Sozialpolitik und Bildung

Wie es nach den Ferien an Deutschlands Schulen weitergehen muss

Vera Rosigkeit 23. Juli 2021
Noch ist nicht klar, ob es nach den Schulferien eine flächendeckende Rückkehr zum Präsenzunterricht geben wird.
Eine Rückkehr zum Präsenzunterricht nach den Schulferien ist nicht sicher. Doch selbst wenn, muss an und in Schulen mächtig investiert werden. Wo es hakt, erklären drei Bildungsexpert*innen im Gespräch.

Ob es im kommenden Schuljahr eine Rückkehr zum Präsenzunterricht geben kann, scheint aktuell in erster Linie von der Entwicklung des Infektionsgeschehens abzuhängen. Das aber ist derzeit unsicher. Genau diese Ungewissheit hätte Dario Schramm allen Schüler*innen gerne erspart. Denn erneut „erleben sie Schulferien, in denen sie nicht richtig abschalten können, weil sie nicht wissen, wie es danach weitergeht“, sagt der Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz im Gespräch mit dem „vorwärts“.

Schramm: Das hätte man doch längst anpacken können

Für die Ferien selbst hätte sich Schramm eine „Art Sommerschule“ mit freiwilligen Angeboten für Schüler*innen gewünscht, um beispielsweise ausgefallenen Unterrichtsstoff nachholen zu können. Vereinzelt gebe es Schulen und Kommunen, die so etwas anbieten würden, weiß der Abiturient aus Nordrhein-Westfalen. Doch so gut ein solches Engagement auch sei, „es ist eben nicht flächendeckend. Solche Konzepte müssen auf Länderebene selbstverständlich sein“, fordert Schramm. Neben fehlenden inhaltlichen Angeboten kritisiert er insbesondere die mangelnde technische Ausstattung. „Noch immer wird in den Schulen darüber geredet, dass es kein funktionierendes Internet gibt. Das ist ein Armutszeugnis.“

Auch die seit nun mehr knapp eineinhalb Jahren geführte Debatte um den Einsatz von Luftfiltern sieht er kritisch. Schramm: „Das hätte man doch längst anpacken können“. Den Frust vieler Schüler*innen könne er gut nachvollziehen, erklärt er. Dabei brauche es seiner Meinung nach aktuell keine große Revolution. „Wenn wir endlich sagen könnten, dass alle Schülerinnen und Schüler ein funktionsfähiges Endgerät haben, wäre das schon ein Meilenstein“. Anschließend müsste geregelt werden, dass sowohl in der Schule als auch zu Hause einen vernünftiger Interzugang vorhanden ist. „Wenn wir das schaffen, haben wir noch nicht die digitale Schule, aber den Grundstein gelegt.“ ­

Schneider: Letztes Schuljahr war für alle heftig

Matthias Schneider, Landesgeschäftsführer der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Baden-Württemberg, freut sich, „dass wir am Ende des Schuljahres noch mal alle gemeinsam sieben Wochen in der Schule sein konnten“. Für Schneider ist das letzte Schuljahr für alle, „Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler heftig gewesen“, betont er.

Natürlich gebe es Lernrückstände, doch genauso wichtig sei es, den Blick auf die psychischen Belastungen für Kinder und Jugendliche zu richten. Keine Klassenfahrten, keine Wandertage, das Fehlen gemeinsamer Unternehmungen habe Spuren vor allem beim sozialen Lernen hinterlassen, sagt Schneider. „Erfahrende Lehrer*innen berichten, dass Regeln des sozialen Miteinanders nicht mehr funktionieren.“ Das jedoch könne weder von den Lehrkräften noch vom pädagogischen Personal nebenbei aufgefangen werden. Dazu brauche es Zeit und Geduld für individuelle Förderung über einen längeren Zeitraum hinweg.

Gerth: Brauchen mehr Lehrkräfte und Schulsozialarbeit

„Unser zentrales Thema ist, das wir mehr pädagogisches Personal brauchen und zwar quer durch alle Schularten.“ Corona habe Defizite verstärkt, die vorher schon sichtbar gewesen wären. „Wir müssen jetzt die Kinder und Jugendlichen gut unterstützen, das rächt sich sonst in einigen Jahren“, ist er sicher. Mehr Lehrkräfte seien notwendig, um fortschrittliche pädagogische Konzepte umsetzen und beispielsweise in kleineren Gruppen arbeiten zu können. Dafür müsse die Schuldenbremse aufgegeben werden, an der die neu gewählte Landeregierung allerdings festhalte, erklärt Schneider. „Wir müssen viel Geld in die Hand nehmen, damit diejenigen, die jetzt am stärksten betroffen sind, in wenigen Jahren sagen können, dass die Politik genügend für sie getan hat, um sie ausreichend zu fördern.“ Das könne man momentan nicht behaupten.

Mehr Personal, nicht nur Lehrkräfte, sondern auch pädagogische Mitarbeiter*innen und Schulsozialarbeit, fordert auch Eva Gerth, GEW-Landesvorsitzende in Sachsen-Anhalt. Schon vor Corona konnte der Pflichtunterricht nicht zu 100 Prozent abgedeckt werden, erklärt sie. Das bedeute in der Praxis, dass statt vier Mathestunden nur drei unterrichtet würden. „Und wenn ich weiß, dass in diesem Halbjahr eine Chemielehrkraft fehlt, muss der Chemieunterricht auf das kommende Halbjahr verlegt werden“, so Gerth. Durch die Digitalisierung der Schulen und das Arbeiten in kleineren Gruppen unter Pandemie-Bedingungen sei dieser Zustand nicht besser geworden. Mehr Abstimmungen untereinander, doppelte Vorbereitungszeit durch Wechselunterricht, aber auch mehr individuelle Förderung brauche einfach mehr Zeit, erklärt sie. Eine zusätzliche Belastung für Lehrkräfte, die im vergangenen Jahr ohnehin eine Menge Mehrstunden gemacht hätten.

Digitalisierung bleibt Baustelle

Großes Problem in Sachsen-Anhalt: Nur 30 Prozent der Schulen verfügen über ein schnelles Internet, sagt Gerth. Und das im Bundesprogramm ausgeschriebene Programm zur Finanzierung von Administratorentätigkeiten sei noch nicht angelaufen, so dass sich noch immer Lehrkräfte um die Administration kümmern müssten, was nicht ihre Aufgabe sei. Zudem ist Gerth überzeugt, dass Learning by Doing keine didaktischen Lehrkonzepte ersetzen kann. Und die zu entwickeln braucht ebenfalls Zeit.

Zu alle dem kommen Bedenken beim Datenschutz. Matthias Schneider kritisiert, dass sich Schulen datenschutzrechtlich zwangsläufig in Grauzonen bewegen müssten. Überhaupt ist für Schneider die Digitalisierung eine riesige Baustelle, obwohl die Schulen „riesige Fortschritte gemacht und die Lehrkräfte enorm viel geleistet haben“, betont er. Aber es reiche eben nicht, „wir brauchen mehr Geld – und das aus vielen guten Gründen“.