DWA-Präsident Paetzel im Interview

Corona-Pandemie: Was Abwassermonitoring leisten kann

Carl-Friedrich Höck31. Januar 2023
Proben können aus dem Zulauf von Kläranlagen wie dieser gezogen werden.
Auf neue Pandemie-Entwicklungen muss die Politik schnell reagieren können. Welche Rolle dabei das Abwassermonitoring spielt und was es in Zukunft leisten kann, erklärt im Interview Uli Paetzel, Präsident der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA).

DEMO: Bei der Bewertung des Pandemiegeschehens bezieht sich Gesundheitsminister Karl Lauterbach immer wieder auf das Abwassermonitoring. Können Sie kurz erklären, wie das funktioniert?

Prof. Dr. Uli Paetzel: Abwassermonitoring bedeutet, dass strategisch Proben aus dem Kanalnetz oder der Kläranlagen entnommen und untersucht werden. Man zieht nach einheitlichen, festgelegten und skalierten Größenordnungen Proben aus dem Abwasser im Kanalnetz oder dem Zulauf der Kläranlage. Und dann untersucht man die Proben auf Schadstoffe und Krankheitserreger. Über den Nachweis von chemischen Stoffen und Biomarkern können Informationen über die Verbreitung von Krankheitserregern gewonnen werden.

Was für Informationen sind das?

Ulrich „Uli“ Paetzel SPD) war 2004 bis 2016 Bürgermeister der Stadt Herten und ist seit 2019 Präsident der DWA. Foto: David Ausserhofer

In der Presse besonders beliebt sind die Untersuchungen zur Drogenlast im Abwasser. Da gab es gerade erst wieder eine aktuelle Studie mit dem Ergebnis: „Kokainqualität im Großraum Koblenz schlecht“. Tatsächlich kann man mit den Proben nicht nur den durchschnittlichen Kokainkonsum pro Einwohner berechnen, sondern auch herausfinden: Ist das Zeug gestreckt? Ähnlich funktioniert das Monitoring bei Corona. Menschen scheiden Überreste des Virus aus, und die können wir untersuchen. Anhand dieser Fracht lässt sich die Inzidenz abschätzen, und, vor allem, lassen sich Trendentwicklungen sehr schnell erkennen.

Welche Vorteile hat das Abwassermonitoring gegenüber anderen Verfahren wie klassischen Corona-Tests?

Es wird ja heute gar nicht mehr flächendeckend getestet. Deshalb sind die PCR-Test-Statistiken unzuverlässig. Ein großer Vorteil des Abwassermonitorings ist, dass wir sehr früh neue Entwicklungen erkennen können. Gegenüber klinischen Daten haben wir einen Vorlauf von bis zu 14 Tagen. Wir wissen also schneller, ob die Corona-Welle gerade rauf oder runter geht. Wenn neue Virusvarianten auftreten, können wir sogar ermitteln, welchen Anteil sie an der Gesamtzahl der Viren ausmachen. Und auch symptomlose Verläufe werden miterfasst. Wir haben also Daten ohne Dunkelziffer, und das unabhängig von Testbereitschaft, Teststrategie und Testkapazitäten.

Gibt es auch Nachteile?

Es gibt äußere Bedingungen, die sich auf die Proben auswirken. Ideal wäre, wenn wir in jedem Quartier Proben ziehen könnten. In der Kläranlage und auch im Kanal haben wir Fremdwassereinträge. Das kann Regenwasser oder geschmolzener Schnee sein, oder auch Grundwasser, das in einen undichten Kanal reinläuft. Dazu kommen Faktoren wie Pendlerverkehr, Tourismus und Gewerbe- und Industrieabwässer. Die muss man sehr genau berechnen können, damit wir wissen, von wie vielen Menschen etwas in die Probe hineingeflossen ist. Das ist eine Herausforderung. Andere Länder wie die Niederlande sind weiter als wir, wenn es darum geht, das System flächendeckend umzusetzen.

Trotzdem drängt sich die Frage auf: Warum hat das Abwassermonitoring nicht schon Anfang 2020 eine größere Rolle gespielt?

Damals war man im Forschungsstadium, das Monitoring wurde auch schon genutzt. Aber die Politik hat das Potenzial damals noch nicht so erkannt wie heute. In den Niederlanden konnte das Coronamonitoring über den Abwasserpfad viel schneller aufgebaut werden, da die Niederländer Abwasser bereits seit Jahren kontinuierlich auf Polio-Viren analysieren und dementsprechend große Erfahrungen mit dem Abwassermonitoring vorhanden waren. Die Europäische Kommission hat dann auch frühzeitig die Empfehlung ausgesprochen, das Monitoring flächendeckend zu machen.

