Nachbarschaftliche Unterstützung

Wie die Gemeinde Rickling sozialen Zusammenhalt schafft

Susanne Dohrn 30. Mai 2022
Gemeinsamer Einsatz für gute Nachbarschaft vor der Alten Schule in Rickling: Semra Basoglu (Diakonie), Andrea Wagner-Schöttke (SPD), Keno Jantzen (Bürgermeister), Jessica Wölm (Quartiersmanagerin), Marion Janser (Diakonie), v. l.
Alt werden ist nichts für Feiglinge, schon gar nicht auf dem Dorf. Eine gute Nachbarschaft hilft, aber die braucht hauptamtliche Unterstützung. Die Gemeinde Rickling zeigt, wie es mit Quartiersmanagement gelingt.

im Dorf kennt jeder jeden. So war es, so ist es schon lange nicht mehr, denn die Dörfer haben sich verändert. „Das Miteinander hat einer gewissen Anonymität Platz gemacht, die wir auch aus Großstädten kennen“, sagt Semra ­Basoglu. Bei der Diakonie Altholstein, dem Wohlfahrtsverband der evangelischen Kirche, hat sie bis Ende 2021 den Bereich Quartiers- und Seniorenarbeit geleitet. Das Mittel gegen die Einsamkeit sitzt mit am Tisch im Dorfzentrum Alte Schule in ­Rickling: Jessica Wölm, seit Mai 2020 Quartiersmanagerin in der 3.100-Einwohner-Gemeinde in Schleswig-Holstein.

Quartiersmanager sind die Kümmerer. Sie vernetzen Menschen, stellen Kontakte her, wenn jemand Unterstützung braucht, stiften Beziehungen. „Die ‚Vor-Ort-für-Dich-Kraft‘ organisiert sozialen Zusammenhalt“, sagt Thomas Losse-­Müller. Der SPD-Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Schleswig-Holstein am 8. Mai verspricht: „In einem ersten Schritt wollen wir dafür 100 Stellen im Land schaffen.“

Kürzlich hat er das im September 2020 eröffnete Ricklinger Dorfzentrum mit Café Abakus, Veranstaltungsräumen und einem Pflegedienst besucht. Hier hat Jessica Wölm ihr Büro. Ihre Arbeit startete sie im Mai 2020, dem ersten Corona-Frühling. Sich persönlich vorstellen, Treffen organisieren, das war schwierig, erinnert sie sich. Damals sei sie im Dorf viel zu Fuß unterwegs gewesen, habe Gartenzaungespräche geführt und oftmals eine große Einsamkeit wahrgenommen. „Viele Menschen fühlten sich alleingelassen. Zu wissen, dass jemand fragt, wie es einem geht, das Gefühl, nicht vergessen zu sein, ist unglaublich wichtig.“ Mittlerweile sei es gelungen ein Netzwerk von Nachbarschaftshilfen zu schaffen, zum Beispiel für Einkäufe oder Wege zum Arzt. Wölm: „Wenn Hilfe benötigt wird, gibt es immer jemanden, der dazu bereit ist.“

Demografischer Wandel erfordert neue Strukturen

„Nachbarschaft fällt nicht vom Himmel“, bestätigt Semra Basoglu. Der demografische Wandel erfordere Strukturen, die es ermöglichen, im eigenen Haus alt zu werden. Hier tritt die Quartiersmanagerin in Aktion: Sie schafft Gelegenheit für Begegnungen zwischen Menschen, die sich sonst nicht kennenlernen oder helfen würden. Im Mittelpunkt steht eine lebendige Gemeinschaft von Jung bis Alt. Der Runde Tisch in Rickling, den Jessica Wölm ins Leben gerufen hat, ist so eine Gelegenheit. Zunächst traf er sich digital: 20 Frauen und Männer aus fast 20 Vereinen und Organisationen entwickelten Ideen. Eine davon: Socken stricken für die Kindergartenkinder, die zum Advent mit Leckereien vom Café Abakus gefüllt wurden. Jessica Wölm: „Die Kinder haben sich gefreut, und die Frauen hatten eine Aufgabe.“ Der runde Tisch trifft sich alle zwei Monate. Seine neueste Aktion: Ein Haus-und-Hof-Flohmarkt, bei dem alle Beteiligten Dinge verkaufen können, die sie nicht mehr brauchen. Der Flohmarkt findet draußen auf den eigenen Grundstücken statt. Die Resonanz ist überwältigend. 62 Standorte haben sich angemeldet.

Ehrenamt braucht Hauptamt

Wichtig zu wissen: Die Quartiersmanagerin ist nicht die „Dorfhelferin“ von ­Rickling, wie Katja Baumann in der Fernsehserie „Frühling“. Die melkt auch Kühe, wenn der Bauer krank ist. Im Quartiersmanagement hingegen geht es um eine kluge Verbindung von Ehrenamt und Hauptamt. Das Hauptamt hat dabei die Aufgabe, das Ehrenamt zu stützen und weiterzuentwickeln. Was gibt es vor Ort, wie lassen sich die Strukturen so vernetzen, dass die Menschen versorgt sind? Derzeit betreut die Diakonie Altholstein 13 solche Projekte in Schleswig-Holstein. Marion Janser, die Quartiersmanagerin der Diakonie in der Landeshauptstadt Kiel, formuliert die Aufgabe so: „Alle im Blick haben, rechtzeitig Beziehungen ­ini­tiieren, Menschen ermöglichen, eigene Ideen zu verwirklichen, ohne zu wissen was am Ende dabei herauskommt.“

Die Alte Schule ist dafür der ideale Ort, darin sind sich Diakonie, Bürgermeister und Kommunalpolitik einig, auch wenn ihre Sanierung die Gemeindefinanzen an ihre Grenzen gebracht hat. Geplant war eine Million Euro. Am Ende waren es fast 2,5 Millionen inklusive 750.000 Euro Förderung, so Bürgermeister Keno Jantzen. Sein Ziel: ein soziokulturelles Bildungshaus, in das schon die jungen Leute und die neu Zugezogenen eingebunden sind. Die Pläne dafür liegen in der Schublade: Andrea Wagner-Schöttke, die als SPD- und Fraktionsvorsitzende im Ort die Entstehung intensiv mit begleitet hat, sagt: „Mein Wunsch ist, dass es hier endlich richtig losgeht, mit Ausstellungen, Lesungen, Theater und Musik.“

 

Weitere Informationen
diakonie-altholstein.de/de/quartiersarbeit

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