Öko-fairer Einkauf

Faire Latzhosen für das Rathaus

Martina Hahn 20. Februar 2017
Ein Gärtner der Stadt Dortmund trägt ein Shirt aus öko-fairem Einkauf.
Immer mehr Kommunen wollen ökofair einkaufen – aber wissen nicht, wie. Dortmund gilt als Paradebeispiel für eine nachhaltige Beschaffung.

Wer beim Einkauf auf Bio und Fair achtet, mag auf der richtigen Seite stehen – er kann als Beschaffer trotzdem vieles falsch machen. Zum Beispiel, den Kolleginnen und Kollegen vom Tiefbau oder aus dem Grün­flächenamt etwas aufdrücken, statt sie in die Auswahl mit einzubeziehen. „Nehmen Sie alle, die mit Ihren Einkäufen arbeiten müssen, bei Ihrer Entscheidung mit“, rät Aiko Wichmann. Er geht auch mal selbst in die Kolonne und schwingt die Schippe. „Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie es ist, wenn man auf der Baustelle bei Kälte im Regen arbeitet“, so Wichmann. „Sag ich dem Kollegen dann, hier, probier mal diese Jacke, die ist öko, hält aber genauso dicht, dann ist das nicht nur ehrlich, sondern auch glaubwürdig.“

Kleidung für Gärtner und Zoowärter

Wichmann leitet stellvertretend das Vergabe- und Beschaffungszentrum von Dortmund. Damit ist er quasi oberster Einkäufer der Stadt. Einer Stadt, die wie auch Hamburg, Mainz, Bremen, Bonn oder München als Paradebeispiel für ­eine nachhaltige Beschaffung gilt. Denn Wichmann und sein Team achten bei den Hemden, Jeans oder Socken für die Feuer­wehrleute, Gärtner, Zoowärter oder Kanalbauer darauf, dass die Kleidung unter sozial fairen Bedingungen hergestellt wurde, die neuen Computer möglichst wenig Strom ziehen, Fußbälle für die Schulen nicht von Kindern genäht und Pflastersteine nicht von Jugendlichen gehämmert wurden, und dass die Lebensmittel für Kita oder Kantine möglichst ein Bio- oder Fair-Trade-Zeichen tragen oder vom heimischen Acker stammen.

Aufträge im Wert von rund 140 Mil­lionen Euro hat Dortmund 2016 vergeben – davon rund 100.000 Euro an Händler, die Arbeits- und Schutzkleidung mit sauberen Labels wie dem Fairtrade-Siegel, dem Gots-Ökozeichen oder Textilien von Mitgliedern der Fair Wear Foundation im Sortiment haben. Die sorgsame Beschaffung hat der Stadt und ihren rund 600.000 Einwohnern in mehrfacher Hinsicht geholfen: Sie hat der finanzklammen Kommune Geld gespart. Und ihr Image verbessert: „Wir sind eine Unistadt – nachhaltige Zeichen zu setzen, spricht junge Leute an“, sagt Wichmann.  
Und es macht die Welt etwas besser. Kommunen, die sozial verantwortlich und umweltbewusst beschaffen, tragen dazu bei, dass bei der Herstellung von Kleidung, Technik oder Essen Menschen gerechter bezahlt, Arbeitsrechte gewahrt werden und die Umwelt geschützt wird. „Mit Steuergeldern dürfen keine Menschenrechte verletzt werden“, sagt Christian Wimberger von der Christlichen Initiative Romero, kurz CIR, einer Menschenrechtsorganisation, die Kommunen in der fairen Beschaffung berät. „Mit ihrer Beschaffung hat die öffentliche Hand eine reale Chance, zur Achtung der Menschenrechte und der Umwelt bei der Herstellung von Gütern weltweit beizutragen.“

Die öffentliche Hand ist der größte Konsument im Land

Über ihr Beschaffungswesen können Bund, Länder und Kommunen sogar noch stärker als der einzelne private Verbraucher auf Unternehmen Druck ausüben, damit diese auf saubere Zulieferer achten. Denn die Öffentliche Hand ist der größte Konsument im Land: Sie vergibt in Deutschland jährlich Aufträge im geschätzten Wert von 360 Milliarden Euro, so die Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung (KNB) im Beschaffungsamt des Bundesministeriums des Innern. Mehr als die Hälfte davon entfällt auf die Kommunen. Mit Steuergeldern kaufen Bund, Länder und Kommunen Pflastersteine für Marktplätze, Kaffee oder Orangensaft für die Kantine, Möbel und EDV für die Büros, Uniformen für Polizei und Feuerwehr, Bälle für Schulen oder Blumen fürs Rathaus ein – Produkte, die überwiegend aus Billiglohnländern stammen, für die es heute aber meist seriös zertifizierte sozial und ökologisch saubere Alternativen gibt.

