„Housing for all“

Europäische Bürgerinitiative fordert sozialere Wohnungspolitik

Carl-Friedrich Höck09. April 2019
Wohnungsschlüssel
Die Freude über neue Wohnungsschlüssel wird oft durch hohe Mieten getrübt – die Wohnkostenbelastung ist europaweit gestiegen.
Eine Bürgerinitiative kritisiert: Das EU-Recht schränke Kommunen ein, wenn sie in bezahlbaren Wohnraum investieren wollen. Nun sammelt sie europaweit Unterschriften, um das zu ändern.

Eine europäische Bürgerinitiative will eine Million Unterschriften sammeln, damit die Europäische Union mehr für leistbaren Wohnraum unternimmt. Die neu gegründete Initiative „Housing for all“ wurde am Dienstag in Berlin vorgestellt.

„Europa befindet sich in einer tiefen Wohnungskrise“, sagt die Sprecherin der Initiative, Karin Zauner-Lohmeyer. Rund 53 Millionen Europäer seien „von Wohnkosten überbelastet“, zahlten also mehr als 40 Prozent ihres Einkommens für das Wohnen. Allein in Deutschland gelte das für fast zwölf Millionen Menschen. Auch die Zahl der Obdachlosen sei rasant gestiegen, beklagt Zauner-Lohmeyer. Sie selbst arbeitet für ein städtisches Wiener Wohnungsunternehmen.

Finanzkrise und Schuldenbremsen als Gründe für hohe Mieten

EBI-Vorstellung
Vorstellung der Bürgerinitiative in Berlin

Die Sprecherin sieht für die gestiegenen Wohnkosten mehrere Gründe: Seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 seien die Investitionen in bezahlbares und soziales Wohnen in Europa um die Hälfte zurückgegangen. Gleichzeitig würden Großinvestoren auf hohe Renditen spekulieren und ganze Stadtteile aufkaufen. Zwar seien die Mitgliedsstaaten der EU für die Wohnungspolitik selbst zuständig. Doch es gebe „wesentliche Kriterien, die auf EU-Ebene gestaltet werden, etwa die Maastricht-Kriterien und das Beihilfenrecht.“ Dadurch würden Kommunen stark beschränkt, wenn sie in sozialen und leistbaren Wohnraum investieren wollen.

Die Bürgerinitiative erhebt nun fünf Forderungen:

  1. Erleichterung des Zugangs für alle zu leistbarem Wohnbau
  2. Keine Anwendung der Maastricht-Kriterien auf öffentliche Investitionen in bezahlbaren und sozialen Wohnungsbau
  3. Besserer Zugang zu EU-Finanzmitteln für gemeinnützige und nachhaltige Wohnbauträger
  4. Soziale und wettbewerbsgerechte Regeln für Kurzzeitvermietungen über Online-Plattformen (Ferienwohnungs-Portale)
  5. Kleinräumige statistische Erfassung des Wohnbedarfs in Europa

Bürgerinitiative wird von DGB und Mieterbund unterstützt

„Housing for all“ hat nun ein Jahr Zeit, für diese Forderungen eine Million Unterschriften zu sammeln. Diese müssen aus mindestens sieben Mitgliedsländern der EU stammen, wobei für jedes Land wiederum ein Quorum zu erfüllen ist. Gelingt dies, so muss das Anliegen sowohl von der EU-Kommission als auch vom Europäischen Parlament angehört und behandelt werden. Für die Initiative wurde ein Bürgerausschuss gebildet, dessen Mitglieder aus Österreich, Spanien, Deutschland, Schweden, Zypern, Portugal und Kroatien kommen.

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Unterstützt wird die Europäische Bürgerinitiative vom Deutschen Mieterbund und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Dessen Vorstandsmitglied Stefan Körzell kritisiert besonders die Maastricht-Kriterien, mit denen die Aufnahme neuer Schulden reguliert wird. Was ein Spardiktat auf dem Wohnungsmarkt bewirke, sei in Deutschland zu sehen: „Bund, Länder und Kommunen haben eine Million Wohnungen verkauft.“ Auch Grund und Boden sei privatisiert worden – jetzt fehlten die Flächen, um bezahlbare Wohnungen zu bauen. Zudem sei die Verwaltung kaputt gespart worden, weshalb die Bau- und Planungsbehörden ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen könnten. In den städtischen Genehmigungsbehörden gebe es zehn Prozent weniger Personal als 2011, obwohl die Städte wachsen. Ein Drittel der Beschäftigten sei älter als 55 Jahre und gehe in den kommenden Jahren in Rente. Der sparbedingte Einstellungsstopp räche sich nun, weil Know-how verloren gegangen sei und Neubauprojekte in der Warteschleife hingen.

EU-Recht beeinflusst die soziale Wohnraumförderung

Körzell fordert, „dass Investitionen des Bundes, der Länder, Städte und Gemeinden in bezahlbares und soziales Wohnen von den Maastricht-Kriterien ausgenommen werden.“ So sieht es auch Reiner Wild, Vorstandsmitglied des Deutschen Mieterbundes. In Deutschland etwa müsse der Sozialer Wohnungsbau weiter ausgeweitet werden, auch auf Länderebene.

Dass auch das europäische Beihilferecht Kommunen ausbremsen kann, schildert Reiner Wild an einem Beispiel: In den Niederlanden habe ein privates Wohnungsunternehmen den Staat verklagt, weil es sich bei der Inanspruchnahme der Fördermittel diskriminiert sah. Ziel sei es gewesen, „dass die Niederlande künftig den sozialen Wohnungsbau nur noch zur Verfügung stellen darf für die Ärmsten der Armen.“ Vor dem Europäischen Gerichtshof sei das Unternehmen damit im Wesentlichen erfolgreich gewesen – zu Lasten der sozialen Mischung im geförderten Wohnungsbau.

Auch in Deutschland müssten die Bundesländer ihre Förderbestimmungen bei der EU anmelden. Weil hierzulande auch private Investoren die Wohnraumförderung in Anspruch nehmen können, seien bisher alle angemeldeten Richtlinien akzeptiert worden. „Aber in dem Moment, wo wir das deutlich ausweiten, kann uns selbiges passieren“, warnt Wild mit Blick auf die Niederlande.

„Wir sind überzeugte Europäer”, stellt Mieterbund-Bundesdirektor Lukas Siebenkotten klar. Aber die EU müsse nicht alles selber regeln.

Mehr zur Bürgerinitiative
housingforall.eu

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