Buchrezension „Handbuch digitale Verwaltung“

Wie digitalisiert sich die Verwaltung?

Oliver Lindner 17. Januar 2020
Wie digitalisiert sich Verwaltung? Jetzt liegt eine gelungene Übersicht zu dem Thema vor.
Das Buch „Digitale Verwaltung“ von Lühr, Jabkowski und Smentek gibt einen sehr guten Überblick über den derzeitigen Entwicklungsstand.

Wer schon einmal nach Estland gereist ist und die digitalen Services des Staates kennengelernt hat, ahnt wie weit wir in Deutschland davon noch entfernt sind. Immerhin sind Bund und Länder nun ehrgeizig genug, um diesen deutschen digitalen Rückstand (DDR) aufzuholen. Das Onlinezugangsgesetz (OZG) gibt vor, dass bis 2022 alle wesentlichen öffentlichen Leistungen digital angeboten werden müssen. Das betrifft nach derzeitiger Lesart über 500 Leistungen.

Besondere Herausforderung

Was in jedem Unternehmen bereits ein Kraftakt ist, ist für den föderalen Bundesstaat mit den unterschiedlichen Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten schon eine besondere Herausforderung. Dies ist dann auch der zweite große Unterschied zwischen Deutschland und Estland. Ein kleiner zentralisierter Staat lässt sich relativ leicht digitalisieren.

Bund und Länder arbeiten derzeit die OZG-Umsetzung nach bestimmten Lebenslagen in gemeinsamen Digitalisierungslaboren ab. Was sich zunächst sehr technisch anhört, dürfte jedoch gravierende Auswirkungen auf das Verhältnis von Staat und Bürgern sowie auf die Austarierung der föderalen Ebenen haben. Zudem wird in der Öffentlichkeit erstaunlich wenig über diese Auswirkungen debattiert. Das betrifft zum Beispiel Fragen des Datenschutzes: Sollten die Daten zentralisiert werden (können) und wer soll Zugriff auf diese Daten bekommen? Wie werden die Datenschutzrechte der Bürgerinnen und Bürgern gesichert? Welche Vor- und Nachteile hätte die Zentralisierung von öffentlichen Datenbeständen?  Allein diese Fragen tangieren unser Staatsverständnis und stellen unser Vertrauen in den Staat auf die Probe. Wie können die Menschen partizipieren, die sich aus unterschiedlichen Gründen diesem digitalen Angebot verweigern?

Herkulesaufgabe ohne historisches Vorbild

Und schließlich wird ganz viel im Hintergrund in den öffentlichen Verwaltungen passieren müssen. Die Digitalisierung muss Arbeitsabläufe aus den analogen Zeiten beenden und neue Prozesse aufbauen. Das erfordert neue Hierarchien und Qualifikationen der Beschäftigten in den öffentlichen Verwaltungen. Eine Herkulesaufgabe ohne historisches Vorbild.

Das Buch „Digitale Verwaltung“ von Lühr, Jabkowski und Smentek gibt einen sehr guten Überblick über den derzeitigen Entwicklungsstand. In den einführenden Beiträgen werden die gerade genannten Ausführungen diskutiert und benannt. Der Leser bekommt einen Überblick über Zuständigkeiten, Aufgaben und Organisation der Digitalisierung in Deutschland. Es werden auch die Akteure kurz vorgestellt, zum Beispiel die gerade in Gründung stehende Föderale IT Kooperation (FITKO), die die föderalen Anstrengungen bündeln soll.

Einzelne Projekte

Es werden dann einzelne Projekte der Digitalisierung vorgestellt, wie die Einführung der E-Rechnung, die eAkte oder die digitale Schule. Die Texte sind leicht verständlich, manchmal etwas technisch. Der Leser bekommt aber immer einen guten Einstieg in das Thema.

Am Ende des Buches wird noch sehr ausführlich auf die Auswirkungen für die Beschäftigten in den öffentlichen Verwaltungen eingegangen. Wenig sinnvolle und umständliche Arbeitsprozesse zu digitalisieren, macht keinen Sinn. Sie sind auch nach der Digitalisierung umständlich und unsinnig. Vielmehr besteht jetzt die Chance, Prozesse zu verbessern, den Mehrwert jedes Verwaltungsmitarbeiters zu verbessern. Steht am Anfang die Bereitstellung eines neuen Internetportals für bestimmte Services, müssen anschließend die Verarbeitungs- und Entscheidungsprozesse angepasst werden. Es ist eine Herausforderung, bekanntes Land zu verlassen und in unbekannte Gewässer zu segeln. Changemanagement war allerdings bislang nicht als besondere Stärke der öffentlichen Verwaltung bekannt.

Geschrieben von Experten

An dem Buch mitgeschrieben haben Praktiker in den Verwaltungen, den öffentlichen IT-Dienstleistern und der KGSt. Die Autoren sind ausnahmslos anerkannte Experten der Themen und im Arbeitsalltag mit der Umsetzung betraut.  Mitautor- und herausgeber Henning Lühr leistet als amtierender Vorsitzender des IT-Planungsrates mit dem Handbuch eine sehr gelungene Übersicht zu dem Thema. Darüber hinaus kann dem Bremer Staatsrat Lühr zu Gute gehalten werden, dass er in den sozialen und klassischen Medien die Themen der Digitalisierung befördert und zu einer Sensibilisierung der Öffentlichkeit beträgt.

Der Mehrwert des Buches liegt in der Dichte der Themen und in den Spannungsbogen, der mit der Digitalisierung im öffentlichen Bereich einhergeht. Nach der Lektüre des empfehlenswerten Handbuchs hat der Leser eine Ahnung bekommen, welche disruptiven Entwicklungen die Digitalisierung auch für die öffentliche Verwaltung in Deutschland bedeutet. Gleichzeitig ist es aber auch eine Chance, diese Prozesse zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger und der Beschäftigten in den Verwaltungen zu verbessern. Diese Tragweite zu verstehen und gleichzeitig positiv und verständlich zu beschreiben, ist ein Verdienst der Autoren.

Henning Lühr/ Jabkowski/Smentek:

 

Handbuch Digitale Verwaltung
Kommunal- und Schulverlag, Verwaltungspraxis 2019, 536 Seiten, 79 Euro, ISBN 978-3-8293-1377-3