Interview mit Thomas Geisel

Düsseldorfs Oberbürgermeister: „Erwarte drastische Einbrüche bei der Gewerbesteuer“

Karin Billanitsch05. Mai 2020
Thomas Geisel spricht über die Auswirkungen der Corona-Krise und sein Krisenmanagement: „Angst ist ein schlechter Ratgeber“
Düsseldorfs Oberbürgermeister Geisel rechnet mit gravierenden finanziellen Auswirkungen auf den Düsseldorfer Haushalt aufgrund der Corona-Krise. „Wir rechnen mit drastischen Gewerbesteuereinbrüchen im dreistelligen Millionenbereich.“

In Zeiten der Corona-Epidemie sind Bürgermeister als Krisenmanager gefragt, die die Arbeit der Ämter koordinieren und mit der Bevölkerung kommunizieren. Was war in der Coronakrise für Sie bisher die größte Herausforderung?

Viele Menschen haben Angst, auch jene, die nicht zu einer Risikogruppe gehören. Es ist wirklich nicht ganz einfach, mit dem Thema umzugehen. Eine Zeitlang gab es ja einen Überbietungswettbewerb, wer mit noch härteren Maßnahmen kommt. Da hat sich insbesondere Herr Söder als Bayerns Ministerpräsident hervorgetan. Ich habe immer gesagt, wir werden hier in Düsseldorf bei diesem Überbietungswettbewerb nicht mitmachen, weil dies die allgemeine Verunsicherung noch weiter steigert. Und Angst ist immer ein schlechter Ratgeber. Krisenmanager müssen den Menschen eher ein Gefühl der Sicherheit vermitteln.

Ich persönlich hätte immer befürwortet, dass die persönlichen Einschränkungen wie Distanzgebot, Ausgangssperren und ähnliches so einheitlich wie möglich beschlossen werden. Das erweckt bei den Bürgerinne­­n und Bürgern den Eindruck, dass die Politik und die Verwaltung die Situation einigermaßen im Griff haben. Wenn überall ein Flickenteppich entsteht, dann führt das noch zusätzlich zu Angst und Verunsicherung.

Wie ist das mit dem föderalistischen Prinzip vereinbar?

Eine internationale Pandemie ist keine Angelegenheit, die kommunal oder regional zu lösen ist. Die allgemeinen Regeln sollten bundesweit gelten. Die kommunale Aufgabe muss sein,  das örtliche Gesundheitswesen optimal aufzustellen. Kommunale Aufgabe ist es auch, dass man Angebote an die so genannten vulnerablen Gruppen macht, also diejenigen, die besonders betroffen sind, wenn es zu einer Infektion kommt. Es sind ja meistens ältere Menschen oder solche mit Vorerkrankungen. Diese Menschen müssen effektiv geschützt werden vor der Ansteckung. Wir haben in Düsseldorf zum Beispiel eine Hotline eingerichtet, wo sich ganz viele Freiwillige gemeldet haben und anbieten, einkaufen zu gehen, mit dem Hund Gassi zu gehen.  Das sind Dinge, die man nicht national lösen kann, das muss man in der Tat lokal regeln.

Nun gibt es auch in Düsseldorf Ausgeh- und Öffnungsbeschränkungen, die nicht nur große Unternehmen, sondern diverse kleine Gaststätten oder lokalen Einzelhandel betreffen. Was können Kommunen beitragen, damit die lokalen Betriebe die Krise überleben?

Für die Betriebe, die per Landesverordnung geschlossen wurden – Veranstaltungsbetriebe, Gastronomie, Einzelhändler, soweit es um den Handel mit Lebensmitteln geht – bieten wir eine Überbrückungsfinanzierung an, eine Art Feuerwehrfonds. Ebenso bekommen Unternehmen, die keine dicke Kapitaldecke haben und deswegen sehr schnell von einer Insolvenz bedroht sind, Überbrückungshilfen, bevor die staatlichen Hilfen greifen. Erfahrungsgemäß dauert es immer ein bisschen länger, bis die Hilfe von Bund und Land tatsächlich ausbezahlt wird. Wir haben quasi über Nacht als Eilentscheidung diesen Fonds ins Leben gerufen und sehr schnell Mittel ausgereicht. Mittlerweile ist der Fonds wieder geschlossen, da jetzt die Soforthilfen des Landes an dessen Stelle getreten ist.

