Ostfriesische Inseln

Gegen den Strandverlust kämpfen

25. Mai 2020
Wangerooges Bürgermeister Marcel Fangohr muss die Strandverluste der Insel managen.
Die letzten Stürme haben den ostfriesischen Inseln ordentlich zugesetzt. Wangerooge und Langeoog müssen viel neuen Sand aufschütten. Der Bund beteiligt sich an den Kosten für den Küstenschutz.

Wenn Marcel Fangohr aus dem Fenster des Besprechungszimmers schaut, wirkt er ein wenig nachdenklich. Kaum 30 Meter vom Platz des parteilosen Bürgermeisters der Insel und Gemeinde Wangerooge wirkten Mitte Februar die Naturgewalten. Das Sturmtief „Sabine“ hatte mit fünf aufeinander folgenden Sturmfluten dafür gesorgt, dass die zweitkleinste der sieben ostfriesischen Inseln einen Großteil ihres Hauptstrandes eingebüßt hat. Rund 80 Prozent hat die Nordsee mitgerissen. Fangohr beziffert die Menge auf gut und gerne 80.000 Kubikmeter.

Neuer Sand wird aufgefahren

Jetzt, im Frühjahr, wird der verlorengegangene Sand wieder aufgefahren. Denn auch wenn wegen der Corona-Pandemie einstweilen nur Einheimische und Menschen mit Sondergenehmigung wie Handwerker auf die Insel dürfen, sollen die Schäden so schnell wie möglich beseitigt werden – allerdings nicht komplett. „Wir werden nur 60.000 Kubikmeter auffahren“, sagt Fangohr. Die Kosten dafür beziffert er auf etwa 350.000 Euro – im Gegensatz zu 500.000 Euro für das Ersetzen der kompletten Menge. Stattdessen habe sich die Gemeinde entschlossen, dass Strandprofil zu verändern.

Wichtig ist laut Bürgermeister in erster Linie, dass die gut 1.400 Strandkörbe, die die Gemeinde jedes Jahr in Eigenregie vermietet, den Touristen zur Verfügung stehen; immerhin 140.000 sind es pro Saison. Die Einnahmen für die Insel belaufen sich auf rund 2,3 Millionen Euro alleine aus den Kurbeiträgen. Hinzu kommen weitere 500.000 Euro aus der Strandkorbvermietung. Nicht eingerechnet hat Fangohr in seiner Auflistung die Umsätze und Abgaben durch das Hotel- und Gaststättengewerbe.

Düne weggebrochen, Deckwerk freigelegt

Auch wenn wegen der Corona-Pandemie der Tourismus in ganz Norddeutschland am Boden ist und niemand weiß wie es weitergeht, werden die Inselgemeinden die im Februar entstandenen Schäden beseitigen müssen. Dies betrifft nicht nur Wangerooge, auch die Nachbarinsel Langeoog hat das Sturmtief „Sabine“ massiv zu spüren bekommen. „Mehrere Hundert Meter Strand sind beschädigt. Und diesmal haben wir stellenweise sogar bis zu zehn Meter Düne verloren“, zitiert die Oldenburger Nordwestzeitung Bürgermeisterin Heike Horn, ebenfalls parteilos. Die Gemeinde wolle die betroffenen Stellen wieder aufschütten.

Auf Wangerooge ist nicht gleich eine ganze Düne weggebrochen. Dafür ist so viel Sand vom Strand weggespült worden, dass an vielen Stellen das Deckwerk freigelegt worden. Es ist ein Teil des Hochwasserschutzes und besteht aus Beton oder massiven Steinquadern. Fangohr steht an einer Stelle und zeigt, wie es dort normalerweise aussieht: „Über dem Deckwerk befinden in der Regel zwei Meter Sand.“ An einer anderen Stelle ist auf mehreren Metern die Spundwand freigelegt worden. Auch bei diesem Anblick wird Fangohr ein wenig nachdenklich. Glücklicherweise sei der Wind aus West gekommen. Bei der klassischen Windrichtung Nordwest, „hätte das Ganze noch ganz anders ausgesehen“, weiß der Wangerooger Bürgermeister.

