Kommission Nachhaltiges Bauen

Warum Experten höhere Umweltstandards für den Wohnungsbau fordern

Carl-Friedrich Höck01. Februar 2019
Ein Handwerker bringt Dämmplatten vor ein Einfamilienhaus. Die Kommission Nachhaltiges Bauen mahnt: Höhere ökologische Standards schon jetzt einzuhalten ist günstiger, als später nachzurüsten.
Die hohen energetischen Anforderungen für Neubauten sind in Verruf geraten: Zu teuer, klagt die Wohnungswirtschaft. Ein Expertengremium beim Umweltbundesamt widerspricht: Gerade jetzt, wo viele neue Wohnungen gebaut werden, müssten schärfere ökologische und gestalterische Standards für nachhaltiges Bauen durchgesetzt werden – auch auf kommunaler Ebene.

Die Bundesregierung ist spät dran. Eigentlich sollte zum 1. Januar 2019 ein neues Gebäudeenergiegesetz (GEG) in Kraft treten, das eine EU-Richtlinie in deutsches Recht umsetzt. Es wird energetische Anforderungen für Neubauten definieren, die zunächst für öffentliche Gebäude und ab 2021 für alle Gebäude gelten sollen. Das Gesetz soll zugleich das Baurecht entbürokratisieren. Denn es führt die Vorschriften aus drei anderen Quellen zusammen: der Energieeinsparverordnung, dem Energieeinspargesetz und dem Gesetz zur Förderung Erneuerbarer Energien im Wärmebereich.

Gebäudeenergiegesetz: Mehr Klimaschutz ist nicht geplant

Bisher aber gibt es weder das Gesetz noch einen Kabinettsbeschluss dazu. Lediglich ein Referentenentwurf aus dem Wirtschafts- und dem Bauministerium wurde im vergangenen November durch ein Leak öffentlich. Seitdem wird er kontrovers diskutiert.

Denn das Ziel des geplanten GEG klingt zwar ambitioniert: Künftig dürfen nur noch gesetzlich definierte „Niedrigstenergiegebäude“ errichtet werden. Aber praktisch enthält das geplante Gesetz keine verschärften Standards. Das bedeutet, es bliebe bei den Anforderungen, die seit 2016 in der EnEV festgelegt sind. Im Koalitionsvertrag haben CDU/CSU und SPD vereinbart, dass die aktuellen energetischen Anforderungen für Bestand und Neubau auch mit dem GEG fortgelten sollen. „Wir wollen dadurch insbesondere den weiteren Kostenauftrieb für die Mietpreise vermeiden“, begründen die Koalitionspartner dies.

Kommission Nachhaltiges Bauen kritisiert Referentenentwurf

Ein Expertengremium, das beim Umweltbundesamt angesiedelt ist, hält das Argument für kurzsichtig. Die „Kommission Nachhaltiges Bauen“ hat im Januar ein Positionspapier vorgelegt. Der Referentenentwurf widerspreche den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens, heißt es darin. „Deregulierung und Wachstum scheinen das alleinige Gebot der Stunde. Durch diese Verkürzung der Diskussion entstehen ökonomische und ökologische Risiken und ein Verlust an Standards, deren Entwicklung Jahrzehnte in Anspruch genommen hat.“ Der Referentenentwurf schreibe sogar „die Standards von vorgestern fest.“

Die Kommission fordert Bund, Länder und Kommunen auf, im Rahmen der Wohnraumoffensive stärkere ökologische Standards festzuschreiben. Wer also beispielsweise Geld aus einem KfW-Förderprogramm einsetzt, müsste dann klimafreundlicher bauen. Also so, dass Energie effizienter genutzt wird und die eingesetzten Materialien eine bessere Ökobilanz aufweisen.

Mehrkosten für klimafreundliches Bauen: Nur Peanuts?

Die Mitglieder des Gremiums verweisen darauf, dass die heute errichteten Gebäude das Grundgerüst für den Gebäudebestand im Jahr 2050 bilden werden – um die Klimaziele einzuhalten, müsse der Bestand dann nahezu klimaneutral sein. „Spätere Nachrüstungen sind ökologisch und ökonomisch nachteilig“, ist die Kommission überzeugt. Der stellvertretende Vorsitzende Burkhard Schulze Darup rechnet vor: Erfahrene Planer würden „hochwertige Effizienzstandards mit Passivhaus-Technologie“ für nur 50 bis 100 Euro Mehrkosten pro Quadratmeter Wohnfläche realisieren.

