Plädoyer im Bundestag für mutige Verkehrswende

Experte fordert Modellstadt für autonomes Fahren

Uwe Roth28. April 2023
Auch mit 50 Prozent weniger Autos können wir unsere Mobilität bewahren, ist der Mobilitäts-Experte Andreas Herrmann überzeugt. Das autonome Fahren könne sich schneller durchsetzen, als viele glauben, erklärte er im Bundestags-Beirat für nachhaltige Entwicklung.

Andreas Herrmann ist Direktor am Institut für Mobilität der Universität St. Gallen in der Schweiz und ein weitgereister Wissenschaftler. In Jerusalem fuhr er in einem weitgehend autonom fahrenden Taxi und war begeistert. In London kennt er einen neuen, riesigen Wohnhauskomplex, für deren Bewohner*innen keine zehn Parkplätze zur Verfügung stehen. Inzwischen besitze jeder zweite Einwohner der Mega-City kein Fahrzeug mehr, dafür aber eine Mobilitätskarte und eine App. Mit dem Smartphone bestelle man den Verkehrsträger, der am besten geeignet sei, um unkompliziert ans nächste Ziel zu kommen.

Professor Herrmann berichtete am Mittwoch den Mitgliedern des parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung auch von der Stadt Oslo: Die norwegische Hauptstadt beabsichtige, 30.000 autonom fahrende Shuttlebusse zu bestellen und im Gegenzug bis Ende des Jahrzehnts den innerstädtischen Individualverkehr lahmzulegen. „Das ist eine Revolution. Ich würde mir wünschen, dass wir auch in Deutschland solche Meilensteine setzen“, sagte er. „Die Rahmenbestimmungen stimmen und die Technologie ist da“, gab er sich überzeugt.

„Wir brauchen irgendwo einen Durchbruch“

Die Mitglieder des Beirats folgten den Ausführungen zum Teil staunend. Mathias Stein (SPD) nahm als Mitglied im Verkehrsausschuss des Bundestags am öffentlichen Fachgespräch teil. Bislang habe er nur Aussagen von Gutachtern gekannt, die dem autonomen Fahren bis mindestens 2040 keine Chance geben, den Markt zu durchdringen, sagte er. Professor Herrmann glaubt angesichts des Osloer Beispiels allerdings, dass die technologische Reife sehr viel früher erreicht werde. „Wir brauchen irgendwo einen Durchbruch.“ Die Hürde sei allerdings das menschliche Verhalten. In Deutschland müsse jetzt der große Sprung geschafft werden. „Es nützt überhaupt nichts, weitere Testshuttles in irgendeiner Gemeinde in Deutschland einzusetzen. Wir lernen nichts mehr dazu“, sagte Herrmann.

Für den Gast aus der Schweiz ist die Vernetzung der verschiedenen Verkehrsträger das wichtigste Ziel, um den Individualverkehr entscheidend zu verringern. Eine Halbierung des Bestands an Privatautos hält er für realistisch, ohne Einschnitte in die Mobilität machen zu müssen. Für SUVs, die von Modell zu Modell größer werden, zeigte Herrmann kein Verständnis. Warum man die Energie aufbringe, um einen 2,5 Tonner in Bewegung zu setzen, der zwei Personen mit einem Gesamtgewicht von 120 Kilogramm von A nach B transportiere, könne er schwer nachvollziehen. Nicht nur Verbrenner-Motoren müssten aus den Innenstädten verschwinden, sondern ebenso Privatautos in XXL-Größe, lautete sein Plädoyer.

ÖPNV ist nur ein Baustein beim Mobilitätswandel

Alles auf den ÖPNV zu setzen, ist für ihn gleichfalls keine Lösung. Ein Zug, der 50 Tonnen wiege und abends und an den Wochenenden zehn Fahrgäste aufs Land bringe, sei weder ökologisch noch ökonomisch sinnvoll. „Wir müssen in Mobilität denken, nicht in Verkehrsträgern“, lautete einer seiner Kernsätze. Vom Bund finanziert, müsse eine Stadt zu einer Modellstadt umgebaut werden, in der dann nicht nur drei Shuttles, sondern gleich fünfzig, sechzig oder siebzig Shuttles unterschiedlicher Größenordnungen und unterschiedlicher Tarifsysteme fahren. Die Menschen müssten ihre Erfahrungen mit dem autonomen Fahren machen können. Damit würden auch Arbeitsplätze angesiedelt werden. Die Tech-Firmen kämen ebenso wie die App-Provider. So könne man ein neues Eco-System aufbauen, sagte Herrmann. „Wir müssen in einer Modellstadt alles einmal ausprobieren.“ Was gut laufe, könne auf andere Kommunen übertragen werden. Es dürfe weder das Auto verteufelt noch der öffentliche Schienenverkehr zu positiv bewertet werden, forderte er. „Nur im Miteinander der Verkehrsträger gelingt der Mobilitätswandel“, sagte Herrmann.

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