Zuwendungen vom Landkreis Friesland

Nun also heißt es, den verlorenen Sand wieder aufzufahren – ein für die Inselgemeinden nach den Sturmfluten von Herbst bis Frühjahr üblicher Vorgang. „Die Arbeiten dafür machen wir mit unseren Bauhof-Leuten und unseren Strandläufern selbst“, sagt Langohr, „die Geräte dafür müssen wir natürlich leasen.“ Dafür gehen alljährlich einige hunderttausend Euro drauf. Sie werden allerdings bei der Aufstellung des Haushalts gesondert verbucht. Eigentlich müsse der ausgeglichen sein, sagt Fangohr. Aber: „Sandfahrmaßnahmen sind davon ausgenommen.“ Geld gibt es überdies vom Landkreis Friesland. Sprecherin Nicole Karmires teilt mit, dass in diesem und im vergangenen Jahr „jeweils Zuwendungen in Höhe von 100.000 Euro für Sandfahrmaßnahmen“ in eingeplant worden sind. Das verschafft der Gemeinde finanziell etwas Luft.

Den Sand an ihren Stränden aufzufahren, ist die einzige Aufgabe im Rahmen des Küstenschutzes, die den Kommunen zufällt. Haushaltstechnisch wird die Erneuerung der Strände jedoch als Maßnahme zur Förderung des Tourismus verbucht.

Grundgesetz: Küstenschutz ist Gemeinschaftsaufgabe

Damit die Landschaft im Norden nicht im Meer versinkt, greifen Bund und Land in ihre Kassen. Dies ist im Grundgesetz-Artikel 91a als Gemeinschaftsaufgabe festgeschrieben: „Der Bund wirkt auf folgenden Gebieten bei der Erfüllung von Aufgaben der Länder mit, wenn diese Aufgaben für die Gesamtheit bedeutsam sind und die Mitwirkung des Bundes zur Verbesserung der Lebensverhältnisse erforderlich ist (Gemeinschaftsaufgaben)“, heißt es dort.

Laut Satz 1 ist es die  „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“. Satz 2 nennt die „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“. Auch die Kostenverteilung ist grundsätzlich geregelt, und zwar in Absatz 3: „Der Bund trägt in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 die Hälfte der Ausgaben in jedem Land. In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 trägt der Bund mindestens die Hälfte; die Beteiligung ist für alle Länder einheitlich festzusetzen. Das Nähere regelt das Gesetz.

Millionen für den Schutz der Küsten

Der aktuelle Bundeshaushalt weist nur für den reinen Küstenschutz 25 Millionen Euro aus. Das Geld gehört zum bereits im Jahr 2009 verabschiedeten sogenannten Sonderrahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe. Es ist bis 2025 für die Länder Niedersachsen, Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern vorgesehen, um damit Maßnahmen gegen den Klimawandel in Angriff nehmen zu können. Weitere 100 Millionen Euro sind für „präventiven Hochwasserschutz“ eingeplant.

Fachlich ist der Haushalt in Sachen Küstenschutz beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) von Julia Klöckner (CDU) angedockt. Darin ist aufgelistet, was laut Gesetz gefördert werden kann. Hierzu zählen „Neubau und Verstärkung von Hochwasserschutzwerken einschließlich Deichverteidigungs- und Treibselräumwege“, „Sperrwerke und sonstige Bauwerke in der Hochwasserschutzlinie“, „Buhnen, Wellenbrecher und sonstige Einbauten in See“, „Vorlandarbeiten vor Seedeichen bis zu einer Tiefe von 400 m“ sowie „Sandvorspülung“ und „Uferschutzwerke“. Und: „Auch die Ausgaben der infolge von Küstenschutzmaßnahmen durchzuführenden Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege sind förderfähig.“

Mehr Beteiligung vom Bund gefordert

Steht im Grundgesetz noch, dass der Bund für Küstenschutzmaßnahmen mindestens die Hälfte der Kosten übernimmt, sind es in der Realität 70 Prozent. So steht es im Haushalt 2020 des Landes Niedersachsen. Danach sind für den Küstenschutz rund 80 Millionen Euro veranschlagt, von denen der Bund 54,8 Millionen Euro trägt. Vom Land kommen laut Haushaltsplan 26,2 Millionen. Darüber hinaus sind bereits Verpflichtungsermächtigungen von rund 51 Millionen Euro unterschrieben. 34,2 Millionen Euro überweist der Bund, 16,7 Millionen trägt das Land Niedersachsen.

