Spitzentreffen im Kanzleramt

Vor dem Flüchtlingsgipfel: So ist die Situation in den Kommunen

Carl-Friedrich Höck09. Mai 2023
Im Bundeskanzleramt findet am Mittwoch ein Flüchtlingsgipfel statt – die Kommunen sind nicht eingeladen.
Die Kommunen müssen wieder zunehmend Geflüchtete aufnehmen und integrieren. Städte und Landkreise berichten der DEMO, mit welchen Probleme sie zu kämpfen haben – und was sie sich vom Flüchtlingsgipfel am Mittwoch erhoffen.

Am Mittwoch kommen die Regierungschefinnen und -chefs der Länder ins Bundeskanzleramt, um mit Olaf Scholz über die Aufnahme von Geflüchteten zu sprechen. Die Zahl der Asylsuchenden ist zuletzt wieder deutlich gestiegen. 101.981 Erstanträge wurden in den ersten vier Monaten des Jahres 2023 gestellt – das ist ein Anstieg um 78,4 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Seit dem Kriegsausbruch sind außerdem mehr als eine Million Ukrainer*innen nach Deutschland geflohen, die hier keinen Asylantrag stellen müssen.

Vor dem Spitzentreffen liegen die Positionen teils weit auseinander: Die Länder fordern deutlich mehr Geld vom Bund, Bundesfinanzminister Lindner lehnt das bisher kategorisch ab. Die Kommunen und ihre Verbände werden bei dem Spitzentreffen nicht mit am Tisch sitzen. Dabei tragen sie die Hauptverantwortung dafür, die Geflüchteten unterzubringen und in die Gesellschaft zu integrieren.

„Die Situation im Sudan macht uns Sorgen“

Die DEMO hat nachgefragt, mit welchen Problemen die Städte und Landkreise bei der Aufnahme Geflüchteter zu kämpfen haben – aber auch, was gut läuft. Sieben Kommunen geben Einblicke in die Situation vor Ort.

Die Region Hannover versucht, eine Verschnaufpause zu nutzen. „Wir haben unsere Quote bisher überdurchschnittlich erfüllt, daher gab es in den letzten Wochen weniger Zuweisungen“, sagt Regionspräsident Steffen Krach (SPD). Die Städte und Gemeinden der Region hätten die Zeit genutzt, weitere Unterbringungen vorzubereiten. „Denn wir wissen, dass es im Sommer wieder vermehrt Fluchtbewegungen geben wird und insbesondere die Situation im Sudan macht uns jetzt schon große Sorgen“, so Krach. Wegen des Bürgerkriegs in dem afrikanischen Land sind nach Angaben der UN bereits 100.000 Menschen geflohen. Besonders schwierig sei die Betreuung unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter, sagt Steffen Krach, denn es fehle an Fachkräften.

Regensburg sei eine offene und hilfsbereite Stadt, betont Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer (SPD). „Viele Menschen engagieren sich in der Flüchtlingshilfe.“ Doch um eine gute und erfolgreiche Integration zu ermöglichen, bräuchten die Kommunen Geld und vor allem mehr Personal – zum Beispiel in der Ausländerbehörde, im Amt für Soziales, im Jobcenter, im Bereich der psychosozialen Betreuung, der Sprachförderung, in Kitas und Schulen.

Unterkünfte sind voll, der Wohnungsmarkt ausgeschöpft

Im Landkreis Gotha gebe es „nahezu keine Kapazitäten mehr“, um Asylsuchende und geflüchtete Ukrainer*innen unterzubringen, berichtet Landrat Onno Eckert (SPD). Insbesondere für Asylbewerber*innen stünden nur noch vereinzelt Plätze in Gemeinschaftsunterkünften zur Verfügung. Auch die vom Landkreis angemieteten Wohnungen seien nahezu alle belegt. „Aussicht auf die Anmietung weiterer Wohnungen gibt es derzeit kaum“, teilt Eckert mit. Er sieht vor allem den Freistaat Thüringen in der Pflicht, neue Unterbringungsmöglichkeiten zu finanzieren und Liegenschaften zur Verfügung zu stellen.

Was im Kreis Gotha dagegen gut funktioniere, sei die soziale Betreuung der Geflüchteten. Darum kümmere sich eine Tochtergesellschaft des Landkreises, die auch die Gemeinschaftsunterkünfte betreibe. Zwischen den Geflüchteten und den Betreuer*innen „herrscht in der Regel ein gutes Vertrauensverhältnis und ein lösungsorientiertes Miteinander“, so Eckert.

