Sozialpolitik

Große regionale Unterschiede bei Kinderarmut

Karin Billanitsch23. Juli 2020
Kein Kind sollte zurückgelassen werden. Doch noch immer ist Kinderarmut ein erhebliches ungelöstets Problem in Deutschland, stellt die Bertelsmann Stiftung fest.
Mehr als 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren in Deutschland wachsen laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung in Armut auf beziehungsweise sind viele Jahre ihrer Kindheit von Armut bedroht. Die Corona-Krise könnte die Probleme verschärfen. Regional gibt es große Unterschiede.

 2,8 Millionen Kinder in Deutschland leben in Armut – das ist ein großes und bisher ungelöstes Problem, auf das die Bertelsmann-Stiftung aufmerksam macht: „Unsere neue Analyse zeigt, dass es im bundesweiten Durchschnitt keine grundlegende Verbesserung gab“, so die Autoren, trotz guter wirtschaftlicher Entwicklung vor der Corona-Krise.

Die Zahlen zeigen, dass von den mehr als 20 Prozent der Kinder, die im Schatten der Armut aufwachsen, rund 14 Prozent Grundsicherung nach SGB II beziehen. Regional gibt es dabei teilweise große Unterschiede.

Osten verbessert sich, der Westen stagniert

Das zeigt zum Beispiel der Blick auf Ost- beziehungsweise Westdeutschland. Waren im Osten 2014 noch 22,1 Prozent der Kinder und Jugendlichen im Grundsicherungsbezug, sind dies 2019 nur noch 16,9 Prozent – eine Verbesserung. In Westdeutschland stagniert die SGB II-Quote von Kindern hingegen bei 13 Prozent.

In den Stadtstaaten Bremen (31,6 Prozent) und Berlin 27 Prozent) gibt es besonders viele Kinder und Jugendliche in finanziell schwachen Verhältnissen – auch das Saarland (19,1), NRW (18,6) und Sachsen-Anhalt liegen recht deutlich über dem Bundesschnitt.

Im südlichen Bayern oder Baden-Württemberg stehen sie im Vergleich am besten da: 6,3 beziehungsweise 8,1 Prozent der Kinder unter 18 in Familien bezogen Grundsicherung.

Auf Kreisebene leben in einigen Kreisen bzw. Städten bis zu 40 Prozent der Kinder im Grundsicherungsbezug, in anderen sind es nur 2 Prozent bezogen auf Grundsicherung nach SGB II.

Erhebliche Folgen für das Aufwachsen

Was bedeutet Armut in diesem Zusammenhang? Die Stiftung hat hier einen kombinierten Armutsbegriff zugrunde gelegt: Sie berücksichtigt Kinder aus Familien, deren Einkommen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens aller Haushalte beträgt. Außerdem sind Heranwachsende im Grundsicherungsbezug eingerechnet, deren Familien Hartz IV erhalten.

Das Problem hat erhebliche Folgen für das Wohlbefinden, Bildung und Chancen für die Zukunft, betonte die Gütersloher Stiftung. Konkret haben die Kinder seltener einen ruhigen Ort zum Lernen, oder ein Viertel von Ihnen keinen Computer mit Internetzugang. Sie erhalten seltener regelmäßig Taschengeld oder können weniger oft Freunde nach Hause einladen oder besitzen ausreichend Winterkleidung. Diese Probleme würden durch die Corona-Krise verschärft, weil „außerhäusliche Unterstützungsangebote staatlicher oder zivilgesellschaftlicher Natur während des Corona-Lockdowns nicht fortgesetzt werden konnten“, kritisierte Vorstand Jörg Dräger.

Sozialverbände, Gewerkschaften und SPD-Politiker*innen stellten Forderungen zur Bekämpfung von Kinderarmut, wie vorwaerts.de berichtet. Arche-Gründer Bernd Siggelkow spricht demnach angesichts der Studie von einem „Schlag ins Genick für alle sozial benachteiligten Familien in Deutschland“. „Wir fordern, gerade nach den Sommerferien, dass es schnelle Lösungen geben muss, um den Kindern im Bildungsbereich zu helfen, die abgehängt sind.“ Die SPD setzt sich für eine Kindergrundsicherung ein.

Suche nach Lösungen vor Ort

Auch in den Kommunen hat man sich des Themas angenommen. Beispielhaft ist etwa ein runder Tisch gegen Kinderarmut in Frankfurt an der Oder. Die Stadt hat laut dem Fact-Sheet von Bertelsmann mit 25 Prozent die höchste Quote in Brandenburg. Aber 2014 waren es noch rund 30 Prozent – also eine große Verbesserung. Mit einer Richtlinie will der dortige Jugendhilfeausschuss die Folgen von Kinderarmut lindern und hat dafür 100.000 Euro jährlich bereitgestellt. Zudem existiert in Brandenburg seit 2015 eine entsprechende landesweite Intitiative zu einem runden Tisch, der Handlungsempfehlungen beschlossen hat.

Runde Tische gegen Kinderarmut gibt es mittlerweile in vielen Städten, wo sich Sozialverbände, Verwaltungen, Politiker und Forscher vernetzen.