Immer mehr Kommunen berücksichtigen diese bei ihren Ausschreibungen. Mit Ausnahme von Sachsen und Bayern haben sämtliche Bundesländer Vergabe­gesetze verabschiedet, in denen die Einhaltung grundlegender Arbeitsrechte bei der öffentlichen Beschaffung vorgesehen ist, in einigen Fällen sogar zwingend. Dadurch ist das Gros der Kommunen verpflichtet, die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen von den bietenden Unternehmen zu verlangen. Das Land NRW erlaubt in seinem Vergabe- und Tariftreuegesetz, dass „in geeigneten Fällen“ sogar Waren aus dem Fairen Handel eingekauft werden können. 290 der bundesweit rund 11.100 Kommunen haben sich per Ratsbeschluss gegen den Einkauf von Produkten aus ausbeuterischer Kinder­arbeit entschieden, 452 nennen sich heute Fairtrade-Towns, 52 bilden das Netzwerk Faire Metropole Ruhr.

Damit haben sie umgesetzt, was 2016 mit dem Paragrafen 97 (Abs. 3) GWB reformierte deutsche Vergaberecht bereits seit 2009 allen Kommunen erlaubt: Nicht mehr der Preis ist ausschlag­gebend für den Zuschlag. Vielmehr können Kommunen in Ausschreibungen und Vergabe­verfahren nun darauf drängen, dass der Lieferant oder Dienstleister soziale oder umweltfreundliche Kriterien erfüllt und seine Ware im Idealfall sogar ein sozia­les oder grünes Gütesiegel aufweist. Laut EU-Recht kann der Auftraggeber als Nachweis für die Einhaltung solcher Merkmale ein Zertifikat verlangen – für die gesamte Lieferkette. Vor 2009 galten solche Kriterien noch als „vergaberechtsfremd“ und waren damit unzulässig.

Falsch informiert über das Vergaberecht

Die Einstellung, dass eine öko-faire Vergabe gegen Recht verstößt, hält sich auch in manchen Amtsstuben hart­näckig. Das erlebt CIR-Mann Wimberger in Gesprächen mit Kommunalvertretern und Ratsmitgliedern immer wieder – dabei sei das „völliger Quatsch“. Dass „soziale Kriterien in öffentlichen Ausschreibungen bisher noch zu wenig Anwendung finden“, wie Dortmunds OB Ullrich Sierau (SPD) bedauert – gerade auch im Vergleich mit Schweden, Frankreich oder den Niederlanden, hat dennoch mehrere Ursachen. Das deutsche Vergaberecht verpflichtet nicht zum nachhaltigen Einkauf. Es enthält Kann-, aber keine Muss-Bestimmungen.

Hinzu kommt: Den einen fehlt der politische Wille. Andere schreckt der Aufwand, sich in eine neue Vergabe­praxis einzuarbeiten – oder es fehlt schlicht die Kenntnis, wie es geht. Die Umstellung auf eine öko-faire Beschaffung „ist tatsächlich nicht einfach, da viele Informationen zu Produkten und Zulieferketten nicht veröffentlicht werden“, räumt Gertrud Falk ein, Expertin für Sozialstandards bei der Menschenrechtsorganisation FIAN. Mit der Folge, „dass viele Kommunen Eigenerklärungen der Händler und Selbstverpflichtungen der Hersteller akzeptieren, ohne unabhängige Zertifikate zu verlangen“, sagt Walter Schmidt von XertifiX, einem Verein zur Förderung fairer Natursteine.

