Gesellschaftliche Vielfalt in der Kommunalpolitik

Gemeinderat und Parteien müssen weiter für sich werben

Uwe Roth07. Juli 2022
Vielfalt prägt die Feste in Mannheim
Der Migrationsbeirat von Mannheim hat mehr Einfluss auf die Kommunalpolitik als Gremien anderer Städte. Die Integration ist dennoch kein Selbstläufer. Eine Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung ging den Gründen nach.

Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) ist mit ihrer Veranstaltung „Brücken bauen für die Demokratie - wie kann gesellschaftliche Vielfalt stärker in der Kommunalpolitik abgebildet werden?“ nicht zufällig nach Mannheim gekommen. Die Stadt ist für ihren hohen Migrationsanteil und zugleich für ihre fortschrittliche Integrationsarbeit bekannt. Seit einem halben Jahrhundert ist das Amt des Oberbürgermeisters (Baden-Württemberg) ohne Unterbrechung in sozialdemokratischer Hand.

Aktueller Rathauschef der Stadt mit ihren rund 310.000 Einwohner*innen ist Peter Kurz. Schon früh wurde aus der kommunalen Gastarbeiter-Politik eine Integrationspolitik. Die Wurzeln ausländischer Bürgerbeteiligung reichen in die 1980er-Jahre zurück. Die Zahl der Einwohner mit Migrationshintergrund lang zum Jahresende 2021 bei knapp über 46 Prozent. Etwa die Hälfte davon hat keine deutsche Staatsangehörigkeit.

Am Ende scheiden die 48 Mitglieder des Gemeinderats

Seit über 20 Jahren können Nicht-EU-Bürger*innen, die kein kommunales Wahlrecht haben, Einfluss auf die Stadtpolitik nehmen. Dazu müssen sie im Migrationsbeirat (MBR) mitarbeiten und davor gewählt werden. Das Gremium hat im Gemeinderat ein Rede-, Anhörungs- und Antragsrecht zu allen integrationsbezogenen Angelegenheiten. Welche Vorschläge umgesetzt werden, bestimmen aber am Ende die 48 Gemeinderäte. Die haben mit wenigen Ausnahmen einen deutsch klingenden Nachnamen, wie die Liste der Ratsmitglieder zeigt.

Die FES hatte Kommunalpolitiker*innen und die MBR-Vorsitzende Zahra Alibabanezhad Salem zum Erfahrungsaustausch und Diskussion in den großen Ratssaal eingeladen. Dass das ehrenamtlich arbeitende Gremium sowohl für den Gemeinderat als auch die Stadtverwaltung hervorragende Arbeit leistet, darüber waren sich die Anwesenden parteiübergreifend einig (die AfD fehlte). SPD-Stadträtin Heidrun Deborah Kämper betonte, dass der Migrationsbeirat „ein sehr gutes Teilhabegremium und ein wichtiger Partner für unsere politische Arbeit ist“.

Junge Menschen sehen sich immer noch als Ausländer

Dennoch hat der Arbeitserfolg des MBR nicht zu einer insgesamt signifikant größeren Beteiligung der Menschen mit Migrationshintergrund an der politischen Stadtgesellschaft geführt. Junge Menschen in der vierten Familiengeneration in Deutschland bezeichneten sich nach wie vor als Ausländer, wurde in der Runde festgestellt. Die Menschen blieben heute noch bevorzugt in ihrer nationalen Herkunftscommunity. Das gebe zu denken. Dass sich der MBR strukturell weiter entwickeln konnte, bringt der Stadt immer wieder den Vorwurf ein, dieser sei nicht mehr als ein Feigenblatt und keine Integrationspolitik in letzter Konsequenz.

In den vergangenen zwei Jahrzeiten sei der MBR in der Stadtbevölkerung weitgehend unbekannt geblieben. Die Beteiligung an der Wahl zum Migrationsbeirat ist zuletzt von 14 auf 11 Prozent gesunken. Vorsitzende Zahra Alibabanezhad Salem betonte den hohen Aufwand an Zeit und Energie, zu dem die Mitarbeit führe. Am Ende sei dies eine für die Stadt kostenfreie Beratungstätigkeit. Ungeliebte Erkenntnisse könnten Gemeinderat und Verwaltung nach Belieben ignorieren.

Geringe Wahlbeteiligung unter EU-Bürger*innen

Claus Preißler ist bei der Stadt Mannheim der Beauftragte für Integration und Migration. Er verwies auf den allgemeinen Trend in der Gesellschaft, sich von der politischen Teilhabe zu entfernen. „Die größte Fraktion bilden die Menschen, die nicht wählen.“ Das wachsende Desinteresse an (kommunaler) Politik treffe genauso auf Menschen ohne deutsche Wurzeln zu. Die Beteiligung der wahlberechtigten EU-Bürger an der Kommunalwahl in der Stadt lag laut Preißler 2019 bei 8,3 Prozent, die allgemeine Wahlbeteiligung bei 58 Prozent. „Eine eklatante Differenz“, so Preißler. Das EU-Wahlrecht um ein Wahlrecht für alle Einwohner*innen zu erweitern, erwecke nicht automatisch größeres Interesse und bringe eine höhere Beteiligung.

Für die Teilnehmenden an der Diskussion war klar, dass eine passive Haltung keine Option ist, um das Interesse der Bevölkerung mit Migrationshintergrund an der Kommunalpolitik sowie an den Parteien wachsen zu lassen. Die Bringschuld liege wie zu Beginn der Integrationsarbeit weiterhin bei den Gremien und Parteien, waren sie sich einig. Alexander Lucas ist der SPD-Regionalgeschäftsführer. Mannheim hat 1600 Parteimitglieder, davon haben etwa zehn Prozent sowie ein Drittel des Kreisvorstands einen Migrationshintergrund. „Gefühlt mehr“, so Lucas. Um den Anteil zu vergrößern, müssten die Parteimitglieder in die Communities gehen, vor allem in die Stadtteile. „Doch dafür fehlen uns einfach die Kapazitäten“, stellte der Regionalgeschäftsführer bedauernd fest.

weiterführender Artikel