Gesundheitspolitik

Debatte um Unterstützung der Gesundheitsämter

Karin Billanitsch13. Mai 2020
Die Bundesregierung will die Gesundheitsämter finanziell unterstützen und mit Amtshilfe. Es gibt aber rechtliche Bedenken gegen diepläne des Bundes.
Die Bundesregierung hat ein weiteres Gesetz zum Bevölkerungsschutz wegen der Corona-Epidemie vorgelegt. Mit dem Gesetz soll der öffentliche Gesundheitsdienst gestärkt werden. Auch die Regeln des Infektionsschutzes werden angepasst. Darüber und über die neue Corona-Obergrenze wird jedoch debattiert.

Die Koalitionsfraktionen von SPD und CDU/CSU wollen die Gesundheitsämter stärken und ihnen eine zentrale Rolle bei der regionalen Bekämpfung der Corona-Pandemie geben. Es  kommt also bei dem Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus auf die 375 Gesundheitsämter in Deutschland an. Der vorgelegte Gesetzentwurf eines Zweiten Bevölkerungsschutzgesetzes soll in dieser Sitzungswoche im Bundestag beraten werden.

Zuvor hatten Bund und Länder in ihrem Lockerungskonzept beschlossen, dass es eine Notbremse erst bei 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern geben soll. Dann erst sollen die Landkreise und kreisangehörigen Städte wieder Beschränkungen erlassen. Die Mitarbeiter der Gesundheitsämter müssen zum Beispiel die Infektionen wie auch bisher schon im Blick behalten, Infektionsketten nachverfolgen und unterbrechen. Der Gesetzentwurf des Bundesgesundheitsministers Jens Spahn (CDU) sieht vor, 50 Millionen Euro für die Gesundheitsämter vor, um die digitale Ausstattung zu verbessern.

„Hebel nicht an der falschen Stelle ansetzen“

Teile der Pläne kritisierte Reinhard Sager, Präsident des Deutsches Landkreistags jedoch. Vor allem lehnt der kommunale Spitzenverband unter anderem die Pläne zur Amtshilfe durch den Bund ab.  „Der öffentliche Gesundheitsdienst ist geprägt von einer Kompetenz der Landkreise und kreisfreien Städte und einer übergreifenden Verantwortung der Länder. Dieser Verantwortung sind Länder und Kommunen in den vergangenen Wochen in herausragender Weise nachgekommen“, so Sager. Daher sei es für eine erfolgreiche weitere Arbeit unabdingbar, dieses Erfolgsmodell weiterzuführen und nicht durch weitere direkte Kooperationsformen zwischen Bund und Kommunen zu erschweren. „Der Hebel sollte nicht an der falschen Stelle angesetzt werden. Sonst schadet das eher.“

Eine finanzielle Unterstützung hält der Landkreistag für rechtlich angreifbar. Er lehnt punktuelle Regelungen in Gesundheitsämtern ab und fordert eine „echte digitale Weiterentwicklung des Gesundheitswesens“.

Debatte um Meldepflichten

Die kommunale Kritik richtet sich darüber hinaus auch gegen eine beabsichtigte Änderung des Infektionsschutzgesetzes. Unter anderem sollen die Gesundheitsämter verpflichtet werden, Informationen zu genesenen Personen und negative Labortests zu melden. „Wir finden, dass der Gesetzentwurf an dieser Stelle über das Ziel hinausschießt.

Auf die Gesundheitsämter kommt also noch mehr Arbeit zu als ohnehin. Allerdings schätzt Henrik Reygers, Vorstandsmitglied im Bundesverband der Ärzte und Ärztinnen des öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD) die Meldepflichten als sinnvoll ein: „Die Erfassung der genesenen respektive der negativen Fälle macht bei der aktuellen COVID-Symptomatik Sinn. Auch um einen Abgleich zu erreichen, wie hoch die Letalität ist, also wie viele Menschen sterben. Es ergibt ein deutlicheres Bild in der Statistik, wenn man weiß, wie viele getestet worden sind, wer genesen ist, wer negativ getestet wurde, als wenn ich nur feststelle, wie viele Leute die Krankheit haben und wie viele daran sterben.

In solchen komplexen Ereignissen, die auch volkswirtschaftliche und soziale Implikationen haben, sei es wichtig zu wissen, wo man statistisch stehe, bekräftigt Reygers, der das Gesundheitsamt des Vogelsbergkreises leitet. „Mit SARS/COV2 sind ja in der Folge auch sehr viele gesetzliche Einschränkungen mitverbunden, anders als Erkrankungen wie beim Norovirus oder Hepatitis B.

Er nennt ein Beispiel aus der Praxis: „Wir haben im Vogelsbergkreis seit zwei Wochen keine Neuinfektion gehabt. Da gibt es welche, die sagen: Ihr testet ja nicht. Wenn ich entgegnen kann, es seien soundsoviele Messungen gemacht worden, dann hat das eine ganz andere Außenwirkung und Wertigkeit.“

Reygers macht auch deutlich, dass er gegen eine Unterstützung mit der Gießkanne ist. „Jedes Gesundheitsamt hat seine Spezifika.“ Die Ämter sind kein Teil einer anderen Behörde, sondern integriert in die Kommunalverwaltung. Er plädiert dafür, dass sie Finanzmittel zur freien Verfügung erhalten, die sie – unter Berücksichtigung des Haushaltsrechts – entsprechend verwenden können. Eines brauche Technik, das andere mehr Personal, das dritte will in dringende Fortbildungen investieren. Im Moment würden überall im Land Haushaltsmittel umgeschichtet und Mitarbeiter der Verwaltung umgeschichtet, damit die Ämter durch die Pandemie kommen.

Bessere Bezahlung gefordert

Jenseits der Krise befürchtet Reygers langfristig einen Nachwuchsmangel in den Gesundheitsämtern. Dort sind in den vergangenen 18 Jahren ein Drittel der Ärzte verschwunden. Eine Verrentungswelle ist in den kommenden Jahren zu erwarten. Deshalb müssten wieder mehr Ärzte eingestellt werden und der öffentliche Gesundheitsdienst aufgewertet wrden. „Das geht wohl nur mit einer Angleichung der Gehälter.“ Zweitens müsste das Thema Gesundheitsamt in den Studiengängen vertiefter behandelt werden. Erfolg versprechendseien auch Traineeprogramme für junge Ärzte.

Berlin „Neue Grenze zu hoch“

Es gibt auch Stimmen, die die Grenze von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner für zu hoch gegriffen halten. BVÖGD-Vorstandvorsitzende Ute Teichert warnte, dass diese Obergrenze die Kapazität mancher Gesundheitsämter sprengen könnte.

Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kaylaci sagte laut „Tagesspiegel“: „Wir hätten viel zu viele Infizierte und Tote, wenn wir erst hier stoppen würden.“ Berlin dürfte nach dem System des Bundes insgesamt 1.800 Infektionen pro sieben Tage verzeichnen – so viele wie noch nie.

Deshalb hat das Land Berlin ein eigenes „Ampelsystem“ entwickelt, bei dem Zahl der Neuinfektionen, die Reproduktionszahl und die Auslastung der vorhandenen Intensivbetten eine Rolle spielt.„Die drei Indikatoren werden mit einem Ampelsystem bewertet, das dem Senat Hinweise für die Notwendigkeit von Eingriffen gibt“, teilte der Gesundheitssenat mit.

Eine interaktive Karte des RKI zur Entwicklung der Neuinfektionen in Landkreisen/kreisfreien Städten findet sich hier.

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