Viele Informationsmöglichkeiten zur öko-fairen Beschaffung

Dabei haben Kommunalvertreter ­viele Möglichkeiten, sich zu informieren: Es gibt Leitfäden und Info-Portale zur öko-fairen Beschaffung. Die KNB bietet Einkäufern und Entscheidern Schulungen an. Sie hat mit dem IT-Verband ­Bitkom eine erste Branchenvereinbarung zum Einkauf sozial sauberer IT erarbeitet und eine Hotline geschaltet. Dort, sagt KNB-Mitarbeiter Ralf Grosse, höre man immer wieder das Argument, nachhaltig einzukaufen sei zu teuer. „Das stimmt nicht“, so ­Grosse. „Nachhaltiges kostet, bis auf wenige Ausnahmen, nicht mehr als das Standardprodukt“ – und weniger noch, sobald Kommunen Lebenszeit-, Betriebs- und Entsorgungskosten sowie externe Kosten von Produkten mit berücksichtigen, etwa die Folgekosten durch Klimaschäden. „Die Frage, wie lange hält das Teil, gehört jetzt dazu“, sagt Grosse.

Auch die Sorge vieler Beschaffer, dass sich kein Anbieter auf eine Ausschreibung voller Kriterien meldet, sei nicht unbegründet, aber das Problem lösbar, sagt Dortmunds Beschaffer Wichmann. Das meiste gebe es auch in nachhaltiger Qualität. Wo nicht, geht er auf Unternehmen zu. Das sei wichtig, „davon haben auch die Firmen etwas, nämlich einen Abnehmer und einen Wettbewerbsvorteil, denn soziale Aspekte werden immer wichtiger“.

Forderung nach verbindlichen Mindeststandards im Beschaffungswesen

Eine nachhaltigere Beschaffung etwa fordern der jüngst vom Bundeskabinett verabschiedete Nationale Aktionsplan Menschenrechte und Wirtschaft sowie das Maßnahmenprogramm Nachhaltigkeit, wonach die Bundesverwaltung „bis 2020 möglichst 50 Prozent der Textilien nach ökologischen und sozialen Kriterien zu beschaffen“ hat. Trotzdem gilt auch für Wichmann: „Bei manchen Produkten ist ein Zertifikat aktuell noch nicht durchsetzbar – Feuerwehr und Kanalbauer brauchen nun mal eine bestimmte Schutzkleidung, und die gibt´s nicht immer zwingend mit einem fairen Siegel.“

Ob eine Kommune nachhaltig einkauft, „hängt oft von einzelnen Personen ab, die das Ganze fördern – oder eben blockieren“, sagt KNB-Mitarbeiter Grosse. Letzteres auch wegen des Dschungels an Beschaffungsregelungen und Richtlinien. Momentan sei „die Vergabelandschaft in Deutschland noch zersplittert“, so das CorA-Netzwerk für Unternehmensverantwortung. Jede Kommune mache ihr eigenes Ding, oft nur auf dem Papier, moniert CIR-Vertreter Wimberger – auch, weil die Bundesebene nichts vorgibt, „das ist ­eine große Baustelle, da passiert noch wenig“. Der Bund, fordert er, „muss einen verbindlichen und anspruchsvollen ­Mindeststandard für alle Ebenen schaffen“. Und den Kommunen Vorbild sein. Leider, sagt Wimberger, „ist es derzeit eher umgekehrt“.

Praxis der nachhaltigen Beschaffung

•     „Sozial gerechter Einkauf – jetzt“, Praxisleitfaden von 2016: www.ci-romero.de/cora

•  „Quo vadis, Beschaffung?“, 2015, Best-practice-Beispiele, Erfahrungsberichte und konkrete Vergabetipps von CIR und WEED sowie die Broschüren „Gute Gründe für nachhaltige Beschaffung“, „Sozial verantwortliche öffentliche Beschaffung“ und „Praxisbeispiele sozial verantwortlicher IT­Beschaffung“: www.weed-online.org

•  Datenbank faire Beschaffung der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt: www.service-eine-welt.de

•  Beschaffungs-Tipps: www.kompass-nachhaltigkeit.de

• Informationskampagne „Deutschland Fairgleicht“: https://skew.engagement-global.de/

www.itk-beschaffung.de

• „Nachhaltige Beschaffung konkret“, Öko-Institut Freiburg: www.oeko.de

• Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung (KNB): www.nachhaltige-beschaffung.info