Im Bundesrat

Geisel scheitert mit Initiative zur Aufnahme von Flüchtlingen

Benedikt Dittrich18. September 2020
Berlins Innensenator Andreas Geisel hat sich mit der Bundesratsinitiative für Landesaufnahmeprogramme für Flüchtlinge nicht durchgesetzt.
Thüringen und Berlin sind im Bundesrat mit einer Gesetzesinitiative gescheitert. Die Länder wollten durchsetzen, künftig ohne Zustimmung des Bundesinnenministeriums Geflüchtete aufzunehmen.

Berlins Innensenator Andreas Geisel ging mit der Bundesregierung und insbesondere mit dem Bundesinnenministerium am Freitag hart ins Gericht. Das Feuer in Moria, so Geisel „war eine humanitäre Katastrophe mit Ansage“. Der Berliner Sozialdemokrat vertrat im Bundesrat die Auffassung, dass diese Katastrophe hätte verhindert werden können, wenn die Bundesregierung schneller gehandelt hätte. Auf die Probleme in Griechenland habe unter anderem das Land Berlin schon im vergangenen Jahr hingewiesen, aber „leider wurde das vom Bundesinnenminister nicht ernst genommen“.

Geisel: „Wir hätten das viel schneller tun können“

Thüringen und Berlin gehören zu den Bundesländern, die in den vergangenen Monaten eigene Landesaufnahmeprogramme für Geflüchtete aufgelegt hatten. Die Umsetzung war aber – schon lange bevor das Feuer in dem griechischen Flüchtlingslager auf Lesbos ausgebrochen war von Bundesinnenminister Seehofer untersagt worden. Nach aktueller Gesetzeslage muss das Bundesinnenministerium solchen Aufnahmeprogrammen erst zustimmen, die Länder können nicht in Eigenregie Geflüchtete aus anderen Staaten aufnehmen.

Ein Fehler, wie Geisel mehrfach kritisierte. Dabei stellte der Innensenator nicht in Frage, dass die Flüchtlingspolitik Aufgabe der Bundesregierung und zuletzt der EU sei. „Aber Landesaufnahmeprogramme können eine sinnvolle Ergänzung sein zur schnellen Hilfe“, erklärte er. Dabei verwies er auf die Aufnahmebereitschaft von Städten und Kommunen, die es ebenfalls gab und gibt. Die notwendige Zustimmung des Bundesinnenministeriums sei aber eine zu große Hürde. Dass jetzt mehr als 1.500 Geflüchtete aus Griechenland aufgenommen werden, begrüße er ausdrücklich. „Aber wir hätten das auch viel schneller tun können“, so der SPD-Politiker. Er woll solch eine Erfahrung nicht noch einmal machen müssen.

Appell: Entscheidungshoheit der Länder

Geisel war zu Beginn der Woche nach Griechenland gereist, um sich vor Ort ein Bild von den katastrophalen Zuständen zu machen und um zu klären, welche Hilfe notwendig ist. „Hilfe für Menschen in Not darf nicht an rechtlichen Abstimmungsschwierigkeiten der Länder untereinander oder dem Bund scheitern“, appellierte er an die anderen Bundesländer. „Wenn wir Humanität und Solidarität ernst nehmen, müssen wir Menschen schnellstmöglich helfen können.“ Dass durch zusätzliche Landesaufnahmeprogramme das einheitliche Vorgehen der Bundesregierung in Gefahr sei, bemühte sich Geisel zu entkräften – und wurde dabei auch von dem grünen Migrationsminister Dirk Adams aus Thüringen unterstützt. Die Kooperation mit dem Bund würde dadurch nicht aufgehoben, stattdessen den Ländern nur ein kleines Stück Entscheidungshoheit gegeben, betonten beide in ihren Reden.

Für das Bundesinnenministerium sprach der parlamentarische Staatssekretär Stephan Mayer (CSU) genau diesen Punkt an. Mit der Gesetzesänderung könne ein einziges Bundesland die Gestaltung der bundesdeutschen Migrationspolitik beeinflussen, warnte Mayer – und sah damit auch die Koordination und Absprache innerhalb der EU gefährdet. Rückenwind bekam er dabei auch von Joachim Stamp (FDP), Integrationsminister in Nordrhein-Westfalen, der vor allem praktische Probleme sah – er warnte vor einer Regionalisierung der Flüchtlingspolitik, vor allem um die Koordination mit den anderen Ländern nicht noch komplizierter zu machen. Allerdings kritisierte auch der Liberale, dass mit Blick auf Moria zu wenig getan wurde, sprach sogar von einem „Rechtsbruch“ in der EU aufgrund der katastrophalen Lage. „Der Aufbau eines zweiten Morias als Ersatzlager kann nicht Anspruch der Deutschen Ratspräsidentschaft sein“, appelierte er und mahnte eine bessere Kommunikation und Absprache des BMI mit den Ländern an – aber eben nicht über eine Gesetzesinitiative, wie Berlin und Thüringen sie gefordert hatten.

Antrag fällt durch

Einig waren sich alle Redner zwar darin, dass die Aufnahme von zusätzlichen Geflüchteten ein richtiger und notwendiger Schritt war, dem auch die Hilfe vor Ort und eine europäische, dauerhafte Lösung folgen sollten. Während aber Geisel und Adams appellierten, über eigene Landesaufnahmeprogramme in künftigen Notsituation schneller handeln zu könnten, warnte Mayer davor, dass so ein Vorgehen durch fehlende Koordination des Bundes die Hilfe sogar verzögern könnte. „Man kann der Bundesregierung nicht vorwerfen, untätig gewesen zu sein“, entgegnete er Geisel mit Verweis auf die Einigung am Mittwoch. Unerwähnt blieb von dem CSU-Staatssekretär allerdings: Die zusätzliche Aufnahme von mehr als 1.500 Geflüchteten wurde offenbar erst auf Druck der SPD möglich – und auch erst eine Woche später, nachdem das Flüchtlingscamp in Moria in Flammen aufgegangen war. Auch aktuell harren weiterhin tausende Menschen auf den griechischen Inseln aus, von denen viele noch nicht einmal ein reguläres Asylverfahren durchlaufen haben – aktuell eine Voraussetzung dafür, dass sie von anderen EU-Ländern aufgenommen werden dürfen.

Die Gesetzesinitiative wäre bei positiver Zustimmung an den Bundestag überwiesen worden. Bei der Abstimmung im Bundesrat fiel der Antrag allerdings durch, viele Bundesländer hatten sich enthalten. Unterdessen hat das Berliner Abgeordnetenhaus bereits am Donnerstag beschlossen, das Bundesinnenministerium erneut um Zustimmung zum Landesaufnahmeprogramm zu bitten, begründet mit der in der Zwischenzeit verschärften Notlage auf den griechischen Inseln.

Der Text ist zuerst auf vorwaerts.de erschienen.

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