Interview mit Frank Baranowski

Wie Gelsenkirchen das industrielle Erbe als Chance begreift

Karin Billanitsch22. Februar 2017
Das Thema Nachhaltigkeit wird in der Stadt Gelsenkirchen immer mitgedacht. Warum der Schwerpunkt hier auf dem Thema Bildung liegt, und welche Nachhaltigkeitsziele umgesetzt noch werden, darüber spricht Oberbürgermeister Frank Baranowski im DEMO-Interview.

Kohle- und Stahl sind ­Vergangenheit. Beim Neuanfang hat Gelsenkirchen ganz besonders die kommunale Nachhaltigkeit im Blick. Können Sie diesen Ansatz kurz skizzieren?
In der Tat sind Kohle und Stahl in Gelsenkirchen nur noch als Nischenprodukte zu finden, aber nicht mehr in der Breite. Die Stadt hat schon relativ früh, 1997, die Umsetzung der lokalen Agenda mit zu einem Schwerpunkt gemacht. Es gab schon damals relativ vorausschauend die Einrichtung des Agenda-21-Büros. Es zeigt sich, dass das der richtige Weg ist für eine Stadt, die sich im Strukturwandel befindet, auf Nachhaltigkeit zu setzen. Der Arbeitsprozess – unter Einbezug von ganz vielen Bürgerinnen und Bürgern – trägt Früchte.

2016 hat Gelsenkirchen zu den nominierten Großstädten für den Deutschen Nachhaltigkeitspreis gehört. Welche Vision stand am Anfang?
Es war immer ganz wichtig, dass wir einen Schwerpunkt auf Bildung legen. Unsere Ressource Kohle ist weg. Die Ressource, die noch übrig geblieben ist, sind die Köpfe der Menschen, der Kinder. Das zielt nicht nur auf Kinder und Jugendliche, sondern auch auf das Thema Partizipation.
Wir haben dann diesen Prozess kontinuierlich fortgesetzt und immer gesagt: Alles, was wir in dieser Stadt tun, müssen wir besonders nachhaltig betreiben. Dabei denken wir immer das Thema der Bildung für nachhaltige Entwicklung mit. Dafür haben wir zum Beispiel den Sonderpreis des Deutschen Nachhaltigkeitspreises vor drei Jahren bekommen. Diesmal waren wir beim Nachhaltigkeitspreis unter den Top 3. Das zeigt, dass es auch für eine Stadt, die eine klassische Industriestadt im Strukturwandel ist und auch nicht ausreichende finanzielle Ressourcen hat, möglich ist, solche Schwerpunkte zu setzen.

Auffällig ist, dass in Gelsenkirchen dieser Prozess besonders breit von Bürgern unterstützt wird. Wie haben Sie die Bürger in Entscheidungs­findungen einbezogen? Wie lässt sich das Thema Nachhaltigkeit erfolgreich kommunizieren?
Das ist eine spannende Frage, weil uns immer gesagt wird, dass so was eigentlich nur in Städten mit einer breiten bürgerschaftlichen Schicht funktioniert und nicht in so einer alten Industriestadt. Tatsache ist aber, dass es auch hier ganz viele Menschen gibt, die sich für ihr Umfeld interessieren. Dieser Agenda-21-Prozess ist sehr stark sowohl bei Schulklassen, aber auch darüber hinaus in Vereinen und Organisationen verankert. Diese Agenda-21-Werkstatt war quasi der Motor, der Nukleus des Ganzen. Es ist also ein breit getragenes gesellschaftliches Engagement, das über die klassischen Agendagruppen hinausgeht und tief in die Stadtgesellschaft hinein. Es ist auch das Aufzeigen, welche Möglichkeiten bestehen, sich zu engagieren. Ich finde, das ist schon bemerkenswert.

Können Sie ein Beispiel geben?
Eine Frage, die immer wieder eine Rolle spielt, ist zum Beispiel die Nutzung von ehemaligen Industrieflächen. Was kann man da neben der Ansiedlung von zusätzlichen neuen Unternehmen, auch wieder im Rahmen von nachhaltiger Entwicklung tun? Auf einer ehemaligen Zechenfläche gibt es dann etwa einen Umweltlehrpfad, der genau darstellt, wie zum Beispiel Rohstoffe nachwachsen. Es gibt einzelne Schulklassen, Kindergärten, die diesen Lehrpfad nicht nur nutzen, sondern auch pflegen. Und es gibt ehemalige Knappschafts-Rentner, Ruhrkohle-Rentner, die auf der Fläche gearbeitet haben, die sich darum kümmern, dass der Pfad in Ordnung ist.