Zweitens haben wir gezielt dazu aufgerufen, die Geschäfte, die noch tätig sind, zu unterstützen – insbesondere Lieferdienste, Außer-Haus-Verkäufe oder Internet-Verkäufe der örtlichen Wirtschaft. Auf der städtischen Webseite haben wir auf die entsprechenden Angebote hingewiesen. Wir haben versucht, der örtlichen Wirtschaft nicht nur mit Geld zu helfen, denn sie wollen nicht von Almosen leben, sondern Geschäfte machen.

Mit welchen finanziellen Auswirkungen auf Düsseldorf rechnen Sie?

Die finanziellen Auswirkungen werden natürlich gravierend sein. Wir sind eine Stadt, die mit jährlich knapp einer Milliarde Euro mit das höchste Gewerbesteueraufkommen in Deutschland hat. Wir rechnen mit drastischen Einbrüchen im dreistelligen Millionenbereich. Wir sind bei den Unternehmen, die am stärksten von den Beschränkungen betroffen sind, kulant und stunden Gewerbesteuervorauszahlungen in erheblichem Umfang. 

Wir haben trotz aller Risiken auf der Einnahmeseite beschlossen, die Ausgaben nicht zurückzufahren, insbesondere nicht den Sanierungs- und Investitionshaushalt. Wir wollen nicht, dass die Wirtschaft, die ohnehin von einer Rezession bedroht ist, noch zusätzlich Aufträge verliert, weil die öffentliche Hand sich zurückhält. Im Gegenteil, wir sind gute Keynesianer und machen „Deficit Spending“, und investieren gerade in der Rezession ein bisschen mehr, als wir es in Düsseldorf ohnehin schon tun.

Düsseldorf steht finanziell noch gut da, ist schuldenfrei. Werden Sie neue Schulden aufnehmen?

Ich habe immer gesagt, ob Düsseldorf jemals schuldenfrei war oder nicht, ist eine Definitionsfrage. Aber ich sage mal ganz selbstbewusst, die Stadt war noch nie so schuldenfrei wie unter meiner Führung. Wir haben in den letzten Jahren immer strukturell ausgeglichene Haushalte gehabt. Wir haben ein finanzielles Polster, eine Ausgleichsrücklage in Höhe von 240 Millionen Euro angesammelt. Ich fürchte, diese Ausgleichsrücklage wird in diesem Jahr sehr schnell aufgebraucht. Wir werden in diesem Jahr keinen strukturell ausgeglichenen Haushalt haben. Was die Haushaltslage angeht, gibt es leider viele Kommunen, die in einer noch wesentlich schwierigeren Situation sind als wir.

Viele Kommunen befürchten, in Folge der Krise in einen Nothaushalt zu stürzen. Befürworten Sie einen Rettungsschirm für Kommunen?

Es wäre unsolidarisch, wenn ich jetzt nein sagen würde. Wir haben aber zurzeit so viele Rettungsschirme, da frage mich manchmal, wie sollen wir das alles bezahlen? Es gab den letzten großen Rettungsschirm Ende 2009. Damals gab es ihn deswegen, weil die Regierung alles tun wollte, um das Vertrauen wiederherzustellen und das Schwungrad der Wirtschaft wieder anzudrehen. Am Schluss wurde der Rettungsschirm eigentlich praktisch nicht in Anspruch genommen, weil die Wirtschaft sehr schnell wieder in Gang gekommen ist.

Diesmal ist es schwieriger, weil wir ja gezielt das wirtschaftliche Handeln unterbinden, indem wir alle möglichen Aktivitäten untersagen und damit im Prinzip bewusst eine Rezession herbeiführen. Da fragt man sich schon, wo das ganze Geld für die vielen Rettungsschirme herkommen soll, wenn nicht durch eine ziemlich drastische Inflation?

Wichtig ist natürlich, ist das wir jetzt Soforthilfe leisten – aber das allerwichtigste ist, dass wir eine Strategie zur Rückkehr der Normalität entwickeln, die eben relativ schnell wieder eine wirtschaftliche Aktivität zulässt – in dem Maße jedenfalls, in dem wir das Infektionsgeschehen beherrschen und kontrollieren können.

Eine Ausnahmesituation ist die Krise auch für die Mitarbeiter*innen der Verwaltung. Welche Abteilungen sind gerade besonders gefordert?

