Wohnen und Mieten in Deutschland

Was gegen den Mietenwahnsinn hilft: Vorbild Wien

Karin Billanitsch10. September 2018
Die Seestadt Aspern: Ein Wiener Vorort, wo einmal 20.000 Menschen leben sollen.
In Deutschland fehlt es an bezahlbaren Wohnungen. Die Lage am Mietmarkt ist dramatisch. SPD-Vize Thorsten Schäfer Gümbel ist in die Hauptstadt Österreichs gefahren, um sich über das Wiener Wohnmodell zu informieren.

Thorsten Schäfer-Gümbel steht vor dem ausladenden Architekturmodell der Seestadt Aspern, wie sie werden soll wenn sie fertig ist: Mehr als 20.000 Menschen sollen im Nordosten Wiens wohnen, leben und Tausende arbeiten können. „Wir haben die Ambition, dass hier ein urbanes Subzentrum entsteht, dass alle Funktionen einer Kleinstadt erfüllt“ sagt Gerhard Schuster, Vorstandsvorsitzender der zuständigen Entwicklungsgesellschaft. Der SPD-Vize und Spitzenkandidat der hessischen SPD will sich an einem Tag über die Wohnungsbaupolitik der Stadt Wien informieren. Mit dabei auch die Generalsekretärin der Hessen SPD, Nancy Faeser.

Thorsten Schäfer-Gümbel interessiert sich für das Architekturmodell der Seestadt Aspern in Wien.

Seestadt Aspern: 7 Jahre vom Beschluss bis zum Einzug

Manche der Modell-Klötzchen sind fein ausgeführt, der größte Teil indes ist noch ohne Details: Zu sehen ist, dass rund 3.000 Wohnungen schon fertig sind – und was noch gebaut werden muss. Bis zum See im Zentrum des Geländes reichen die Häuser, neu angelegte Wege, Einkaufsstraßen, Schulen und Kitas sind im ersten Bauabschnitt fertig geworden. Bis zum Jahr 2028 soll die Seestadt Aspern im Wesentlichen stehen, so Schusters Zeitplan. 75 Prozent der Wohnungen sollen einmal zu günstigen Mieten zu haben sein. Schäfer-Gümbel wirkt beeindruckt, vor allem von dem Tempo, dass die Österreicher vorlegen: Vom Beschluss zum Bau von Aspern bis zum Einzug der ersten Bewohner hat es nur sieben Jahre gedauert.

Insgesamt wohnen 60 Prozent der Wiener im geförderten Wohnbau. Es gibt 220.000 Gemeindewohnungen, und weitere 200.000 geförderte, preisgebundene Wohnungen. Im Vergleich mit anderen europäischen Städten sind die Mieten nicht explodiert, die Bruttomieten liegen bei 7,50 pro Quadratmeter im Bestand. Seit 100 Jahren baut die Stadt Wohnungen. „Für die soziale Durchmischung ist das sehr wichtig und förderlich“, so die Wiener Wohnbaustadträtin Kathrin Gaal zu der kleinen Delegation. Man erkenne in Wien an der Adresse nicht, wie viel jemand verdient. Die Wohnungen sind indes sehr begehrt, räumt Gaal ein. „Es gibt lange Wartelisten.“ Wegen der drängenden Nachfrage baut die Stadt Wien auch in der Seestadt Aspern neue Gemeindewohnungen: 4.000 Wohnungen soll es in drei Jahren im jetzt noch unbebauten Norden der Seestadt geben. Auch die vorhandenen 3.000 Wohnungen sind zu günstigen Mieten zu haben.

Wiens Bürgermeister und Landeshauptmann Michael Ludwig, SPÖ, empfängt Thorsten-Schäfer-Gümbel und Nancy Faeser.

Schäfer-Gümbel: „Frage des gesellschaftlichen Friedens“

Auch in deutschen Städten ist die Wohnungsfrage ein drängendes Problem. Der Bestand von Sozialwohnungen hat sich in 20 Jahren mehr als halbiert auf geschätzte knapp 1,1 Millionen.

