Wirtschaftsförderung in den Kommunen

Geschichte mit Zukunft verbinden

Silke Hoock 20. Februar 2019
Phoenix West
Das Stahlwerk mit Hochofenanlage Phoenix West. Auf dem Gelände sollen in naher Zukunft bis zu 12.000 Menschen arbeiten.
Die Ruhrgebietsstädte Dortmund und Mühlheim an der Ruhr stellen sich den Herausforderungen des Strukturwandels. Sie zeigen: Die Umstellung auf die Zeit nach dem Kohleabbau kann gelingen.

Was bleibt, wenn es für die letzte Zeche Schicht im Schacht heißt? Was bleibt, wenn Kohle-, Bier-, Stahlindustrie nur noch nostalgischen Wert haben statt Tausende Menschen zu beschäftigen? Ratlosigkeit? Massenarbeitslosigkeit? Mitnichten. Das Ruhrgebiet ist seit vielen Jahren dabei, sich den Herausforderungen des Strukturwandels zu stellen. Am Beispiel von Dortmund und Mülheim an der Ruhr zeigt sich, dass der Strukturwandel auf einem guten Weg ist und gelingen kann. Beide Städte setzten auf neue Technologien. 

Die Westfalenmetropole Dortmund, in der die SPD seit Jahrzehnten die Geschicke der Stadt maßgeblich bestimmt, stand zur Jahrtausendwende vor einer Herkulesaufgabe. Denn in den Jahren des industriellen Niederganges von Kohle und Stahl zwischen 1980 und dem Jahr 2000 mussten die Unternehmen zirka 80.000 Arbeitsplätze in der Industrie und den Zulieferbranchen abbauen. Die Arbeitslosenquote lag daraufhin 35 Jahre lang deutlich über der 10-Prozent-Marke. Heute weist Dortmund mit Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) an der Spitze mit mehr als 240.000 sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen – davon sind zirka 30.000 Arbeitsplätze der lokalen Industrie zuzuordnen – mehr Jobs als vor 35 Jahren auf. Die Arbeitslosenquote beträgt 9,8 Prozent.

Dortmund: Phoenix West leuchtet

Ein Projekt, das besonders erfolgreich ist und bundesweite Strahlkraft hat, heißt Phoenix West. Bis zum Jahr 1998 war Phoenix West ein modernes Stahlwerk mit imposanter Hochofenanlage. Heute steht Phoenix West für einen 110 ha großen Technologiestandort, der nur wenige Kilometer von der Dortmunder City entfernt im Stadtteil Hörde entstanden ist. In den zurückliegenden Jahren wurde Phoenix West als Standort für Mikro- und Nanotechnologie, Software und innovative Produktionstechnologie entwickelt. Gewerbliche Technologieansiedlungen, Dienstleistungen sowie Freizeitnutzung finden dort statt, wo früher Tausende Stahlkocher und Industriearbeiter Schwerstarbeit leisteten. Denn alles, was dort neu entsteht und bereits entstanden ist, findet neben dem ehemaligen Hochofen und zwischen einigen denkmalgeschützten Bestandsgebäuden und Hallen statt. Namhafte Technologieunternehmen, wie z. B. Raith und SMF/Merkarion, produzieren bereits erfolgreich an diesem Standort. Auch die Hauptverwaltung der Nordwest Handel AG hat sich für den Standort entschieden. 75 Millionen Euro investiert das kanadisch-niederländische Unternehmen World of Walas auf Phoenix West. Das Unternehmen entwickelt ein Domizil für Startups. Derzeit sind noch Grundstücksflächen im Technologiepark für weitere Ansiedlungen verfügbar.

Gute Arbeitsplatzbilanz

Was diesen Standort attraktiv macht, weiß Thomas Westphal, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung der Stadt Dortmund genau: „Der Standort verbindet die Geschichte unserer Stadt mit der Zukunft. Die Menschen, die auf Phoenix arbeiten, leben oder ihre Freizeit dort verbringen, erleben eine Umgebung und Qualität, die es an diesem Ort vorher nie gegeben hat.“ Westphal ist stolz auf die Arbeitsplatz-Bilanz von Phoenix West. Denn in naher Zukunft werden auf dem Phoenix-Areal alle Baufelder bebaut sein. Dann werden hier bis zu 12.000 Menschen arbeiten. „Das sind genauso  viele Arbeitsplätze wie in den goldenen Jahren des Stahlwerkes, Mitte der 50er, als dort auch ca. 12.000 Menschen tätig waren.“

Ein weiteres Plus: Bereits in der städtebaulichen Konzeptionsphase hatten die Verantwortlichen auf Phoenix West künftige Standorte für zentrale Parksysteme festgelegt. Der gesamte Standort wird durch ein sukzessiv auszuweitendes Busverkehrsnetz erschlossen. Eine Trasse für eine potenzielle Stadtbahnlinie ist ebenfalls vorgesehen. Zu der Infrastruktur zählen eine direkte Anbindung an das Autobahn- und Bundesstraßennetz, die Erreichbarkeit der Dortmunder City sowie die gute Vernetzung mit dem Flughafen Dortmund.

Auf Phoenix West ist zudem ein Erholungsraum für Dortmund entstanden. Der Phoenix Park verbindet das Areal des ehemaligen Hochofenwerks Phoenix mit dem ehemaligen Stahlwerksgelände, dem Phoenix See. Mit 60 ha Gesamtfläche übernimmt der Park eine wichtige regulative Rolle für das Stadtklima.