Auch in Kassel sei es die größte Herausforderung, bedarfsgerechte Unterkünfte zu finden, teilt die Stadtverwaltung mit – „in Kombination mit der Finanzierung sowie der Integration aller Geflüchteter in die Gesellschaft und insbesondere in den Arbeitsmarkt“. Trotz des enormen Zuzugs aus der Ukraine habe man die Menschen bisher nicht in Zelten oder Sporthallen unterbringen müssen. „Aufgrund der enormen Hilfsbereitschaft aus der Bevölkerung und einer sehr guten Vernetzung aller beteiligten Institutionen, Stadtteil- und Quartierstreffpunkte sowie Ehrenamtlichen erfolgt die Unterbringung in Kassel weitgehend gut.“

Für Flüchtlingsunterkünfte fehlt Fachpersonal

Der Stadt Bochum werden Geflüchtete von der Bezirksregierung zugewiesen. Die Zuweisungslage lasse „derzeit keine zunehmende Tendenz bei den Migrationszahlen erkennen“, meldet die Kommune. Ein Problem: Es fehle an Personal in den Unterkünften. Und für neue Unterkünfte müsse die Stadt verfügbare Flächen finden und verlässliche Baupartner*innen gewinnen – auch das sei herausfordernd.

Ähnliches berichtet Steffen Burchhardt (SPD), Landrat im Kreis Jerichower Land in Sachsen-Anhalt. Es gestalte sich immer schwieriger, die Geflüchteten dezentral in Wohnungen unterzubringen. „Zum einen ist der Wohnungsmarkt ausgeschöpft und zum anderen steigt der Betreuungsbedarf.“ In den vergangenen Monaten seien viele allein reisende Männer aus unterschiedlichen Herkunftsländern im Landkreis angekommen und immer weniger Familien.

Entsprechend divers seien die Wohngemeinschaften, was zu Konflikten führe, untereinander und auch mit der Nachbarschaft. Das Konzept des Landkreises sieht deshalb vor, Alleinreisende zukünftig überwiegend zentral in Gemeinschaftsunterkünften unterzubringen und Familien dezentral in Wohnungen.

Dank vorausschauender Planung konnte der Landkreis Ludwigslust-Parchim in Mecklenburg-Vorpommern bisher darauf verzichten, Turnhallen oder Container zu belegen. „Die Lage ist trotz dessen angespannt“, sagt Landrat Stefan Sternberg (SPD). Pro Woche würden dem Landkreis 15 bis 25 Asylbewerber*innen zugewiesen, dazu kämen monatlich 40 Menschen aus der Ukraine. Aufgrund der Größe des Landkreises im ländlichen Raum gebe es Herausforderungen bei den Verkehrsanbindungen und der Versorgung mit Ärzt*innen und Lebensmitteln.

Kommunen benötigen mehr Geld – aber nicht nur das

Alle von der DEMO befragten Kommunen machen vor dem Bund-Länder-Gipfel deutlich, dass sie mehr finanzielle Unterstützung erwarten. Landrat Burchhardt fordert: „Der Bund sollte sicherstellen, dass Länder und Kommunen in einem einfachen Verfahren so finanziell ausgestattet werden, dass keine Mehrbelastungen entstehen.“ Dabei müsse insbesondere der hohe personelle Aufwand fair abgebildet und mehr für die Integration getan werden, die auch über einen längeren Zeitraum nötig sei.

Burchhardt drängt außerdem auf ein Konzept, „wie unkontrollierte Zuwanderung eingeschränkt werden kann und Abschiebehindernisse beseitigt“. Im Kreis Jerichower Land würden viele Menschen seit Jahren oder gar Jahrzehnten betreut, obwohl sie keine Bleibeperspektive hätten.

Regensburgs Oberbürgermeisterin Maltz-Schwarzfischer hofft darauf, „dass sichere und legale Fluchtwege geschaffen werden und die EU-weite Verteilung besser organisiert wird“. In Deutschland müssten Asylverfahren beschleunigt, Bürokratie abgebaut und das Ausländerrecht vereinfacht werden, erklärt sie.

Kassels Sozialdezernentin Ilona Friedrich (SPD) sagt: „Wir brauchen auch einen Diskurs über die Voraussetzungen einer gelingenden Integration.“ Zugewanderte Menschen benötigten bezahlbare Wohnungen, Sprach- und Integrationskurse, Kitaplätze und spezifische Qualifizierungsangebote. Das müsse immer mitgedacht und mitgeplant werden.

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