Besonders gefordert ist beispielsweise die Feuerwehr, deren Chef den Corona-Krisenstab der Stadt leitet. Die Feuerwehr hat im Rettungsdienst ständig mit den Auswirkungen des Virus zu tun. Aber sie stellt auch den mobilen Service, der Corona-Tests bei Angehörigen der Risikogruppen zu Hause durchführt. Natürlich ist auch das Gesundheitsamt zu nennen, das im Moment unter maximaler Belastung steht. Schön ist aber, dass viele Mitarbeiter aus anderen Bereichen der Stadt einspringen. Zum Beispiel bei unserer Corona-Hotline für die Vereinbarung von Tests. Diese Hotline mit 35 Arbeitsplätzen ist rund um die Uhr erreichbar. Dort arbeiten auch städtische Bedienstete, die an ihren eigentlichen Arbeitsplätzen nicht eingesetzt werden können. Mitarbeitende der Bäderbetriebe arbeiten aber auch zum Beispiel in der Drive-in-Testeinrichtung, die wir eingerichtet haben und in der sich Menschen in ihrem Auto testen lassen können. Die Herausforderung war, dass wir viele Mitarbeitende in neuen Funktionen einsetzen mussten, die es vorher gar nicht gab und die jetzt der Krise geschuldet sind. Das klappt bis jetzt außerordentlich gut und verdient ein dickes Lob an alle Beteiligten.

Können in Düsseldorf auch Verwaltungsangestellte im Homeoffice arbeiten?

Wir lassen Home-Office weit über das hinaus zu, was in der Betriebsvereinbarung geregelt ist. Wir haben allen, die möglicherweise selbst einer Risikogruppe angehören, gesagt, sie sollen sich keinen Risiken aussetzen und zu Hause arbeiten. Jeder sieht ein, dass dies besondere Zeiten sind, die besondere Maßnahmen erfordern.

Zu Ihren Geschäftsbereichen gehört die Förderung des Ehrenamtes. Welche Rolle spielt ehrenamtliches Engagement in der Coronakrise – und wie kann die Stadt es aktiv unterstützen?

Düsseldorf hat das Glück, dass wir immer einen großen Pool an Leuten haben, die sich ehrenamtlich betätigen. Das hat man auch in der Flüchtlingskrise gemerkt. Es gibt im Büro des Oberbürgermeisters ein eigenes Referat „Ehrenamtliches Engagement“. Wir haben Ehrenamtskarten, -plattformen und Ehrenamtsmessen, wo Freiwillige und Institutionen, die Tätigkeiten anbieten, zusammengebracht werden. Aktuell ist die Solidarität beziehungsweise das, was man altmodisch als Gemeinsinn bezeichnet, sehr verbreitet in unserer Stadt. Menschen, die andere mit Lebensmitteln versorgen, können eine Karte als ehrenamtlicher Helfer bekommen. Sie haben manchmal das Problem, dass sie nicht alles kaufen können, was sie brauchen, weil wir eine Allgemeinverfügung gegen das Hamstern erlassen haben. Mit der Karte unterliegt man nicht diesen Beschränkungen und kann begründen, warum man etwa drei Pakete Klopapier braucht.

Die Pandemie hält an. Können die Kommunen und die Töchterbetriebe der Stadt ihre Aufgaben der grundlegenden Daseinsvorsorge erfüllen? Es könnte ja Probleme, etwa durch Personalengpässe geben?

Ich sitze ja zum Beispiel im Aufsichtsrat der Stadtwerke Düsseldorf und habe bisher nicht den Eindruck, dass es dort Probleme gibt. Die Stadtwerke haben natürlich auch eine Pandemieplanung. Angenommen, es käme zu einer allgemeinen Ausgangssperre, gibt es zum Beispiel Pläne, das Personal in Räumen des Kraftwerks übernachten zu lassen. Sie machen eine sehr umsichtige Planung und sind auf alle Eventualitäten vorbereitet.

Gibt es Einschränkungen im ÖPNV oder bei der Müllabfuhr?

Die Müllabfuhr fährt ein bisschen breiter über den Tag verteilt, das Service-Angebot ist aber konstant geblieben. Beim ÖPNV wird im Moment eher abgeraten, ihn zu benutzen, weil das eine gewisse Gefahr der Infektion birgt. Das Fahrgastaufkommen ist deutlich zurückgegangen. Die Rheinbahn als städtische Verkehrsgesellschaft hatte zunächst generell auf den Samstagsfahrplan umgestellt, dann aber festgestellt, dass in der Rushhour die Fahrzeuge zu voll waren und ein hohes Ansteckungsrisiko bestand. Deswegen haben wir zu dieser Zeit eine Taktverdichtung.