Standort Mülheim an der Ruhr

Mülheim an der Ruhr ist mit rund 80 Produktionsbetrieben sowie rund 18.000 direkt von der Industrie abhängigen Arbeitsplätzen nach wie vor ein bedeutender Industriestandort. Doch der Wandel im Kohle- und Stahlsektor setzt den Unternehmen genauso zu, wie die Energiewende. Dennoch hat Mülheim große Erfolge zu verbuchen. Oberbürgermeister Ulrich Scholten (SPD): „Bereits im Juli 1966 hieß es endgültig ,Schicht im Schacht‘ für den traditionsreichen Mülheimer Bergbau. Mit ,Rosenblumendelle‘ wurde die letzte Zeche auf Mülheimer Stadtgebiet geschlossen. Strukturwandel hat daher in Mülheim eine große Tradition.“ Auf einem ehemaligen Zechengelände wurde zunächst 1973 das Rhein-Ruhr Zentrum eröffnet. Es gilt als eine der ersten gelungenen Flächen-Recyclingmaßnahmen des Rhein-Ruhr-Gebiets. Auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Humboldt entstand nach 19-monatiger Bauzeit das seinerzeit größte deutsche Shoppingcenter.

Innovationsoffensive geplant

Die aktuellen Herausforderungen beschreibt Scholten so: „Vor dem Hintergrund der Globalisierung, Digitalisierung und Internationalisierung wird die Unterstützung von Industrie, mittelständischen Bestandsunternehmen sowie Start-ups bei der Digitalisierung und notwendigen Innovationen auch im Jahr 2019 im besonderen Fokus der Wirtschaftsförderung stehen müssen.“

Daher will Mülheim die Aktivitäten der Stärkungsinitiative Industrie für Mülheim umsetzen und mit der Hochschule Ruhr West eine Innovationsoffensive bei 100 Mülheimer Bestandsunternehmen starten. Mit den neuen Technologie- und Transferangeboten der Hochschule, dem ruhr:HUB, der Eröffnung eines Internet of things-Labors (IoT-Labors) sowie verschiedenen Förderprogrammen zum Thema Digitalisierung von kleinen und mittelständischen Unternehmen, „gibt es dazu zahlreiche praxisorientierte Unterstützungsmöglichkeiten für die Mülheimer Unternehmen“, erläutert der Verwaltungschef.

Trotz besagter Fortschritte sieht auch die Wirtschaft großen Handlungsbedarf, um die Innovationskraft des Standorts zu stärken. Sie spricht sich deswegen sehr klar für den zügigen Bau eines Innovationszentrums in Mülheim aus und unterstützt die entsprechenden Pläne der Wirtschaftsförderung. Das neue Zentrum soll ein Ort der Vernetzung von Wirtschaft und Wissenschaft sein. Unternehmensgründungen sollen hier forciert werden. Die Pläne für das Innovationszentrum liegen zurzeit auf Eis.

Mühlheim hat sich schon einmal neu erfunden

Doch Jürgen Schnitzmeier, Geschäftsführer der Mülheim & Business GmbH Wirtschaftsförderung, gibt sich optimistisch: „In Mülheim an der Ruhr könnte das Thema Strukturwandel erfunden worden sein.“ Aus der einstigen Leder- und Gerberstadt sei in Zeiten der Industrialisierung eine Bergbau- und Stahlstadt, in den 60er Jahren die erste „zechenfreie Stadt im Ruhrgebiet“ mit einer branchenvielfältigen Wirtschaftsstruktur aus produzierenden Industrieunternehmen, traditionsreichen Handelshäusern (Unternehmensgruppe Tengelmann, Aldi-Süd) und mittelständischen Dienstleistungsunternehmen geworden.

Heute ist der Wirtschaftsstandort Mülheim an der Ruhr mit zwei Hochschulen, zwei Max-Planck-Instituten und dem IWW Wasserforschungsinstitut in Zusammenarbeit mit sich digitalisierenden Unternehmen auf dem Weg zu einem kleinen, aber feinen wissensbasierten Wirtschaftsstandort mit einer innovativen Gründer-Szene in der Rhein-Ruhr-Region. „Wirtschaft und Stadt sind immer in Veränderung. Strukturwandel ist kein abgeschlossener Prozess. Er bricht sich manchmal als disruptiver Durchbruch Bahn, in der Regel ist es ein schleichender Prozess der Veränderung. Aber aus allen Epochen mit wirtschaftlichen Prägungen gibt es in Mülheim bis heute Unternehmen und Relikte, die sich behaupten konnten und erhalten sind“, lautet Schnitzmeiers Fazit.

Strukturwandel leben

Dortmund und Mülheim stehen exemplarisch für die Städte des Ruhrgebiets, die den Strukturwandel leben. In seiner aktuellen, selbstbewussten Kampagne „5 Millionen Menschen, 53 Städte, 1 Metropole“ will das Ruhrgebiet sein Image bei Investoren und Fachkräften nachhaltig verändern. Unter dem Motto „Stadt der Städte“ („City of Cities“) spricht die Metropole Ruhr Investoren, Unternehmer, junge Berufstätige und Studierende an. Die Business Metropole Ruhr GmbH (BMR) ist erster Ansprechpartner für Investoren und Unternehmen bei der Standortsuche in den 53 Kommunen der Metropole Ruhr. Gemeinsam mit ihren kommunalen Partnern unterstützt sie die BMR und liefert ihnen im Rahmen des Gewerbeflächenatlas die Möglichkeit, einen virtuellen Gang durch alle Gewerbegebiete der Region zu machen. Außerdem finden Investoren, Unternehmen und Gründer Unterstützung bei der Suche nach Fördermöglichkeiten durch einen Förderscout.

 

Mehr Infos
https://business.metropoleruhr.de