Studie zu sozialer Segregation

In Deutschland entstehen immer mehr Armen-Quartiere

Carl-Friedrich Höck24. Mai 2018
Plattenbauwohnungen in Ostdeutschland (Symbolbild): Die Ballung am Stadtrand hat die soziale Segregation befördert, meinen die Forscher des WZB.
In deutschen Städten leben arme Menschen zunehmend konzentriert in bestimmten Wohnvierteln – vor allem in Ostdeutschland. Das zeigt eine Untersuchung des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschungen (WZB). Das Ziel einer sozial gemischten Stadt wird offenbar häufig verfehlt.

Das Ideal vieler Stadtplaner sieht eigentlich so aus: Arme und Reiche, Junge und Alte, Einheimische und Zugewanderte – sie alle sollen Tür an Tür wohnen und sich in gemischten Quartieren auf die ganze Stadt verteilen. Die Realität jedoch ist eine andere.

„Kennen wir nur von amerikanischen Städten”

Die Wissenschaftler Marcel Helbig und Stefanie Jähnen haben in einer Studie die sozialräumliche Spaltung in 74 deutschen Städten untersucht. Dafür verwendeten sie Daten des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung. Helbig und Jähnen berechneten einen Segregationsindex. Er gibt zum Beispiel an, wieviel Prozent der SGB II-Bezieher in einem anderen Stadtteil wohnen müssten, damit alle gleichmäßig in der Stadt verteilt leben. Im Durchschnitt liegt dieser Anteil bei etwas über 25 Prozent der Leistungsempfänger, in zehn Städten sogar 35 bis 40 Prozent. „Dieses Niveau kennen wir bisher nur von amerikanischen Städten“, schlägt Helbig Alarm.

Anhand des Indexes konnten die Forscher messen, wie sich die Segregation mit den Jahren entwickelt hat. Ein Ergebnis der Studie: Die räumliche Ballung von SGB II-Beziehern hat zwischen 2005 und 2014 in 80 Prozent der Städte zugenommen. Damit setzt sich eine Entwicklung weiter fort, die ältere Studien bereits für die Zeit ab Mitte der 90er Jahre bis zu der Hartz IV-Reform nachgewiesen haben. Nur in elf Städten ist der gegenläufige Trend zu beobachten, vor allem in Offenbach und Fürth hat die Segregation abgenommen.

Plattenbauquartiere wurden zu sozialen Brennpunkten

Den stärksten Anstieg gab es in ostdeutsche Städte wie Rostock, Schwerin, Potsdam, Erfurt, Halle oder Weimar. Das erklären sich die Autoren damit, dass Plattenbauten dort vor allem am Stadtrand errichtet wurden. Diese Quartiere hätten sich nach der Deutschen Einheit zu sozialen Brennpunkten entwickelt. Gleichzeitig seien viele Innenstädte saniert worden. Ausnahmen bilden Magdeburg und Dresden, also zwei Städte, die im Zweiten Weltkrieg stark zerstört wurden. Dort seien Neu- und Plattenbauten ausgewogener im Stadtraum verteilt, stellen die Forscher fest. Deshalb sei auch die soziale Segregation weniger stark ausgeprägt.

Besonders betroffen von sozialer Segregation sind kinderreiche Stadtteile. In 36 der untersuchten Städte gibt es Quartiere, in denen mehr als 50 Prozent der Kinder von Hartz IV-Leistungen leben. „Aus der Forschung wissen wir, dass die Nachbarschaft auch den Bildungserfolg beeinflusst“, sagt Stefanie Jähnen.

Über eine Beobachtung zu westdeutschen Städten waren die Autoren selbst verwundert: Ein hoher Anteil privater Grundschulen wirkt der sozialen Spaltung im Quartier offenbar entgegen. Für „bildungsbewusste Eltern“ sei die Privatschule eine Alternative zum Umzug, lautet die Erklärung der Forscher. Die Kehrseite der Medaille: Die soziale Trennlinie verläuft dann zwar nicht mehr zwischen den Wohnquartieren, aber zwischen den Schulen.

Sozialwohnungen entstehen dort, wo ohnehin Arme wohnen

Die Höhe der Mieten habe keinen verstärkenden Einfluss auf die soziale Segregation, wollen die Forscher herausgefunden haben. Hierbei könnte allerdings der starke Fokus auf SGB II-Empfänger das Gesamtbild verzerren. Denn bei ihnen kommt der Staat für die Kosten der Unterkunft auf, solange diese als „angemessen“ gelten – und das wird wiederum anhand der Durchschnittsmieten bewertet.

Weiter heißt es in der Studie: „Überraschenderweise steigt die Armutssegregation mit dem Anteil von Sozialwohnungen.“ Das bedeute jedoch nicht, dass Sozialwohnungen die Segregation nicht wirkungsvoll eindämmen könnten. Sie würden nur mehrheitlich dort errichtet, wo ohnehin schon viele arme Menschen wohnen. „Das Ideal einer sozial gemischten Stadt ist schon lange dem Ziel gewichen, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen“, analysiert Jähnen.

Demografische und ethnische Segregation

Eine zunehmende Segregation haben die Wissenschaftler auch mit Blick auf die Altersgruppen festgestellt. „Genauer gesagt ballen sich sowohl die 15- bis 29-Jährigen als auch die ab 65-Jährigen immer stärker in bestimmten Stadtteilen“, heißt es in der Studie. Die räumliche Trennung der Generationen sei aber bei weitem nicht so stark ausgeprägt wie die soziale Segregation.

Die räumlich ungleiche Verteilung von Ausländern hat laut der Studie abgenommen. Allerdings endet die Untersuchung im Jahr 2014, also vor der Flüchtlingskrise. Wie diese sich ausgewirkt habe, müssten weitere Studien untersuchen, merken die Autoren an.

 

Mehr Informationen zur Studie: wzb.eu