Serie: „Unser Rathaus“

Rathaus Osnabrück: Einziger Tagesordnungspunkt: Krieg beenden!

Ulf Buschmann14. Oktober 2022
Karl-Heinz Zülke von der Tourisinfo im Friedenssaal. Er kennt die Geschichte des Westphälischen Friedens aus dem Effeff.
Im heutigen Friedenssaal des ­Osnabrücker Rathauses wurde das Ende des ­Dreißigjährigen ­Krieges besiegelt. 2023 jährt sich der Westfälische Friede zum 375. Mal.

Ein schöner Raum ist es, prunkvoll und doch gleichzeitig schlicht: eine über alle vier Wände laufende Bank, ein Tisch mit einem Gästebuch, reich verzierte Holzintarsien. Dieser Raum gehört zum Rathaus Osnabrück. Erbaut wurde es von 1480 bis 1512 im spätgotischen Stil. Seit 2015 gehört es zum europäischen Kulturerbe. Doch was viel wichtiger ist: Osnabrück trägt den Beinamen „Friedensstadt“. Dafür spielt eben dieser schlicht-prunkvolle Raum eine wichtige Rolle: der Friedenssaal.

Inspiration für die Nachwelt

Fünf Jahre lang, von 1643 bis 1648, wurde dort und parallel im Rathaus zu Münster über die Beendigung des ­Dreißigjährigen Krieges verhandelt. Am Ende stand der vor allem für das ­Heilige Römische Reich deutscher Nation so wichtige Westfälische Frieden von ­Osnabrück und Münster. Abgesandte des deutschen Kaisers und der Reichsstände auf der ­einen sowie von Schweden und Frankreich auf der anderen Seite schafften es, Jahrzehnte alte Konflikte zu beenden.

Der Westfälische Friede wird im kommenden Jahr 375 Jahre alt. Er gilt bis ­heute als Blaupause dafür, wie sich scheinbar unüberbrückbare Gegensätze am Ende überbrücken lassen.

Osnabrücker Friedensgespräche

Dass der Westfälische Friede nach wie vor Vorbild sein kann, stellen ranghohe Politikerinnen und Politiker immer wieder heraus. Dies geschieht meistens bei den seit 1986 stattfindenden „Osnabrücker Friedensgesprächen“. Dort bezog sich der damalige Bundesaußenminister und heutige Bundespräsident Frank-­Walter Steinmeier ausdrücklich auf dieses in der Geschichte der Neuzeit noch immer einmalige Ereignis. „Der Westfälische Frieden als Denkmodell für den Mittleren Osten“ hatte er seinen Vortrag betitelt.

Einfach hingegen schien es einst nicht zu sein – und doch waren die seinerzeit 109 Personen, die 16 europäische Staaten, 140 deutsche Fürsten und Städte sowie 38 weitere Mächte vertraten, fest entschlossen, dem Morden, Brandschatzen und Vergewaltigen endlich ein Ende zu setzen. Einige von ihnen sind im Friedenssaal als gemalte Porträts verewigt. Silke Brickwedde von der Kommunikationsabteilung der Stadt ­Osnabrück und Karl-Heinz Zühlke von der ­Tourist Information weisen auf die beiden wichtigsten sogenannten ­Pacificatores (Friedensmacher) hin: Maximilian Graf von Trauttmansdorff, Hauptabgesandter des deutschen Kaisers, und als sein Gegenspieler der schwedische Gesandte Johann Oxenstierna. Er soll der Überlieferung nach jeden Morgen und jeden Abend mit Pauken und Trompeten zu den Verhandlungen aufgebrochen und wieder in seine Residenz zurückgekehrt sein. Ob die Porträts korrekt sind, weiß niemand. „Die meisten Bilder sind nach Erinnerungen gemalt“, sagt Zühlke.

Friedensversprechen „in die handt“

Maximilian Graf von Trauttmansdorff habe große Teile des Vertrages verfasst, weiß Brickwedde. Aber auch ihm sei es wie allen Friedensmachern nach fünf Jahren gegangen: Sie waren müde. Deshalb war allen Beteiligten daran gelegen, dass am 6. August 1648 endlich eine Einigung zustande kommt. Wie aber sollte das Dokument Gültigkeit erlangen? Isaak Volmar, Baron von Rieden, österreichischer Politiker kaiserlicher Gesandter, schrieb dazu in sein Tagebuch, dass man sich das Versprechen „in die handt“ gab.

Der Friede zwischen dem deutschen Kaiser, den Fürsten und Schweden war besiegelt. Dieser Akt ist als „Handschlag von Osnabrück“ in die Geschichte eingegangen – übrigens nachdem alle Vereinbarungen noch einmal sechs Stunden vorgelesen worden waren und es hier und da noch kleine Änderungen gegeben hatte.

Mit Frankreich unterzeichneten der deutsche Kaiser und die Fürsten erst am 24. August 1648 im Rathaus zu Münster die Friedensurkunde. Verkündet wurde beides einen Tag später: Am 25. August standen alle Beteiligten auf der großen Freitreppe des gotischen Rathauses und verkündeten das Ende des ­Dreißigjährigen Krieges. Dies beinhaltete ebenso die Einigung zwischen Spanien und den nördlichen Niederlanden. Diese beendete einen 80 Jahre ­alten Konflikt und gilt als Geburtsstunde der heutigen Niederlande. Nur der französisch-spanische Krieg endete erst 1659  durch den Pyrenäenfrieden.

Religionsfreiheit wieder hergestellt

Der Westfälische Frieden von Osnabrück und Münster war so etwas wie das Grundgesetz des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. Er stellte die Religionsfreiheit und Reichsverfassung wieder her – endlich war es vorbei mit dem Zank um den vermeintlich richtigen Glauben, denn Katholiken, Lutheraner und Calvinisten waren fortan gleich­gestellt. Der Westfälische Frieden sicherte den Frieden immerhin bis zu den Napoleonischen Kriegen 1806.

Auch wenn die katholische Kirche noch viele Jahre gegen den Westfälischen Frieden wetterte, weil sie Ländereien und Macht verloren hatte, und die Nazis dieses Ereignis als „Schwäche“ auslegten, ist doch die Bedeutung dessen, was im Osnabrücker Friedenssaal einst vollbracht wurde, unbestritten. Hierzu schreibt die Historikerin Professor Dr. Siegrid Westphal von der hiesigen Universität im „Osnabrücker Friedensbuch“: „Der Westfälische Frieden ist ein europäischer Erinnerungsort, der angesichts der heutigen Krisen und ­Konflikte versinnbildlichen kann, dass Frieden – auch unter schwierigsten Rahmenbedingungen – immer das Ziel aller Politik sein muss.“

Übertragen auf die heutige Zeit, glaubt Stadtsprecherin Brickwedde, dass es so sei, als ob Israel, die Palästinenser, die Amerikaner und die Chinesen an ­einem Tisch Platz nehmen würden. Nur die ­Russen nimmt sie aus ihrer Betrachtung heraus – mit ihnen seien Verhandlungen unmöglich. Trotzdem: „So gesehen ist das, was vor 374 Jahren geschehen ist, ein gutes Modell für Verhandlungen.“

 

Dieser Artikel stammt aus dem „vorwärts-kommunal”, den Extra-Seiten für sozialdemokratische Kommunalpolitik im vorwärts. In der Serie „Unser Rathaus” stellen wir außergewöhnliche Rathäuser und ihre Geschichten vor.