Interview Hussien Khedr

Warum Nicht-EU-Ausländer kommunal wählen sollten

Kai Doering16. März 2017
Bisher haben nur deutsche Staatsbürger und EU-Ausländer das kommunale Wahlrecht.
Am Mittwoch ist der Vorstoß der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen Nicht-EU-Ausländern das kommunale Wahlrecht zu ermöglichen am Widerstand der CDU gescheitert. Warum das der Integration schadet und Demokratiefeinden nutzt, erklärt AG-Migrationsvorstand Hussien Khedr.

Herr Khedr, wie groß ist das Vertrauen von Migranten in die deutsche Politik?

Es kommt darauf an, von welchen Migranten die Rede ist. Allzu häufig entscheidet die Herkunft darüber, ob man an der Gesellschaft beteiligt ist oder nicht. Wer nicht beteiligt ist, fühlt sich ausgegrenzt und ausgeschlossen. Ihm fällt es schwer, Vertrauen aufzubauen.

Welche Möglichkeiten haben Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit überhaupt, sich politisch an der Gesellschaft zu beteiligen?

Die Möglichkeiten sind sehr unterschiedlich. Besonders macht sich das beim kommunalen Wahlrecht bemerkbar. Hier gibt es Migranten erster und zweiter Klasse. Wer aus einem Land außerhalb der EU kommt, ist vom kommunalen Wahlrecht ausgeschlossen, obwohl er vielleicht schon seit über 40 Jahren in Deutschland lebt und in die kommunale Mitgestaltung einbezogen werden müssten. Nicht-deutsche EU-Bürger, die drei Monate in Deutschland leben, dürfen dagegen bei kommunalen Wahlen wählen. Somit können sie schon aktiv in das politische Geschehen eingreifen. Eine solch starke Diskrepanz zwischen Wohn- und Wahlbevölkerung verringert die politische Legitimation gewählter Volksvertreterinnen und Vertreter und führt zu einer immer weiter ansteigenden Politik-Verdrossenheit.

Was bedeutet das für die Menschen aus Drittstaaten?

Sie arbeiten, bezahlen Steuern – bestenfalls engagieren sie sich ehrenamtlich für die Gemeinden und Kommunen, aber wenn es um kommunale Entscheidungen geht, müssen sie warten, dass andere für sie entscheiden. Wie kann ein „Wir-Gefühl“ entstehen, wenn schon in der Kommune, dem ersten Berührungspunkt und der ersten Verwaltungsebene, viele Menschen in wichtige Entscheidungsprozesse nicht eingebunden werden?

Wie sähen zeitgemäße Beteiligungsmöglichkeiten für Menschen mit Migrationshintergrund aus?

Am besten wäre ein kommunales Wahlrecht unabhängig davon, ob jemand EU-Bürger ist oder nicht. Ich plädiere für ein kommunales Wahlrecht für Menschen mit Niederlassungserlaubnis. Die Niederlassungserlaubnis wurde mit dem Zuwanderungsgesetz als Aufenthaltstitel neben der Aufenthaltserlaubnis eingeführt. Im Gegensatz zur Aufenthaltserlaubnis handelt es sich dabei aber um einen unbefristeten Aufenthaltstitel. Die Niederlassungserlaubnis berechtigt zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit, ist räumlich unbeschränkt und darf außer in durch das Aufenthaltsgesetz zugelassenen Fällen nicht mit einer Nebenbestimmung versehen werden. Im aktuellen Koalitionsvertrag  hat die nordrhein-westfälische Regierung solch ein Wahlrecht auch als klares politisches Ziel formuliert. Leider konnte es wegen des Widerstands der CDU nicht umgesetzt werden. Der Landtag von Schleswig-Holstein hat 2013 bereits den Beschluss zu einer entsprechenden Bundesinitiative gefasst und die SPD-Baden-Württemberg hat denselben Beschluss auf einem Landesparteitag 2014 gefasst. Renommierte Verfassungsrechtler sind sich im übrigen einig, dass die Einführung des kommunalen Wahlrechts durch eine Änderung der Landesverfassungen, also auch ohne die Änderung des Grundgesetzes, möglich wäre. Trotzdem sollte das Ziel aber eine deutschlandweite Lösung sein.

Vor einigen Monaten haben Sie eine Petition zum kommunalen Wahlrecht für Nicht-EU-Ausländer an den Bundestag gestellt. In der Begründung sagen Sie, solche eine Maßnahme würde auch vor einem „Wachstum der AfD“ schützen. Wieso ist das so?

In meiner Heimat Ägypten würden viele Menschen gerne wählen gehen. Aber dort müssen sie auf die Straße gehen, um dafür zu kämpfen. Und manchmal bezahlen sie dafür mit ihrem Leben. In Deutschland ist es andersherum. Das Wahlrecht für Deutsche oder EU-Bürger ist gesichert und trotzdem liegt die Wahlbeteiligung manchmal nur bei knapp 50 Prozent. Die Nicht-Wahlberechtigten sind von jedem Ergebnis betroffen. Sollten sie die Möglichkeit haben, zu wählen, würden sie sich mit ihrer eigenen Stimme für die demokratischen Parteien vor den rechten Parteien schützen.

Das Interview erscheint mit freundlicher Genehmigung von vorwaerts.de

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