Schäfer-Gümbel hat das Thema ganz oben auf eine Agenda im Wahlkampf gestellt. „Es ist deutlich geworden, dass Wohnraum das wichtigste Infrastruktur und sozialpolitische Thema unserer Zeit ist.“ Daran mache sich viel fest: Der gesellschaftliche Frieden, der Zusammenhalt, aber auch die Frage, wie Familien mit kleineren und mittleren Einkommen in Zukunft leben.

Der Sozialdemokrat aus Hessen weiß, dass man das Modell Wien nicht eins zu eins kopieren kann. Wege im Rhein-Main-Gebiet oder in Hessen seien andere als in Wien. Aber, stellt er fest, man könne ein paar Hinweise mitnehmen. „Das eine ist eine andere Bodenpolitik.“ Mit Blick auf Hessen fordert er, dass Landesflächen nicht verkauft, sondern vorrangig in Erbbaupacht vergeben werden. Er forderte außerdem, dass „öffentlicher, geförderter und genossenschaftlicher Wohnungsbau eine größere Rolle in Deutschland spielen müssen“.

Behörden besser ausstatten, Verfahren beschleunigen

Er stellt ferner klar: „Diese Wohnungen werden immer eine Ergänzung zum Markt sein – aber es geht um die Frage des richtigen Verhältnisses. Dass wir im Moment zu wenig öffentliche Verantwortung im Wohnungsbau haben, ist für mich offensichtlich, wenn wir uns die Miet- und Preisentwicklungen ansehen.“ Als dritte wichtige Stellschraube zur Linderung der Wohnungsnot sieht er die „nötigen administrativen Strukturen“ und erläutert: „Wenn ich keine Bauverwaltung habe, die sich darum federführend kümmert und aus einer Hand steuert, wird das nichts.“ Die Bauaufsichtsbehörden müssten wieder besser ausgestattet werden, damit zügiger gebaut werden kann, und Verfahren müssten beschleunigt werden.

Wenige Tage später zurück in Deutschland legen Schäfer-Gümbel und SPD-Vorsitzende Andrea Nahles einen 12-Punkte-Plan für bezahlbares Wohnen vor und fordern eine „Mietenwende“. Dabei will die SPD über die im Koalitionsvertrag vereinbarten Punkte hinausgehen. Wir sehen klar, dass der Druck auf den Wohnungsmarkt massiv ist und sehen, dass die bis jetzt verabredeten Maßnahmen nicht zufrieden stellen können und müssen deshalb zusätzliche Maßnahmen ergreifen.“ Die SPD will unter anderem einen fünfjährigen Mietenstopp in angespannnten Wohnlagen, wo die Mieten nur in Höhe der Inflation steigen dürfen. „Wir brauchen eine Atempause für die Mieterinnen und Mieter insbesondere in Ballungsräumen“, begründet Schäfer-Gümbel das Papier, „insbesondere um die anhaltende Vertreibung der Menschen aus diesen Bereichen zu verhindern.“

Wohnungsgipfel am 21. September

Lob gibt es dafür vom Deutschen Mieterbund: „Gut, dass jetzt die Regierungspartei SPD endlich ernst macht und Forderungen für ein soziales Mietrecht aufstellt, die deutlich über die Kompromisse mit CDU/CSU im Koalitionsvertrag hinausgehen“, kommentierte der Bundesdirektor des Deutschen Mieterbundes (DMB), Lukas Siebenkotten, das Forderungspapier.

Am 21. September soll es einen Wohnungsgipfel im Kanzleramt geben. Das "Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen" wurde 2014 von der damaligen Umweltministerin Barbara Hendricks ins Leben gerufen. Das sieht Andrea Nahles als Chance, mit der CDU/CSU über das Forderungspapier zu reden.

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