Interview mit Maria Krautzberger

Einer gesunden Umwelt mehr Raum geben

Karin Billanitsch03. Juli 2018
Maria Krautzberger, Präsidentin des Umweltbundesamtes
Maria Krautzberger, Präsidentin des Umweltbundesamtes (UBA)
In sozial benachteiligten Stadtquartieren sind Gesundheitsbelastungen durch Umweltprobleme wie Lärm, Luftverschmutzung und fehlende Grünanlagen oft besonders hoch. Zum Thema Umweltgerechtigkeit hat das Umweltbundesamt (UBA) Forschungsprojekte gefördert. Worum es dabei geht, verrät UBA-Präsidentin Maria Krautzberger im Interview.

DEMO: Umweltschutz und Nachhaltigkeit sind wichtige Aspekte im Bereich des kommunalen Handelns. Ein Schlagwort in diesem Zusammenhang ist die Umweltgerechtigkeit. Was genau bedeutet dieser Begriff?

Maria Krautzberger: Zunächst möchte ich noch ergänzen: Auch Gesundheitsschutz und Gesundheitsförderung sind wichtige kommunale Handlungsfelder. Oft ist beim Umweltschutz die Gesundheit mit gemeint, aber bisher nur selten explizit im kommunalen Handeln verankert. Der Begriff Umweltgerechtigkeit verbindet praktischerweise alles: Nachhaltigkeit, Umweltschutz, Gesundheitsschutz und -förderung sowie soziale Gerechtigkeit.

Wie ist der Ansatz entstanden?

Die Wurzeln liegen in den USA. In den 1980er Jahren gab es dort zu Environmental Justice (EJ) eine intensive öffentliche und politische Debatte. Den Anfang nahm sie in einer sozialen Bewegung für EJ, die im Wesentlichen von afro-amerikanischen Frauen getragen wurde. Im Fokus standen umweltbelastende Anlagen, Müllverbrennungsanlagen und Sondermülldeponien, die teilweise massiv die Gesundheit der Menschen gefährdeten.

Genau genommen sind diese Fragen aber auch in Deutschland ein „altes“ Thema. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts zeigten Studien: Zwischen Armut, schlechten Wohnverhältnissen und erhöhter Sterblichkeit gibt es einen Zusammenhang. Wenn wir nun auf die Anfänge der Umweltpolitik in Deutschland ­schauen – etwa auf das SPD-Umweltprogramm unter Willy Brandt – wurden in den ersten Jahrzehnten große Anstrengungen unternommen, die Umweltsituation insgesamt zu verbessern. In den 1990er Jahren gab es dann gewisser­maßen ein Revival und die Forschung widmete der Ungleichheit mehr Aufmerksamkeit. Inzwischen ist der Begriff Umweltgerechtigkeit in den Fokus gerückt. Das Thema betrifft viele Politikfelder: von der Stadtentwicklung über kommunale Klimapläne bis zu etwas sperrig klingenden Dingen wie der soziallagenbezogenen Gesundheitsförderung.

Was ist der neue Gedanken daran?

Neu ist – gerade für den Umweltbereich – die sozial differenzierte Betrachtung. Umweltgerechtigkeit schaut auf den sozialräumlichen Bezug von Umweltbelastungen. Wer wohnt an den besonders belasteten Orten? Leben dort besonders vulnerable Bevölkerungsgruppen? Das heißt, sind sie gegebenenfalls nicht nur höher belastet, sondern auch empfindlicher bzw. verwundbarer gegenüber negativen Umwelteinflüssen? Dies sind wichtige Aspekte, um die gesundheitlichen Wirkungen einschätzen zu können. Oft treffen in Gebieten Umweltbelastungen wie Lärm oder Luftverschmutzung und wenig Grün zusammen. Dies sollte in der Stadtplanung und bei kommunalen Entscheidungsträgern im Auge behalten und alle Aspekte sollten berücksichtigt werden. Das ist nicht immer der Fall. In manchen Verwaltungen laufen Lärm­aktionsplanung und Luftreinhalteplanung nebeneinander her. Das sollten sie nicht.

Wie ist der Begriff der Gerechtigkeit hier einzuordnen?

Bei der Umweltgerechtigkeit geht es nicht nur um Verteilungsfragen, sondern auch um Verfahrensgerechtigkeit. Heißt: Wo kann ich mitreden? Wo kann ich mitmachen? Wer nimmt an Ideenwerkstätten für mehr Grün oder mehr ÖPNV in der Stadt teil? Wie gelingt es uns, auch die weniger „Artikulationsstarken“ dafür zu gewinnen, sich einzubringen. Auch ­darauf schauen wir, wenn wir über Umweltgerechtigkeit reden.

Die bisherigen Forschungen konzentrieren sich auf den (groß)städtischen Raum. Können auch kleinere Städte oder ländliche Räume Anregungen übernehmen?

Der Fokus liegt bisher vor allem auf den Städten, hier sind die Probleme besonders groß. Aber auch die Menschen auf dem Land können belastet sein, etwa durch stark befahrene Bundesstraßen, die Nähe zu Autobahnen oder Flughäfen, nicht zuletzt auch durch den Schienenverkehr. Daher ist das für ländliche Räume durchaus ein Thema.

