Rezension „Corona und die Städte”

Was Covid-19 mit Stadtplanung zu tun hat

Carl-Friedrich Höck16. März 2021
Cover „Corona und die Städte”
„Die Macht des Virus beruht letzten Endes auf der Naturvergessenheit der heutigen Menschenwelt“, schreibt Ingrid Krau. Die Corona-Pandemie sieht sie in einem Zusammenhang mit dem weltweiten Stadtwachstum. Ihr Essay regt zu neuen Gedanken an, liefert aber kaum Antworten.

In ihrem Buch „Corona und die Städte“ stellt Ingrid Krau einen Zusammenhang zwischen Pandemie und Stadtplanung her. Das mag auf den ersten Blick abwegig erscheinen, doch bei genauerem Hinsehen ist der Gedanke begründet. Schließlich ist das Coronavirus bei weitem nicht die erste Seuche, die über die Menschheit herfällt. Es gab Pest-Epidemie, Cholera und Typhus. Und stets bedingten die Lebensbedingungen der Menschen, wie schnell sich eine Krankheit ausbreiten kann. Leben Stadtbewohner*innen auf engem Raum zusammengepfercht, begünstigt dies Epidemien. Die Maxime „Licht, Luft und Sonne“, an der sich die Architektur neuer Siedlungen in den 1920er Jahren orientierte, diente nicht zuletzt dem Ziel, die Gesundheit der in den Wohnungen lebenden Arbeiter*innen und Angestellten zu verbessern.

Kritik an Verdichtungs-Maxime

Daran erinnert Ingrid Krau, die bis 2007 als Professorin für Städtebau und Stadtentwicklung an der TU München lehrte. Sie kritisiert, dass die bauliche Dichte in den europäischen Großstädten in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen habe. Die Politik strebe Nachverdichtung an, wertvolle Durchlüftungsschneisen und Stadtnatur blieben auf der Strecke, stellt Krau fest.

Auch die Corona-Pandemie werde weltweit von einem Trend zu gigantomanischen Megastädten begünstigt – das deutet die Autorin zumindest mehrfach an. „Die Macht des Virus beruht letzten Endes auf der Naturvergessenheit der heutigen Menschenwelt“, behauptet sie.

Thematisches Potpourri

Im Verlauf des gut 100-seitigen Essays geht der Autorin leider die Stringenz verloren. Sie springt von einem Gedanken zum nächsten, doch es fügt sich nicht zu einem großen Ganzen. Krau greift von der Pandemie beförderte gesellschaftliche Debatten auf (Staatsphobie versus erwünschte Staatsallmacht), kommt hier auf chinesische Riesenmetropolen zu sprechen und dort auf Bauprojekte in Berlin oder München. Sie erwähnt die Verkehre zwischen Landkreisen und Städten oder globalisierte Handelsbeziehungen und Flugrouten. Stets klingt mit: All das habe irgendwie mit der Pandemie zu tun. Die andauernde Nachverdichtung hält sie für falsch, das Flächenwachstum und damit die Versiegelung von Flächen am Stadtrand ebenso. Was aber die Alternativen zum Stadtwachstum sind, wird kaum beleuchtet.

Überhaupt beschränkt sich Krau mehr auf eine kritische Zustandsbeschreibung, als dass sie konkrete Vorschläge macht. Zum Schluss verweist sie immerhin auf das zunehmend digitale Arbeiten, wodurch sich Flächenbedarfe veränderten. „Diese Veränderung muss genutzt werden, städtischen Boden zurückzuholen in gemeinwohlorientierte Verfügung, ungerechtfertigte Wertzuwächse zur Finanzierung zu nutzen, um Naturräume zum Klimausgleich in die Stadt zurückzubringen“, schlägt sie vor. Doch auch dieser Gedanke wird kaum weiter ausgeführt.

Ein Essay ist kein politisches Konzept. Insofern hat das schmale Büchlein trotz der genannten Kritikpunkte einen Wert. Denn es regt zum Nachdenken an, ohne gleich auf alles eine Antwort zu liefern.

Ingrid Krau:
Corona und die Städte.
Suche nach einer neuen Normalität
Oekom-Verlag 2021, 120 Seiten, 16,00 Euro
ISBN 978-3-96238-291-9

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