein, dass eine Wiederbelebung alter Strecken schneller zu verwirklichen sein dürfte ein kompletter Neubau. Allerdings hat man mancherorts die Gleise und das Gleisbett komplett entfernt. Aber selbst wenn die Gleise abschnittsweise abgebaut wurden, sei die Reaktivierung von Bahnstrecken häufig günstiger, als ein kompletter Neubau, argumentiert der Verband Allianz pro Schiene. „Dies ergibt sich daraus, dass die Trassen-Flächen und Bahndämme meist noch vorhanden sind. Werden diese genutzt, kann der Aufwand bei der Reaktivierung minimiert werden“, heißt es.

Beispiele für Reaktivierungen gibt es auch schon und werden im ifo-Bericht aufgezählt: Im Jahr 1999 wurde etwa die 37 Kilometer lange Strecke zwischen Wieren in Niedersachsen und Salzwedel in Sachsen-Anhalt für den Personenverkehr reaktiviert. Auch die 17 Kilometer lange Schönbuchbahn bei Stuttgart wurde 1996 reaktiviert.

Umdenken bei der Deutschen Bahn: 20 neue Strecken

Bei der Deutsche Bahn hat offenbar mittlerweile ein Umdenken stattgefunden: Der Konzern hat vor wenigen Wochen angekündigt, 20 Strecken mit einer Länge von 250 Kilometern zu reaktivieren. Ein PDF der geplanten Trassen findet sich hier auf der Internetseite von Allianz-pro-Schiene.de

Ein Expertenteam der Bahn hat 1300 Kilometer Strecke ermittelt, bei dem sie Potenzial für den Betrieb sieht. „Bundesweit gehen wir zunächst 20 Strecken an, in den kommenden Jahren folgen weitere Verbindungen. Unser Ziel: Wir wollen mehr Menschen für die Bahn gewinnen, mehr Güter auf die Schiene bringen. Jeder Kilometer Gleis ist aktiver Klimaschutz“, sagte Vorstand Jens Bergmann, zuständig für Infrastrukturplanung.

Martin Henke, Geschäftsführer Eisenbahn im VDV begrüßte die Pläne des Bahnmanagers: „Die Entscheidung der DB AG, nach Jahrzehnten des Rückzuges wieder einen Schritt in die Erschließung der Fläche und damit in die Expansion des Netzes zu gehen, ist historisch.“ Und Dirk Flege, Geschäftsführer Allianz pro Schiene sieht in der Reaktivierung stillgelegter Strecken ein „Comeback der Schiene in der Fläche und damit einen klimafreundlicheren Verkehrsmix.“

Förderung durch den Bund

Der Bund fördert durch das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz auch die Reaktivierung von Eisenbahnstrecken. Dabei würden mittlerweile bis zu 90 Prozent der Baukosten übernommen, merken die Autoren im ifo-Bericht an. auch einzelne Bundesländer stellen Mittel bereit, um ländliche Regionen wieder besser an den Schienenverkehr anzubinden.

Flege von der Allianz pro Schiene forderte allerdings die nächste Bundesregierung auf, die Hürden für weitere Reaktivierungen zu senken. Die bisherigen Bewertungskriterien ignorierten die sozialen Aspekte einer Schienenanbindung und berücksichtigten zu wenig die Umweltvorteile des Schienenverkehrs, so der Experte.

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