Was würde das kosten?

Das hängt davon ab, ob man konkrete örtliche Erkenntnisse haben will oder ob es reicht, allgemeine Tendenzen für die Bundesinzidenz zu ermitteln. Wenn wir die 235 größten Kläranlagen in Deutschland beproben, erfassen wir damit ungefähr 50 Prozent der Gesamtbevölkerung. Wenn wir für diese nach allen Regeln der Kunst ein Corona-Monitoring durchführen würden, dann lägen die Kosten bei 14 Millionen Euro im Jahr. Das ist ein relativ kleiner Betrag im Vergleich zu den Milliardensummen, die für Testkapazitäten ausgegeben wurde. Und wir könnten die Gesundheitsämter bundesweit mit validen Daten beliefern.

Wie sieht die aktuelle Test-Infrastruktur aus?

Im Augenblick haben wir gut 40 Kläranlagen in den Pandemie-Radar des Robert-Koch-Instituts (RKI) integriert, diese Anzahl wird aktuell aber stetig erhöht. Betrieben werden die Kläranlagen von den Kommunen, mit unterschiedlichen Betriebsformen. Was passiert, ist Folgendes: Einer geht hin, entnimmt die Probe und schickt sie ins Labor. In der Regel in 24 Stunden, maximal in 48 Stunden, gibt es ein Ergebnis. Logistisch ist das also ganz einfach, weil die Kläranlagenbetreiber sowieso aufgefordert sind, ein regelmäßiges Monitoring der Ablaufwerte vorzunehmen. Auch die dazu nötigen Fachkräfte sind also ohnehin auf den Kläranlagen.

Wie wird das Abwassermonitoring finanziert?

Im Augenblick sind, wie gesagt, 40 Kläranlagen dabei. Das RKI möchte die Zahl auf 200 erhöhen. Die Finanzierung ist bis Ende 2024 über das Bundesgesundheitsministerium sichergestellt. Nun müssen wir uns die Frage stellen, ob wir auch in den Jahren ab 2025 ein Abwassermonitoring haben wollen. Wenn ja, müsste man sich entscheiden: Wird das weiter aus dem Topf des Bundesgesundheitsministeriums finanziert? Eine andere Variante wäre, das Monitoring gebührenfähig zu machen. Dann könnten die Kläranlagenbetreiber die Kosten aus ihren eigenen Mitteln übernehmen. Die Höhe der Abwassergebühren würden dies aufgrund der geringen Kosten kaum beeinflussen. Aktuell ist dies aufgrund der gesetzlich vorgeschriebenen Zweckbindung der Abwassergebühren aber nicht möglich.

Bis zur nächsten großen Pandemie könnten Jahrzehnte vergehen. Welchen Nutzen hätte ein flächendeckendes Frühwarnsystem bis dahin?

Wenn wir in das System jetzt einsteigen, sollten wir auch gleich überlegen, ob wir noch andere Daten aus dem Monitoring gewinnen wollen, die für Gesundheitsämter von Belang sind. Das können Drogen sein, aber auch Polio- und Influenzaviren, neu auftretende Krankheitserreger oder antimikrobielle Resistenzen sein. Und wir sollten entscheiden, ob wir zusätzlich an spezifischen Orten wie Flughäfen ein Monitoring etablieren wollen.

Der Nutzen wäre, dass wir valide Daten über die Gesundheit der Bevölkerung erhalten, mit denen die Gesundheitspolitik gut begründete Entscheidungen treffen kann. So lässt sich frühzeitig Prävention betreiben. Und das zu relativ geringen Kosten. Die Nationale Wasserstrategie der Bundesregierung, die sich aktuell in der Verbändeanhörung befindet, denkt ein entsprechendes Gesundheitsmonitoring über das Abwasser an.

Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall

Die Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) arbeitet fachlich auf den Gebieten Wasserwirtschaft, Abwasser, Abfall und Bodenschutz. Sie berät die Politik und setzt sich auch in der Gesellschaft für die Belange der Wasserwirtschaft ein. Nach eigenen Angaben vertritt die DWA ein Netzwerk von rund 16.000 Fach- und Führungskräften in der Wasserwirtschaft. Als technisch-wissenschaftliche Vereinigung ist sie auch für die Regelsetzung im untergesetzlichen Regelwerk zuständig (z. B. Normung).

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