Welche Akteure in der Verwaltung sind die treibenden Kräfte im Prozess? Nachhaltigkeit muss ja auch strategisch verankert werden.
Wichtig ist, dass das als eine Querschnittsaufgabe erkannt wird. Es sind insbesondere Umweltbereich, Planungsbereich und der gesamte Bildungsbereich in der Stadtverwaltung, die das Thema immer wieder im Auge haben müssen. Auch darüber hinaus, wenn es um Gewerbeansiedlung geht, fragen wir: Was müssen wir mit berücksichtigen?

Wie muss man sich das konkret vorstellen? Gibt es einen regelmäßigen Runden Tisch Nachhaltigkeit, an dem dann die verschiedenen Abteilungen vertreten sind?
Genau. Wir haben einen Runden Tisch Stadtentwicklung. Da spielt dann auch immer das Thema Nachhaltigkeit eine Rolle. Wenn wir zum Beispiel eine Industriebrache entwickeln, dort einen Stadtteilpark anlegen, kommen wir auch immer sofort auf die Frage: Was ist beim Thema Nachhaltigkeit da notwendig? Wir haben aus dem Agenda-21-Prozess gelernt, dass das, was alle angeht, auch von allen angegangen werden muss.

Spielt das persönliche Engagement der Verwaltungsspitze auch eine Rolle?
Bei wenig finanziellen Möglichkeiten muss von ganz oben auch deutlich gemacht werden, dass dieser Prozess gewollt ist, dass es nicht nur irgendein Nischenprodukt ist, sondern alle beteiligt sind. Dieses Signal ist eigentlich in Gelsenkirchen seit Gründung des Agenda-Büros immer ausgesandt worden.
Es gibt mittlerweile die UN-Nachhaltigkeitsziele, die Agenda 2030. ­Welche Rolle spielt die bei der Umsetzung Ihrer Pläne?
Das ist quasi die Grundlage für die aktuelle Tätigkeit. Der Rat der Stadt hat sich einstimmig der Agenda 2030 angeschlossen und hat auch uns als Verwaltung beauftragt, hier Maßnahmen zu entwickeln. Wir haben darüber hinaus zusätzlich im Rat den Auftrag bekommen, eine kommunale Entwicklungszusammenarbeit zu beginnen. Das hatten wir bisher nicht. Wir sind im Moment dabei, beide Programme – die kommunale Nachhaltigkeitspartnerschaft und die Entwicklungsziele der Agenda 2030 – miteinander zu verknüpfen.

Gibt oder gab es Hürden während der Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele?
Es gibt zwei Hürden – eine mentale und dann eine faktische. Die mentale ist die, dass wir immer noch darauf stoßen, dass Leute sagen, ist das denn ein Thema für eine Stadt wie Gelsenkirchen? Kümmert euch lieber um genug Arbeitsplätze oder kümmert euch da und darum. Ist das nicht etwas für andere Städte? Da muss man immer wieder Überzeugungsarbeit leisten.
Die zweite Hürde ist die faktische. Das sind schon die finanziellen Ressourcen. Natürlich können andere Städte, die finanziell besser ausgestattet sind als wir, sich da noch stärker engagieren. Die können sich personell besser aufstellen, mit großen Koordinierungsbüros. Das können wir alles nicht. Wir müssen da schon auf ehrenamtliches Engagement und auf die Kreativität von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern setzen.

Unterstützen Bund oder Land die Stadt, etwa mit Fördermitteln?
Wir versuchen das, was an Programmen vorhanden ist, auch zu nutzen.

Können Sie das beziffern?
Beziffern kann ich das jetzt nicht. Zum Beispiel haben wir bei einer Fläche beim Umweltlehrpfad die Stiftung ­Lebendige Stadt als Partner im Boot. Und das ­Umweltministerium ist dann bei einem anderen Projekt dabei. Was das Anzapfen von Fördertöpfen in dieser Frage ­angeht, sind wir ganz kreativ.

Gibt es neue konkrete Projekte, die geplant sind?
Im Moment überlegen wir: Es gibt Projekte, die wir laufend fortführen, weil sie erfolgreich sind, zum Beispiel das Projekt „Öko-Profit“, wo wir mit Unternehmen gemeinsam schauen, wo lässt sich etwas einsparen bei Energie, Wasser und anderen Ressourcen. Das ist dann wieder gut für die Stadt. Darüber hinaus denken wir ganz konkret darüber nach, ob wir uns erneut bewerben für den Nachhaltigkeitspreis. Die Diskussion findet jetzt ganz aktuell statt. Ich will da noch nichts prophezeien. Der Wettbewerb hat uns jedenfalls Freude gemacht.