Kommunen und Europa

Für eine europäische Politik der „sozialen Städte“

Christophe Rouillon15. Juni 2018
Christophe Rouillon ist erster stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE – englisch: Party of European Socialists, PES) im Ausschuss der Regionen, Bürgermeister von Coulaines und Vize-Präsident des Verbandes der französischen Bürgermeister.
Die SPE-Fraktion im Ausschuss der Regionen macht sich für ein sozialeres Europa stark.

Die Forderung nach einem soziale(re)n Europa steckt der europäischen Sozialdemokratie in den Genen und wird ohne Zweifel im Europawahlkampf 2019 an vorderster Stelle stehen. Eine wichtige Rolle wird dabei der Ruf nach einem ­„Sozialen Fortschrittsprotokoll“ einnehmen, welches auf der im November 2017 verabschiedeten europäischen Säule der sozialen Rechte aufbaut. Wir Sozial­demokratinnen und Sozialdemokraten im Europäischen Ausschuss der Regionen (AdR) wollen uns jedoch auch für ein in den Städten erfahrbareres, s­ozialeres Europa stark machen. In der Tat hat der jüngste Kohäsionsbericht der EU-Kommission vom Oktober 2017 u.a. offengelegt, dass trotz der wachsenden Konzentration von Arbeitsplätzen in Städten leider auch der Anteil der Haushalte mit niedriger Erwerbsbeteiligung in den „alten“ EU-Mitgliedstaaten gerade dort am höchsten ist und das Armutsrisiko und die Gefahr sozialer Ausgrenzung in großen und kleineren Städten und Vororten nach wie vor über dem Vorkrisenniveau liegen.

Gefahr für den Zusammenhalt

Diese Situation ist eine Gefahr für den Zusammenhalt, sowohl der Gesellschaften in den Mitgliedstaaten, also auch für die Europäische Union insgesamt. Und auch wenn die EU-Verträge weiterhin nur begrenzte Zuständigkeiten im ­sozialen Bereich vorsehen, kann Europa für die soziale Stadt viel tun.

Zunächst lässt sich über den in der neuen Förderperiode – vom Jahr 2021 an – mindestens 100 Milliarden ­Euro schweren Europäischen Sozialfonds Plus (ESF+) viel Konkretes bewerkstelligen. Entscheidend in der Ausgestaltung des ESF+ wird dabei sein, dass dieser nicht re-nationalisiert bzw. zentralisiert wird, sondern nach dem sogenannten Partnerschaftsprinzip die Städte direkt in die Ausarbeitung der „operativen Programme“ einbezogen werden. Auch wollen wir, dass Städte – ob in Griechenland, Polen oder Deutschland – bei den vom ESF+ zu finanzierenden langfristigen Integrationsmaßnahmen von Migranten direkte Zugriffsmöglichkeiten bekommen. Das Programm für Beschäftigung und soziale Innovation (EaSI), ein Finanzinstrument auf EU-Ebene, mit dessen Hilfe hochwertige und nachhaltige Beschäftigung, ein angemessener und fairer Sozialschutz, die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung sowie die Verbesserung der Arbeitsbedingungen gefördert werden können, soll in den künftigen ESF+ integriert werden. Auch bei diesem Instrument wird es darum gehen, dass es für Städte und Gemeinden abrufbar ist.

InvestEU-Programm

Das auf Rendite ausgelegte Nachfolgeprogramm zum Europäischen Fonds für strategische Investitionen (EFSI), das sogenannte InvestEU-Programm, soll per Hebelwirkung auf Grundlage von 15,2 Milliarden Euro Startkapital aus dem EU-Haushalt Investitionen in Höhe von 650 Milliarden Euro ermöglichen. Davon sollen 50 Milliarden Euro auf soziale Investitionen entfallen. Dies mag nach unerreichbaren Dimensionen klingen, aber das bereits existierende EFSI-Programm zeigt, dass es geht: Es hat Projekte wie ein öffentliches Mehrgenerationenhaus auf einem Fabrikgelände im Ort Mallersdorf-Pfaffenberg bei Regensburg oder ein Forschungsprojekt an der TU Chemnitz für praxistaugliche Assistenzsysteme für Demenzpatienten ermöglicht, die sie dabei unterstützen sollen, so lange wie möglich in den ­eigenen vier Wänden zu wohnen.