Diese Zahlen wirken auf den ersten Blick gewaltig. Doch Experten bezweifeln, dass das Geld auf lange Sicht ausreichen wird. Allen voran: Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD). Er und seine Kolleg*innen der anderen norddeutschen Küstenländer fordern noch mehr Engagement von Berlin. „Der Aufwand für den Küstenschutz überschreitet langfristig die finanziellen Möglichkeiten der Küstenländer“, erklärt das Niedersächsiche Ministerium für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz: „Da es sich beim Klimawandel um ein weltweites Phänomen handelt, wird der Küstenschutz immer mehr zu einer nationalen Aufgabe. An dieser Kraftanstrengung müssen sich alle beteiligen – der Bund ebenso wie die Bundesländer.“

Das BMEL hingegen verweist auf Nachfrage auf den im Herbst vergangenen Jahres veröffentlichten Sonderbericht des Internationalen Klimarats, IPCC. Dieser habe „zwischenzeitlich neueste wissenschaftliche Erkenntnisse über den zu erwartenden Meeresspiegelanstieg geliefert“, erklärt eine Sprecherin. Und: „Die von den Küstenländern zu beschließenden Eckdaten für die Küstenschutzpolitik und die Beschlüsse für das weitere Vorgehen der Küstenländer stehen noch aus. Sobald diese vorliegen, werden die Planungen und Beratungen über die weitere Ausgestaltung und finanzielle Ausstattung der GAK-Küstenschutzförderung aufgenommen.“

Mehr Engagement vom Bund verlangt

Niedersachsens Umweltminister indes geht schon jetzt von Kosten in Höhe von rund 100 Millionen Euro alleine für Niedersachsen aus. Doch das ist nur eine Zahl, die im Raum steht. Weitere rund 300 Millionen Euro kostet es, die dringend notwendige Erneuerung von Deichen, Schutzdünen und Deckwerken in Angriff zu nehmen. Dies hat der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) ausgerechnet und bereits 2010/2011 in den „Generalplan Inselschutz“  hineingeschrieben. Dieser ist eine Ergänzung des seit dem Jahr 2007 existierenden „Generalplan Küstenschutz“ der Länder Niedersachsen und Bremen.

Das sich der Bund zu wenig engagiert, ist nicht nur Lies‘ Eindruck. Auch Wangerooges Bürgermeister sieht das Dilemma sozusagen täglich vor seiner Haustür. Fangohr nennt als eines der Beispiele die kaputten Buhnen auf der Insel. Sie würden vom Bund beziehungsweise seinen Behörden nur unzureichend instand gehalten. Irgendwann, so Fangohr, könnten die Buhnen ihre Aufgabe, die Wellen zu brechen, nicht mehr erfüllen. Zum Beweis zeigt Fangohr auf eines des Bauwerke gleich am Wangerooger Hauptstrand: „Die Buhne dort ist zum Teil im Meer verschwunden.“

Fangohr nennt weitere Beispiele. Hierzu gehören die Düne Harle-Hörn und das Deckwerk im Westen. Letzteres müsse saniert werden, um die natürliche Inseldrift von West nach Ost zu unterbinden. Mehr als einmal weist Fangohr, selbst Wasserbau-Ingenieur, darauf hin, dass der Schutz der Insel aus mehreren Gründen notwendig ist. Neben den wirtschaftlich-touristischen Aspekten hebt der Inselbürgermeister insbesondere den Schutz des Festlandes hervor. Gebe es die Inseln nicht, würden Unwetter ungebremst auf die Küste zwischen Norden und Bremerhaven treffen.