Das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) hat von 2012 bis 2014 Handlungsempfehlungen erarbeitet. Können Sie die zentralen Ergebnisse der bisherigen Forschungsarbeit für die Kommunalen zusammenfassen?

Ziel des Difu war es, das neue Thema Umweltgerechtigkeit in der kommunalen Praxis zu implementieren. Dazu gab es unter anderem ein Planspiel mit fünf Kommunen. Wir haben das gefördert und fachlich begleitet. Die Ergebnisse zeigen vor allem: Alle relevanten Ressorts einer Kommune müssen koordiniert zusammenarbeiten. Schwung in die Sache bringt auch eine politische Verankerung, etwa ein Stadtratsbeschluss mit konkreten Zielen. Und die Kommunen müssen gute Daten liefern. Wenn man raumbezogene Daten zu Umwelt, Gesundheit, Sozialem und Stadtentwicklung übereinanderlegt, werden Gebiete mit Mehrfachbelastungen sichtbar. Und man entdeckt die weißen Flecken auf der Landkarte, die bisher übersehen wurden. Es gibt gute Beispiele aus der Praxis: In Berlin existiert einen Atlas der Umweltgerechtigkeit. In Bottrop wird der Lärmminderungsplan in ein Stadtteilentwicklungskonzept integriert. Und im Brunnenviertel in Berlin-Mitte werden im Modellprojekt „KiezKlima“ Klimaanpassungsmaßnahmen unter breiter Beteiligung der Bevölkerung umgesetzt.

Das Umweltbundesamt fördert und betreut derzeit das Projekt „Umsetzung einer integrierten Strategie zu Umweltgerechtigkeit“. Dafür wurden drei Pilotkommunen ausgesucht. Worum geht es dabei?

Die Handlungsempfehlungen des Difu-Projektes wurden in Kassel, Marburg und München im kommunalen Alltag auf ihre Praxistauglichkeit überprüft – und wo nötig noch angepasst. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Es wird auch eine Online-Toolbox „Umweltgerechtigkeit“ geben, eine Art Werkzeugkasten für die Kommunen in Deutschland. Im Oktober 2018 soll sie fertig sein. Sie bietet dann Checklisten, konkrete Umsetzungstipps und gute Beispiele.

Welche Rolle wird der Bund in Zukunft bei diesem Thema spielen?

In den vergangenen zwei, drei Jahren hat das Thema auf Bundesebene Fahrt aufgenommen. Ein Beispiel ist das „Weißbuch Stadtgrün“ des Bundesumweltministeriums von 2017. Es informiert und unterstützt bei der sozialverträglichen und gesundheitsförderlichen Entwicklung von mehr Stadtgrün. Auch im neuen Bund-Länder-Programm der Städtebauförderung „Zukunft Stadtgrün“ von 2017 gibt es Geld vom Bund – für Maßnahmen, die explizit zu mehr Umweltgerechtigkeit führen. Und im Städtebauförderprogramm Soziale Stadt wurde im Jahr 2016 erstmals die Umweltgerechtigkeit in die Verwaltungsvereinbarung zur Städtebauförderung aufgenommen. Damit können nun Maßnahmen für mehr Umweltgerechtigkeit gezielt gefördert werden.

Um dem Thema einen Schub zu verleihen: Welchen Wunsch haben Sie in Richtung der politisch Verantwortlichen?

Gebt dem Thema Umweltgerechtigkeit mehr Raum, verankert es in der Nachhaltigkeitsstrategie. Verankert es in der Verkehrs- und Stadtentwicklungspolitik, im Bereich Klimaschutz und -anpassung. In der Städtebauförderung bietet es sich an, den Fördertatbestand zu operationalisieren. Das 2015 in Kraft getretene Präventionsgesetz setzte ebenfalls Impulse für mehr Umweltgerechtigkeit auf Quartiers­ebene: Die gesetzlichen Krankenkassen sind danach verpflichtet, Leistungen zur Gesundheitsförderung und Prävention in den „Lebenswelten“ zu erbringen. Eine dieser Lebenswelten ist die Kommune. Und die Fördergebiete der Sozialen Stadt sind besonders geeignet, um Menschen mit sozial bedingt ungünstigeren Gesundheitschancen zu erreichen.

Zur Person – Maria Krautzberger

Maria Krautzberger, 1954 geboren in Mühlbach am Inn, studierte nach dem Abitur Soziologie und Anglistik an der Universität München. Daran schloss sie ein weiteres Studium an: Verwaltungswissenschaft an der Universität Konstanz bis 1979.

Es folgten berufliche Sta­tionen als Wissenschaftliche Angestellte an der Uni Bonn und in der Stadtverwaltung Wuppertal, wo sie in leitenden Funktionen, zuletzt als Abteilungsleiterin und stellvertretende Leiterin des Amtes für Umweltschutz, tätig war.

Vom März 1992 an war sie Umweltsenatorin der Hansestadt Lübeck, von Januar 1997 bis Februar 1998 stellvertretende Bürgermeisterin in Lübeck.

Von Dezember 1999 bis Ende 2011 war Krautzberger, die seit den 80er Jahren SPD-Mitglied ist, Staatssekretärin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung des Landes Berlin. Seit Mai 2014 steht sie als Präsidentin an der Spitze des Umweltbundesamts. KB