Zusätzlich zu den finanziellen Fördermöglichkeiten muss es auch darum gehen, auf EU-Ebene neue Politikansätze zu ermöglichen, der sozialen Stadt sowohl neue Entfaltungsmöglichkeiten im Rahmen der EU-Politiken zu geben als auch anzuerkennen, was vor Ort geleistet wird. So hat sich die EU vor zwei Jahren, genau am 24. Juni 2016, im „Pakt von Amsterdam“ zum ersten Mal in ihrer Geschichte eine „Städtische Agenda“ gegeben. Ziel der Agenda ist es, Städte mehr in die Gestaltung der mittelfristigen Stadtentwicklungspolitik auf regionaler, nationaler und EU-Ebene einzubinden und ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, zu besseren Gesetzen, besserer Förderung und zu besserem Fachwissen in ihren Ländern und in der EU beizutragen.

Handeln in europäische Zusammenhänge integrieren

Es geht dabei auch um ein Aufeinanderzugehen. Während von den euro­päischen Institutionen erwartet wird, dass sie die lokale Regierungsebene gemäß dem Partnerschaftsprinzip besser in die Politikgestaltung einbinden, müssen Städte und Gemeinden lernen, ihr Handeln besser in europäische Zusammenhänge zu integrieren, Syner­gien zu suchen, „Europa“ einen gewissen Vertrauensvorschuss zu geben und auch die Bürgerinnen und Bürger über die europäische Dimension ihres urbanen Umfeldes zu informieren.

Zwölf thematische Partnerschaften sind das Hauptinstrument für die Umsetzung der „Städtischen Agenda“. Zu den zu bearbeitenden Themen gehören unter anderem die Integration von Migranten und Flüchtlingen, Wohnen oder städtische Mobilität. Vor dem Hintergrund von zum Beispiel ca. 82 Mil­lionen Menschen, die in der EU unter zu hohen Wohnkosten leiden, geht es bei der Städtepartnerschaft zur Wohnungspolitik darum, Vorschläge für bessere rechtliche und finanzielle Bedingungen zur Schaffung von leistbaren Wohnungen für breite Schichten der Bevölkerung in Städten zu entwickeln: Das betrifft u.a. den Widerstand gegen eine enge Auslegung des EU-Wettbewerbsrechtes, welche dazu führt, dass die Förderung des sozialen Wohnungsbaus nur noch auf die sozial am meisten benachteiligten Gruppen – also Menschen in Armut oder Obdachlosigkeit – beschränkt würde. Es betrifft den Kampf gegen die Energiearmut (und den Klimawandel) mit der EU-geförderten Sanierung von öffentlichen Wohnungen zur Energieeinsparung. Und es betrifft koordinierte Antworten auf Verknappungstendenzen bei städtischem Wohnraum durch neue Plattformen, die Wohnungen dem normalen Markt entziehen, um sie für touristische Zwecke zu nutzen.

EU-Städteagenda: 2019 kommt Stunde der Wahrheit

Auch bei der EU-Städteagenda wird im Jahr 2019 – drei Jahre nach ihrer Ausrufung – die Stunde der Wahrheit schlagen. Wir Sozialdemokraten sollten dafür einstehen, dass dieses aus unserer Sicht bisher erfolgreiche Modell dauerhaft ­installiert wird.

Die Erfahrungen mit der „Städtischen Agenda“ und die Aufmerksamkeit für ein sozialeres Europa müssen auch zu ­einer Rehabilitierung der Daseinsvorsorge auf europäischer Ebene im größeren Zusammenhang führen. Hier muss der Fokus mehr auf der Qualität und dem sozialen Nutzen der Investitionen der öffentlichen Hand liegen. Eine gute Finanzpolitik kann sich nicht darauf beschränken, dass ein Staat nicht mehr ausgibt, als er einnimmt. Vielmehr muss die Zielsetzung sein, dass ein Staat auch durch die Ausgaben für die Daseinsvorsorge sicherstellt, dass auch künftige Generationen nachhaltige und attraktive ­Lebensbedingungen vorfinden, sei es in Infrastruktur, Schul- oder Justizwesen, bei Investitionen in Nachhaltigkeit oder bei der Förderung der Integration. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten im AdR fordern daher nicht nur mehr Mittel für eine „Politik der sozialen Städte“, sondern auch eine grundlegenden Mentalitätswechsel auf allen europäischen Regierungsebenen!

Mehr Informationen gibt es unter auf der Internetseite http://pes.cor.europa.eu/

Auf dem 13. DEMO-Kongress wird am Freitag, den 22.06.2018, ein Workshop zum Thema: „Strukturen und Verantwortung – Kommunen und Regionen in Europa“ stattfinden. Uhrzeit 11:30 bis 13:15 Uhr. Zum Programm geht es hier.