Landgericht Düsseldorf

Gericht stellt Loveparade-Prozess ein

Karin Billanitsch05. Mai 2020
Justizia fällte im Love-Parade-Prozess kein Urteil.
Knapp zehn Jahre nach der Tragödie in Duisburg, bei der 21 junge Leute im Gedränge starben, wird das Gerichtsverfahren ohne Schuldspruch eingestellt. Indes haben Kommunen Lehren aus der Katastrophe ziehen können.

Ohne Urteil endet einer der größten Gerichtsprozesse der jüngeren Geschichte in Deutschland: Das Landgericht Duisburg hat das Verfahren um die Loveparade-Katastrophe in Duisburg eingestellt. Das hat die 6. Große Strafkammer am Montag, 4. Mai, bekannt gegeben. „Mit diesem Beschluss endet das Strafverfahren“ heißt es in der Presseerklärung des Gerichts.

Ausführliche Begründung des Gerichts

Vor Gericht standen drei Angeklagte, ursprünglich waren insgesamt zehn Mitarbeiter der Stadt und der Veranstalterfirma Lopavent unter anderem wegen fahrlässiger Tötung angeklagt. Im Februar 2019 war gegen sieben von ihnen bereits das Verfahren eingestellt worden.

Was in Duisburg passierte, ist in zahllosen Berichten beschrieben worden. Während der Loveparade in der Ruhrgebietsstadt waren am 24. Juli 21 Menschen getötet worden, mehr als 600 wurden verletzt, weil eine Massenpanik entstanden war. Besucherströme hatten sich an einem Zugang zum Gelände gestaut. Die Richter gelangten zu der Überzeugung, dass das Zusammenwirken „einer Vielzahl von Umständen dazu geführt haben, dass es zu dem Gedränge mit dem tödlichen Verlauf gekommen ist.“ Die Richter haben auch ihnen vorliegendes, schriftliches Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Gerlach „vollumfänglich berücksichtigt“, hieß es.

„(Mögliche) individuelle Schuld der Angeklagten als gering anzusehen“

„Unter Gesamtwürdigung dieser Erkenntnisse und aller Umstände der Katastrophe kommt das Gericht nun trotz der schwerwiegenden Folgen zu dem Schluss, dass die (mögliche) individuelle Schuld der Angeklagten an der Katastrophe zum jetzigen Zeitpunkt als gering anzusehen sei. Deshalb soll das Verfahren gegen sie nicht weitergeführt werden“, hieß es laut einer Mitteilung.

Das Gericht lieferte auf 44 Seiten eine ausführliche Begründung des Beschlusses – in der Regel werden Einstellungsbeschlüsse nicht begründet. Es sei den Richtern „ein besonderes Anliegen“ gewesen, gerade für die Verletzten und Hinterbliebenen Aufklärungsarbeit zu leisten, die über die den Strafprozess bestimmende Frage nach der Schuld der Angeklagten hinausweist, teilte die Pressestelle mit. Deshalb haben die Richter detailliert geschildert, was sich nach ihren Erkenntnissen von den Anfängen der Planung bis zum Ende des Unglückstages zugetragen haben könnte.

Angehörige enttäuscht

Die Richter zählen noch einmal auf, was zum Unglück hinführte: Ein Veranstaltungsort, der für das Veranstalterkonzept und die erwarteten und auch die tatsächlichen Besuchermengen nicht geeignet war, Zugangsanlagen, die für die erwartete Besucheranzahl zu geringe Kapazität hatten, zu wenig Fläche zwischen dem Zugang (über die Rampe Ost) auf das Gelände und der Fläche, auf der die Musikwagen fuhren, die unkoordinierte Steuerung der Personenströme, massive Störungen in der Kommunikation, die notwendige Absprachen teilweise unmöglich machten, um einige zu nennen. Alles zu beschreiben, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen.

Für die Angehörigen ist dieses Ergebnis schwer erträglich. Eine Mutter zeigte sich nach dem Ende des Prozesses „enttäuscht“, wie der WDR berichtete. Andererseits sei sie froh, dass es überhaupt zu einem Prozess gekommen sei. Als Oberbürgermeister war damals Gustav Sauerland nach dem Unglück sehr umstritten. Er zog nach dem Unglück keine Konsequenzen, wurde aber zwei Jahre nach der Loveparade abgewählt.