Die Wohnungswirtschaft dagegen beklagt schon jetzt, die Energieeffizienzstandards würden die Baukosten und damit die Mietpreise nach oben treiben. Der Verband GdW behauptet in einer 2017 veröffentlichten Broschüre zum Thema: „Die zusätzlich einsparbare Energiemenge wird bei der kontinuierlichen Verschärfung von Standards immer kleiner, die Aufwendungen dafür aber immer größer.“

Die Baukosten betragen vor allem in großen Städten bereits oft 3.000 Euro und mehr pro Quadratmeter. Grund für die zuletzt gestiegenen Kosten sind aber nicht nur energetische Auflagen und andere Vorgaben, sondern auch Engpässe in der ausgelasteten Bauwirtschaft. Das treibt die Preise nach oben. Wenn Schulze Darup mit seiner Einschätzung richtig liegt, würden die 50 bis 100 Euro mehr pro Quadratmeter für ökologischeres Bauen bei diesen Preisen kaum noch ins Gewicht fallen.

Kommission will Städte und Gemeinden weiter verdichten

Der Kommission Nachhaltiges Bauen nimmt neben den Gebäudestandards auch um die Stadtplanung in den Blick. Sowohl städtische Strukturen als auch schrumpfende Gemeinden müssten stärker verdichtet werden, fordern die Experten: „Schluss mit weiteren Anreizen wie dem Baukindergeld, die die weitere Zersiedelung unserer Kulturlandschaft vorantreiben.“ Stattdessen wollen sie Leerstand und Zweitwohnungen stärker besteuern und Anreize für Wohnprojekte schaffen, mit denen die Wohnfläche pro Person reduziert wird.

Bei der Verdichtung müsse auch auf die Wohnqualität geachtet werden, heißt es in dem Positionspapier. Wünschenswert seien „Nachbarschaften, die kompakt, raumbildend, reich an Wohnergänzungsfunktionen wie sozialer, kultureller und versorgender Infrastruktur sind, Raum für unterschiedliche Milieus bieten, Geschichtlichkeit sowie Identität aufweisen und durchgrünt sind“.

Auch müsse der Verkehr neu strukturiert werden: Weg vom eigenen Auto, hin zu „multimodalen“ öffentlichen Verkehrssystemen (also zum Beispiel der Kombination aus Bussen und Bahnen mit Car- und Bikesharing-Angeboten). Die Kommission plädiert dafür, die Zahl der Parkplätze zu reduzieren und die Musterbauordnungen entsprechend zu ändern. Darüber hinaus fordert sie Kommunen auf, dafür zu sorgen, dass die „historisch langlebigen Materialien des öffentlichen Raumes“ wie Naturstein weiter- und wiedergenutzt werden. Dies sollte „durch von den Kommunen aufgestellte und angewendete Gestaltungshandbücher verpflichtend werden.“

Kommission Nachhaltiges Bauen ist unabhängiges Gremium

Der Kommission Nachhaltiges Bauen gehören Fachleute aus Wissenschaft, Verwaltung und Praxis an. Sie berät das Umweltbundesamt, ist aber nicht an dessen Weisungen gebunden. Die meisten Mitglieder gehören öffentlichen Institutionen oder gemeinnützigen Instituten an. Anderen kann man ein Eigeninteresse an strengen Klimaschutzauflagen unterstellen: Der Vizepräsident Burkhard Schulze Darup führt zum Beispiel ein Architekturbüro, das auf Passivhäuser spezialisiert ist.

Aus dem Umweltbundesamt ist zu hören, die Positionen der Kommission seien zwar nicht mit den eigenen Standpunkten identisch, gingen aber in eine ähnliche Richtung. In den kommenden Monaten wird das Amt ein eigenes Papier zum Thema umweltfreundliches Bauen veröffentlichen.

Die Pressestelle des für Bau zuständige Bundesinnenministerium wollte sich zum geleakten Referentenentwurf für das Gebäudeenergiegesetz nicht äußern. Der Entwurf müsse noch zwischen den Ressorts abgestimmt werden, danach werde eine Anhörung von Ländern und Verbänden eingeleitet. Erst dann werde man den Gesetzesvorschlag veröffentlichen und kommentieren.

 

Mehr Informationen:
Das Positionspapier "Was tun – im Wohnungsbau" finden Sie hier.

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