Bürgerbeteiligung

Digitale Demokratie in Detmold

Thorsten Herdickerhoff20. August 2020
Ideen für die Stadt vorschlagen, diskutieren und erleben, wie die Politik sie aufnimmt: Die digitale Bürgerbeteiligung ist eine Weiterentwicklung der analogen Prozesse.
Die Stadt nutzt als Vorreiter in Deutschland eine kostenlose Beteiligungs-Software – nach dem Vorbild von Madrid.

Detmold geht voran. Ja, genau, die Mittelstadt am ­Teutoburger Wald steht jetzt auf einer Stufe mit Paris, Madrid und New York. Denn all diese Städte nutzen die Software Consul, um ihren Bürgerinnen und ­Bürgern mehr Mitsprache bei der Stadtentwicklung zu ermöglichen.

Das ist eine sogenannte Beteiligungs-Software, die in Madrid erdacht und entwickelt wurde. Ihr Programm-Code ist offen und damit für alle kostenlos und von allen erweiterbar. Die Vorteile dieser Open-Source-Software haben bereits mehr als 120 Städte weltweit überzeugt, aktuell sollen 90 Millionen Menschen die Software anwenden. Seit dem 1. Juli können die Einwohner von Detmold sie ebenfalls nutzen. Die von dem Sozialdemokraten Rainer Heller geführte Stadt ist damit Vorreiter in Deutschland.

Detmolder wollen andere Gruppen ansprechen

Die digitale Bürgerbeteiligung ist ­eine Weiterentwicklung der analogen Beteiligungs-Prozesse. Kamen zu den klassischen Bürgerversammlungen bisher überwiegend ältere Männer, so hoffen die Macherinnen und Macher in ­Detmold nun auch andere Gruppen anzusprechen, jüngere Menschen und mehr Frauen. Bei zwei Entwicklungs­vorhaben können die Detmolder sich bereits digital einbringen: bei der Planung zur digitalen Agenda der Stadt und bei der Umgestaltung der Fußgängerzone Lange Straße. Die Beteiligung ist sehr ­rege und es gab bisher viele größere und kleinere Vorschläge.

Für die Fußgängerzone schlug zum Beispiel jemand vor, den in die Jahre gekommenen Brunnen aus Beton und Metall zu ersetzen durch etwas Neues, Gefälligeres. Doch es stimmten nur 8 Leute zu, 17 waren gegen einen Abriss. In Kommentaren wiesen die Bürgerinnen und Bürger auf die Vorzüge hin, die sie bei dem Brunnen sehen: Er zieht vor allem Kleinkinder an und hat auch die richtige Höhe für sie, um das Wasserspiel zu erkunden. Außerdem hatten manche schöne Erinnerungen aus ihrer eigenen Kindheit an den Brunnen. Die meisten empfahlen, ihn zu erhalten und zu renovieren, damit er wieder schick aussieht.

Genau darum geht es der Stadt ­Detmold bei der Bürgerbeteiligung: Die Menschen sollen sich austauschen, ­Ideen vorschlagen, sie diskutieren, Meinungen und Argumente dazu äußern. Auf digitalen Plattformen ist das sofort dokumentiert und die Planer nehmen die Ideen auf. Die Politikerinnen und Politiker freuen sich über so viel Feedback wie bei der Fußgängerzone, denn je besser sie den Wählerwillen kennen, desto besser können sie ihn umsetzen. Dabei ist der Arbeitsaufwand für diese zusätzlichen Infos gering, sagt Lea Kohlhage, zuständig für den Bürgerdialog in der Stadt Detmold, „zumindest wenn man weiß, wie es geht“.

Zehn Monate von der Idee bis zur Freischaltung

Sie und ihre drei Team-Mitglieder wussten anfangs nicht so genau, wie das mit der Beteiligungs-Software geht, und haben dennoch nur zehn Monate von der Idee bis zur Freischaltung ­gebraucht, „und das neben unserem Tagesgeschäft“. Ihr Fazit macht anderen Kommunen Mut: „Technisch wäre das innerhalb einer Woche gelaufen.“ Damit weitere Städte in Zukunft wissen, wie es funktioniert, bietet Detmold im September einen eintägigen Workshop für alle Interessierten an. „Wir werden den anderen Kommunen etwa 95 Prozent der Arbeit ersparen.“ Der Workshop wird zwischen dem 14. und 18. September stattfinden, einfach anmelden unter consul@detmold.de.

Ziel ist es, sich gegenseitig zu helfen und sich auszutauschen, in Zukunft gemeinsam neue Features zu entwickeln und vor allem das, was bereits in Deutschland entworfen wurde, zu teilen. Das unterstützt auch der Verein „Mehr Demokratie“, der einen eigenen Projekt-Beauftragten für die Beteiigungs-Softeware hat. Simon Strohmenger berät Kommunen kostenlos bei der Einführung des Projekts und setzt sich dafür ein, dass Bund und Länder die Entwicklung von Consul in Deutschland fördern. Endsprechend positiv sieht er die Umsetzung in Detmold: „Mit der Einführung von Consul kommt die digitale Demokratie in Deutschland einen großen Schritt voran.“

Kommunale IT-Dienstleister sollen Consul ebenfalls anbieten, wozu bereits Gespräche laufen. Und es gibt weitere Kommunen, die vorangehen: Castrop-Rauxel wird seine Consul-Plattform im August freischalten, München, Augsburg, Bautzen und Eching werden wohl die nächsten sein. Das gewünschte Netzwerk zur gegenseitigen Hilfe wächst rasch. Die erste Consul-Konferenz für Deutschland ist ebenfalls in Planung und wird noch dieses Jahr stattfinden, wegen Corona zwar online, aber dafür gibt es ja Software.