Rezension „Dörfer nach der Gebietsreform”

Gebietsreform ohne Mehrwert

Carl-Friedrich Höck30. Juli 2020
Cover „Dörfer nach der Gebietsreform”
Was hat die Neuordnung der Kommunen in Bayern den eingemeindeten Orten gebracht? Vor allem Nachteile, analysiert Julia Mattern in ihrer Dissertation.

Pläne für Gebietsreformen werden immer wieder kontrovers diskutiert – zuletzt etwa in Brandenburg und Thüringen. Während die einen sich von zusammengelegten Gemeinden mehr Effizienz und Durchschlagskraft der Verwaltung erhoffen, fürchten andere den Verlust kommunaler Autonomie.

Wer hat recht? Julia Mattern hat sich bemüht, diese Frage im Rahmen einer Dissertation zu beantworten (Fakultät für Geschichts- und Kulturwissenschaften der Ludwig-Maximilians-Universität München). Und zwar anhand der Gemeindegebietsreform in Bayern in den Jahren 1969 bis 1978, mit der mehr als 5.000 Gemeinden aufgelöst wurden.

Vergleich von eingemeindeten und selbständigen Gemeinden

Mattern hat die Entwicklung der aufgelösten Gemeinden analysiert und sie mit der Situation in weiterhin selbständigen Orten verglichen. Dabei interessierte sich die Autorin unter anderem für den Stand der kommunalpolitischen Repräsentation, für Bevölkerungsentwicklung, Baupolitik und Infrastruktur, aber auch für die Folgen der Eingemeindung für die kommunale Identität.

Mattern kommt zu dem Ergebnis, „dass eingemeindete Ortschaften durch die Gebietsreform nur wenig günstige Veränderungen erfuhren.“ Zwar habe die nun größere Verwaltung umfangreichere Finanzmittel zur Verfügung. Doch könne auch festgestellt werden, „dass die kleinen verbliebenen Gemeinden nicht schlechter wirtschafteten als große Kommunen“. Die eingemeindeten Ortschaften hätten sich in der Folge nur noch wenig entwickelt. „Die Pflichtaufgaben der Gemeinden wurden erledigt, aber nicht viel mehr darüber hinaus“, hält Mattern fest.

Fokus liegt auf den Hauptorten

So falle es selbständigen Gemeinden offenbar leichter, Probleme bei der Bauland-Ausweisung zu lösen. Veranstaltungsgebäude oder Sportstätten würden oft nur noch in die Hauptorte der neu gebildeten Gemeinde gebaut. Ähnliches sei für Feste und größere Veranstaltungen zu beobachten. Auf die öffentliche Verkehrsanbindung habe sich die Eingemeindung ebenfalls negativ ausgewirkt. Selbst das Engagement der Bürger habe in manchen eingemeindeten Orten nachgelassen.

Obendrein konstatiert Mattern kulturelle Verluste: Weil Ehrungen weniger persönlich gestaltet würden oder alte Gemeindenamen in der Postanschrift gestrichen worden seien. Das Buch schließt mit der Bemerkung: „Die durch die Gebietsreform ihrer Selbständigkeit enthobenen Gemeinden konnten mit der Fürsorge der aufnehmenden Gemeinden rechnen, nicht mehr jedoch mit der von den Planern der Gebietsreform angestrebten Gleichwertigkeit der Entwicklung im öffentlichen Raum.“

Julia Mattern:
Dörfer nach der Gebietsreform.
Die Auswirkung der kommunalen Neuordnung auf kleine Gemeinden in Bayern (1978–2008)
Verlag Friedrich Pustet, 2020, 328 Seiten, 39,95 Euro, ISBN: 9783791731339

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