Lehren aus der Tragödie

Aus der Duisburger Katastrophe haben Kommunen indes Lehren ziehen können. Mit Blick auf die Krisenkommunikation zum Beispiel wurde die Kommunikation des Duisburger Rathauses analysiert, so etwa von Johannes Latsch im Buch „Bürgermeister und Krisenkommunikation.“ So ging nach der Loveparade-Katastrophe von Duisburg die Strategie des Bürgermeisters nach hinten los, jede Verantwortung zurückzuweisen, solange die Staatsanwaltschaft nicht das Gegenteil belegt hat. Was rechtlich vernünftig erschien, stellte sich politisch als verheerend heraus. Am Ende hatte sich in der Öffentlichkeit das Bild eines Politikers verfestigt, der an seinem Stuhl klebt.

Thomas Hußmann von der Düsseldorfer Feuerwehr beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit Großveranstaltungen. Er ist der Verantwortliche für das Sicherheitsmanagement bei Großveranstaltungen wie zum Beispiel den Grand Depart zur Tour de France oder das NRW-Fest. „Düsseldorf hatte unglaublich viele Großveranstaltungen, die schon vor der Loveparade platziert waren und somit haben wir uns immer weiter entwickelt“, sagt Hußmann. Als besonderen Punkt hob er ein Konzert der Toten Hosen 1997 hervor, mit vielen Verletzten und einem Todesfall, „danach wurde noch einmal deutlicher, wie sehr man sich mit Großveranstaltungen beschäftigen muss“. 2010 ist das Unglück Duisburg passiert – Hußmann war selbst im Einsatz dort vor Ort, zufällig in unmittelbarer Nähe, und hat selbst noch zwei Mädchen reanimiert, wie er erzählt.

Arbeitsgruppe des Landes NRW

Danach habe es eine Arbeitsgruppe des Landes Nordrhein-Westfalen gegeben, wo der Orientierungsrahmen für NRW entwickelt worden sei. Hußmann war damals Teil der Arbeitsgruppe. „Dabei hat sich die Arbeitsgruppe auch mit formeller Sicherheitskonzeption befasst, Abstimmung mit der Polizei, mit dem Ordnungsamt, mit der Bauaufsicht, mit anderen Behörden noch einmal deutlich intensiviert, auch das Thema interorganisationale Zusammenarbeit deutlich nach vorne gebracht. Wir haben im Grunde nach Duisburg Veranstaltungen noch deutlicher in Form gebracht“, so Hußmann. Der Orientierungsrahmen NRW wird in 2020 aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre jetzt noch einmal deutlich novelliert und aller Erkenntnisse, die man in den vergangenen Jahren bei Großveranstaltungen gewonnen hat, sollen dort einfließen.

Für die Tour de France 2017 in Düsseldorf, die mit sehr vielen Menschen stattfand, wurde eine Sicherheitskonzeption entwickelt, die „internationalen Ansprüchen gerecht werden“ musste, so Hußmann. „Ich kann also sagen, dass wir uns seit 1994 immer mit dem Thema Sicherheit von Veranstaltungen beschäftigt haben und während jeder Großveranstaltung dazu gelernt haben.“ Düsseldorf habe sich zudem vernetzt und ausgetauscht mit anderen Städten.

„Partnerschaftlicher und vernetzer Umgang“

„Ich glaube, dass wir uns zum Thema Besuchersicherheit in Großveranstaltungen deutlich nach vorn entwickelt haben, aber natürlich war Duisburg für viele noch einmal ein Wachmacher, um die Dinge noch formeller und Sicherheitskonzeptionen noch stärker zu gestalten und vor allen Dingen den partnerschaftlichen und vernetzten Umgang mit allen anderen Behörden auch noch einmal zu forcieren“, so Hußmann. In Düsseldorf werde das gelebt, indem sich alle vier Wochen der Arbeitskreis Großveranstaltungen trifft. „Man kennt sich innerhalb des Veranstaltungsnetzwerks”, betont er, „die Behörden, die Partner, die Veranstalter, die Polizei, also alle die dazugehören“. Eine Erkenntnis lautet, dass alle zusammenarbeiten müssen, wenn sie für Sicherheit sorgen wollen.

Aus Sicht der Bundesvereinigung Deutscher Musikverbände e.V., heißt es auf Anfrage der DEMO, dass in den letzten Jahren von den Kommunen bei der Erstellung der Sicherheitskonzepte für Veranstaltungen sehr hohe Auflagen vorgegeben werden und die Kontrollen bezüglich Einhaltung der Vorgaben und Umsetzung der Maßnahmen sehr streng seien.

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