Corona-Pandemie

Wie die Gesundheitsämter auf steigende Fallzahlen reagieren

Carl-Friedrich Höck28. Oktober 2020
Die Zahl der Corona-Infizierten steigt drastisch. Die Gesundheitsämter kommen mit dem Aufspüren von Kontaktpersonen kaum noch hinterher. Rufe nach einem Strategiewechsel werden lauter – und nach mehr Digitalisierung.

An diesem Mittwoch diskutiert Bundeskanzlerin Angela Merkel erneut mit den Länderchefs über weitere Maßnahmen gegen die Covid-19-Pandemie. Die Zahl der Corona-Infizierten in Deutschland hat einen neuen Rekordwert erreicht: Mittwochmorgen meldete das Robert-Koch-Institut 14.964 Neuinfektionen binnen eines Tages. Erwartet wird, dass die Kontaktbeschränkungen weiter verschärft werden.

Infizierte erinnern sich nicht mehr an alle Kontakte

Diese hält auch der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes für notwendig. Deren Vorsitzende Ute Teichert sagte dem RBB-Inforadio am Mittwochmorgen: Kontaktbeschränkungen seien zwar schade und schwierig, aber angesichts der rasant steigenden Infektionszahlen müssten dringend Maßnahmen ergriffen werden. „Eine enorme Änderung ist, dass fast die Hälfte der positiv getesteten Personen nicht mehr angeben können, wo sie den Kontakt zuletzt hatten“, merkte Teichert an.

Bereits in der vergangenen Woche hatte Teichert eingeräumt, dass die Gesundheitsämter mit der Kontaktnachverfolgung auch personell kaum noch hinterherkommen: „Wenn jetzt innerhalb kurzer Zeit, vielleicht auch eines Tages, die Zahlen rapide um 50 oder 100 Personen ansteigen, die positiv getestet wurden, dann müssen die ja auch direkt bearbeitet werden. Und so schnell, wie die Zahlen im Moment ansteigen, so schnell kann man gar nicht mit dem Personal nachlegen.“

Zwar haben Bund und Länder einen Pakt für den öffentlichen Gesundheitsdienst beschlossen und 5.000 neue Stellen für die Gesundheitsämter eingeplant. Die werden jedoch nicht kurzfristig geschaffen, sondern erst in den kommenden Jahren besetzt.

Landkreise: „Lage ist angespannt”

Bisher haben Bund und Länder darauf gehofft, Corona-Ausbrüche lokal eingrenzen zu können. Diese Strategie wird immer schwieriger umsetzbar. Und Hotspots gibt es nicht mehr nur in Großstädten, sondern auch in vielen Landkreisen. Der Sprecher des Deutschen Landkreistages Markus Mempel antwortet auf Nachfrage, „dass wir vielfach sehr angespannt sind, aber die Situation aktuell im Griff haben.“ Doch die Lage sei eben nicht stabil und könne sich praktisch über Nacht ändern.

Zur Personallage teilt Mempel mit: „Neben Neueinstellungen greifen die Landkreise erforderlichenfalls in der Regel auf zusätzliches Personal innerhalb der eigenen Verwaltung, auf Studenten oder Landesbedienstete zurück. So verfügen die Gesundheitsämter über die nötige Flexibilität, um die schwierige Situation zu beherrschen. Wenn dies nicht reicht, um die Kontaktnachverfolgung sicherzustellen, besteht die Möglichkeit, die Unterstützungsangebote der Bundeswehr und des Robert Koch-Instituts in Anspruch zu nehmen. Auch das wird immer öfter genutzt. Mit Stand von vor ein paar Tagen war die Bundeswehr mit knapp 2.000 Soldaten in 137 Gesundheitsämtern helfend im Einsatz.“

Schwerpunkt auf Risikogruppen und Cluster

Mancherorts gibt es bereits Pläne, die Strategie anzupassen, da nicht mehr alle Kontaktpersonen zeitnah ermittelt werden können. Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) rief die Bürger*innen am vergangenen Freitag auf, stärker eigenverantwortlich zu reagieren: Positiv getestete Personen sollen sich auch ohne Kontakt zum Gesundheitsamt in häusliche Isolation begeben und Kontaktpersonen selbständig informieren. Die Gesundheitsämter sollen sich bei der Kontaktnachverfolgung und Corona-Tests schwerpunktmäßig auf Risikogruppen konzentrieren. Also zum Beispiel auf ältere und chronisch kranke Menschen, Bewohner*innen und Personal in Pflegeheimen und Krankenhäusern oder Obdachlose.

Landkreistag-Sprecher Markus Mempel erklärt: „Wir halten den Ansatz der Kontaktnachverfolgung aufrecht, parallel sind einige Landkreise auch auf die Nachverfolgung von Clustern ausgerichtet, was zunehmend eine Rolle spielen wird.“ Beides könne man nicht getrennt voneinander sehen. Das hänge entscheidend von der Art des Infektionsgeschehens vor Ort ab.

Digitalisierungsschub durch Corona-Krise?

Eine weitere Hürde bei der Pandemiebekämpfung ist die unzureichende Digitalisierung der Gesundheitsämter. Darauf wies der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages Helmut Dedy am Mittwoch bei der „Smart Country Convention“ hin. Mit Blick auf den öffentlichen Gesundheitsdienst sagte er: „Ich glaube, dass wir den Digitalisierungsschub noch vor uns haben.“ Den Nachholbedarf habe die Corona-Pandemie wie ein Brennglas aufgezeigt.

Ähnlich äußerte sich Kay Ruge, Beigeordneter beim Deutschen Landkreistag. Im Gesundheitswesen gebe es Defizite bei der Digitalisierung. „Die leidige Übermittlung von Fallzahlen zwischen den Gesundheitsämtern und dem RKI mag dazu ein bekanntes Beispiel sein.“ Man werde jetzt aber schnell besser. Als Beispiel verwies Ruge auf die Infektionstagebuch-Software Sormas. Da sei ganz schnell – Open Source in offenen Entwicklergemeinschaften und zusammen mit den Kommunen – daran gearbeitet worden, digitale Lösungen zu finden, die bei der Pandemie-Bekämpfung unmittelbar hilfreich sein können. Die Corona-Krise sei insofern auch ein Digitalisierungsbeschleuniger.

Mit den Mitteln aus dem Pakt für den öffentlichen Gesundheitsdienst im Rahmen des Corona-Rettungspaketes soll auch die Digitalisierung im Gesundheitswesen durch moderne und vernetzte IT-Systeme vorangetrieben werden.

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