Soziales und Digitalisierung

Diakonie fordert Programm für digitale Teilhabe

Karin Billanitsch07. Januar 2021
Eine Seniorin sitzt am Laptop. Die Mehrheit der Menschen über 79 Jahren hat keinen Zugang zum Internet.
Über ein Bundesprogramm sollen innerhalb von vier Jahren für alle Bevölkerungsgruppen digitale Zugänge geschaffen werden. Sechs Milliarden Euro, schätzt die Diakonie, seien dafür notwendig. Bei der Umsetzung sind die Kommunen gefragt.

In Deutschland ist das öffentliche Leben wegen der Corona-Krise seit dem 16. Dezember stark eingeschränkt. Der teilweise „Lockdown“ bedeutet: Wer kann, arbeitet und betreut seine Kinder zuhause, Videokonferenzen ersetzen persönliche Begegnungen, Kontakte, persönlich oder beruftlich, werden eingeschränkt. Termine oder wichtige Absprachen werden per Computer oder mit dem Handy getroffen. Ohne digitalen Zugang geht wenig. Hier sieht die Diakonie Deutschland ein großes Problem, gerade was Menschen mit Armutserfahrung angeht: „Pandemie und Lockdown haben deutlich gemacht, wie groß der digitale Handlungsbedarf in Deutschland ist“, erklärt Maria Loheide, Vorstand Sozialpolitik.

„Beteiligung in Corona-Zeiten fast unmöglich“

„Vor allem Menschen, die in Armut leben, seien ohne Computer und WLAN ausgeschlossen: Sie haben oft keinen Zugang zu Behörden, können Sozialleistungen nur unter großen Schwierigkeiten beantragen.“ Auch die Teilnahme an kulturellen oder politischen Veranstaltungen sei ihnen verwehrt, Kontaktpflege zu Freund*innen würde erschwert, stellt Lohheide fest. Zwar schreitet die Digitalisierung in allen Bereichen voran, doch die Corona-Krise verschärft die Probleme.

Ältere mit kleinen Renten, aber auch Familien, die Sozialleistungen beziehen oder Menschen, die in Gemeinschaftsunterkünften wohnen, wie Geflüchtete, sind betroffen. Im Schulbereich sieht Lohheide große Nachteile für Kinder aus benachteiligten Familien durch das Distanzlernen. Für die Diakonie sind digitale Beteiligungsmöglichkeiten „Teil der Existenzminimums“ ­ – sie müssten deshalb „für alle Menschen verwirklicht werden.“

Auch Wohnungslose haben es derzeit schwer. Jürgen Schneider, der sich im „Armutsnetzwerk“ für Benachteiligte einsetzt, selbst lange auf der Straße und in Wohnungslosenunterkünften lebte, stellt fest, dass es immer schwerer wird, Sozialberatung, Unterstützung in Notlagen oder Sozialleistungen zu bekommen. „Schon vorher war es schwierig, sich zu beteiligen, jetzt ist es fast unmöglich. Menschen mit Armutserfahrung werden für andere Menschen zunehmend unsichtbar.“

Politikum: Digitale Teilhabe im Alter

Die digitale Teilhabe im Alter ist auch auf der politischen Agenda in Berlin: Im achten Altersbericht des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFFSJ), den Bundesministerin Franziska Giffey (SPD) im Sommer 2020 vorgelegt hat, war Digitalisierung ein Schwerpunkt. „Einen Zugang zum Internet zu haben, digitale Technologien nutzen und kompetent damit umgehen zu können, ist heute in vielen Bereichen des alltäglichen Lebens eine wesentliche Voraussetzung“, heißt es darin. Derzeit, während des erneuten Lockdowns dürfte das umso mehr gelten.

Es gibt Zahlen, die den Bedarf aufzeigen: Laut einem Fact-Sheet des Deutschen Zentrums für Altersfragen haben über 80 Prozent der 67- bis 72-Jährigen Zugang zum Internet. Über 73 Jahren sind es 64 Prozent, bei den über 79-Jährigen sind es dann nur noch knapp 40 Prozent. Vor allem Pflegeeinrichtungen haben Nachholbedarf, stellt die Bundesarbeitsgemeinschaft für Seniorenorganisationen (BAGSO) fest: Laut einer Umfrage unter 575 Pflegeheimleitungen gab knapp ein Drittel an, ein WLAN anzubieten. Der Anteil der Heime mit kostenlosem Zugang lag bei nur sechs sechs Prozent. Deshalb setzt sich die BAGSO dafür ein, „eine digitale Grundversorgung endlich auch in Alten- und Pflegeheimen sicherzustellen.“

Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD), der Vorsitzender der BAGSO, forderte bei der Vorstellung des achten Altersberichts einen „Digitalpakt Alter“, analog zum „Digitalpakt Schule“. „Teilhabe und Teilnahme am konkreten Leben bedeuten Lebensqualität – auch in den Jahren obendrauf“, stellte der SPD-Mann fest. „Bescheid wissen, mitreden und mitmachen helfen. Und die neuen Medien sind dabei eine zusätzliche Chance. Auch bei Krankheit und Immobilität können die digitalen Kontakte eine große Hilfe sein.“

Volumen: Schätzung in Höhe von sechs Milliarden Euro

Was würde ein bundesweites Programm „Digitale Beteiligung“ kosten? Die Diakonie schätzt die Gesamtkosten für den Bund auf sechs Milliarden Euro bei einem auf vier Jahre angelegten Programm. Dafür sollen Bundesmittel bereitgestellt werden, die „durch die Länder und Kommunen kofinanziert werden“ sollen. „Finanziell schwache Kommunen sollen sich beteiligen können, ohne Eigenmittel erbringen zu müssen“, heißt es in dem Positionspapier der Diakonie. Umgesetzt werden solle das Programm vor Ort, also in den Kommunen.

Das Programm soll in den Kommunen umgesetzt „und durch die Einrichtung von Digitalisierungs-Beiräten unter Beteiligung der Bürger*innen, der Sozial- und Wohlfahrtsverbände, der Selbstorganisation sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen, der Sozialpartner und derWirtschaftsverbände vor Ort begleitet“ werden, heißt es in dem Positionspapier weiter.

 Die grundlegende Ausstattung (Computer, Drucker, WLAN) soll im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepakets als Sachleistung finanziert werden.
Außerdem sollen freie Internetzugänge in Hilfe- und Beratungseinrichtungen ausgebaut und die digitale Mindestausstattung als reguläre Sozialleistung garantiert werden und digitale Kompetenzen vermittelt werden. Flächendeckend soll ein öffentliches und kostenfreies WLAN ausgebaut werden. Auch entsprechende Schulungen und Unterstützung solle es geben, hieß es.

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